Die Könige der Alpen: History Of Austro-Rap // Feature

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Dreckige Rapz

Der Godfather des Mundart-Rap hat ein Faible für Sadisten und Mörder: Markee, Tibor Foco, Jack Untawega. Das sind seine Pseudonyme. Immer wenn er einen künstlerischen Haken schlägt, sucht er sich einen neuen Namen. Aktuell firmiert er unter Kroko Jack.

Bum! Bum! Bum! Der Inhalt des halbfertigen Joints hüpft wild in alle Richtungen. Weil Kroko Jack sich jetzt aufregt und auf die Tischplatte hämmert. »Wenn die Deutschen Mundart-Rap nicht verstehen, sollen sie Dialekt lernen«, bellt er. »Wir haben ja auch Patois gelernt. Das spricht man in Jamaika. Und wie viele Menschen leben dort? Auch nur drei Millionen!«

Wir sitzen in einem Tonstudio im 18. Bezirk. Hier hat Kroko Jack seine neue Platte »Extra ordinär« aufgenommen. Er spricht, wie er rappt: mit vollautomatischer Schnauze. Schneller, einfallsreicher, witziger als die Konkurrenz. Was heißt Konkurrenz? Er hat fast nur Bewunderer: Von RAF Camora bis Crack Ignaz tummeln sie sich auf »Extra ordinär«. Kroko Jack, da sind sich eigentlich alle einig, ist Österreichs bester Rapper. »Das ehrt mich«, sagt er. »Viel mehr als Verkaufszahlen.« Die scheinen ihm überhaupt weniger wichtig zu sein. Sonst hätte er das mit dem Mundart-Rap auch gleich bleiben lassen können. Damit hatten schon andere vor ihm experimentiert. Die Fünfhaus Posse zum Beispiel versuchte es 1997 mit Wienerisch. Man hielt sie für eine Comedy-Truppe.

Erst Rückgrat zeigte 2002, wie dope Dialekt klingen kann. Kroko Jack (damals: Markee) war ihr MC. Der Track hieß »Dreckige Rapz«. Ein widerborstiger Beat musste da bezwungen werden. Was lag näher, als sich der Sprache zu bedienen, die er sprach, dachte, träumte? Kroko Jack: »Ich hatte einen Haufen Punchlines, die im Dialekt viel besser funktionierten. Die Reaktion war unmittelbarer. Vorher hatte niemand über meine Pointen gelacht. Jetzt schon.« Dabei musste man die Worte gar nicht verstehen. Allein der Flow ließ einen mit den Ohren schlackern.

Kroko Jack perfektionierte diesen Stil mit Markante Handlungen, einer Tonträger-Supergroup aus Rückgrat, Die Antwort und Kayo & Phekt. Ihr Album »Vollendete Tatsachen« von 2005 war ein Aufgebot vollendeter Wortspiele. »Bekannte Crews kommen z’samm wie Penelope und Tom«, war so eines dieser Schmankerl, die hier in atemloser Rasanz dargeboten wurden. Kenner prophezeiten der Crew Großes – und dann schlug Kroko Jack wieder einen Haken. Brutaler und böser wollte er werden. Slang rappen und Gangster spielen. Ein neues »Movement« war geboren: Slangsta!

Versager ohne Zukunft

Erfolg hatten damit allerdings andere: Die Vamummtn traten maskiert in Erscheinung und brachten den Beef nach Österreich. Zuerst nahmen sie die wehrlosen Möchtegern-Gangster der SBG Hot Boys auseinander, dann dissten sie Kroko Jack und am Ende zerlegten sie sich selbst. Aufgrund der niedrigen Fallhöhe war der Unterhaltungswert bei all dem eher so naja. Aber immerhin: Ein Deal mit Universal, ein Top-Ten-Album und ein Amadeus Award blieben als Vermächtnis der 2016 aufgelösten Slangsta-Crew.

Auch so ein Opfer der Vamummtn: Lukas Plöchl. Der Mundart-Rapper wurde in einer Castingshow bekannt und vertrat Österreich 2012 beim Song-Contest als eine Hälfte der Trackshittaz. »Yes, as in ‚they shit tracks’«, wie der Guardian festhielt. Ihr Beitrag hieß »Woki mit deim Popo« (»Wackel mit deinem Po«) und landete auf dem wohlverdienten letzten Platz. Plöchl tauchte danach wieder in einer Castingshow auf, diesmal als Juror. Der ewige Kreislauf.

Besseres hätte sich Skero verdient. Als Mitglied von Texta war er schon ein Urgestein, als er 2010 plötzlich mit der Solosingle »Kabinenparty« durch die Dorfdiskos und in die österreichischen Charts zog. Dort hielt er sich 45 Wochen lang. »Es war interessant zu sehen, welche Möglichkeiten sich da auftun«, sagte Skero später der Tageszeitung Kurier. »Nämlich erschreckend wenige. Kein einziges Label hat sich gemeldet.«

Pfff. Labels. »Ich bin lieber noch mit dreißig in nem Uni-Hörsaal/Als gesignt bei Universal«, reimte Kamp aus Wien. Seine Platte »Versager ohne Zukunft« von 2009 war ein Meilenstein. Statt der üblichen Rap-Protzereien, ging es hier um die »99 Problems« des geplagten Erzählers. [Hint: Bitches were only some of them.] Lässig litt Kamp zu den sweet, sweet Soul-Samples von Whizz Vienna. Die JUICE erkor »VOZ« zum deutschsprachigen Album des Jahres. Danach kam: nicht mehr viel. Features mit Prinz Pi und Mädness. Ein HipHop-Festival (Am Strom), das die österreichische Szene zusammenschweißen sollte, nach drei Ausgaben aber leider wieder eingestellt wurde. Kamp blieb geplagt. Angeblich arbeitet er seit einiger Zeit an einem zweiten Album. Vielleicht aber auch nicht. Jeder Versuch, ihn für diesen Artikel zu erreichen, verlief im Sand. Was also tun, wenn in diesem verdammten Österreich kein noch so hart erkämpfter Erfolg jemals von Dauer ist? Es bleibt nur eines: die Flucht.

Notlandung auf Berlin

Das Böse kam 2005 beruflich nach Linz. Bushido hatte sich von seinem Haus- und Hof-Produzenten DJ Ilan getrennt und suchte nach Ersatz. Chakuza und DJ Stickle, damals zusammen als Beatlefield unterwegs, waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Bei einem Konzert drückten sie Bushido ein Demo in die Hand. Dem gefiel, was er hörte, also kam er wieder. Und dann lag plötzlich jemand auf der Intensivstation.

Es war nach einem Disco-Besuch. Mit zwei Begleitern kehrte Bushido zu seinem Auto zurück und fand es mit aufgeschlitzten Reifen vor. Der 19-jährige Dominik P. stand zufällig in der Nähe. Zur falschen Zeit am falschen Ort. Dominik P. landete mit Schädelbasisbruch im Spital – und Bushido wegen schwerer Körperverletzung vor Gericht: U-Haft, Kaution, Ausreiseverbot. Weil Bushido Österreich nicht verlassen durfte, nahm er sein drittes Album »Staatsfeind Nr. 1« im Studio von Beatlefield auf. Das Verfahren wurde irgendwann eingestellt. Bushido verließ Linz mit quietschenden und geflickten Reifen, Beatlefield folgten ihm. So begannen die Karrieren von Chakuza und DJ Stickle in Berlin.

Es ging steil bergauf: Der eine, Stickle, begleitete mit seinen Produktionen für ersguterjunge, Casper und Yung Hurn mehrere Zeitenwenden im Deutschrap. Der andere, Chakuza, stellte zornige und brummbärige Platten in die deutschen Top Ten. Ihr Kumpel RAF Camora rückte etwas später aus Wien auf – und zog dann weit an den anderen vorbei: Für »Palmen aus Plastik« gab es 2016 Gold und Platin, dazu fünfundrölfzig Milliarden Klicks auf Youtube. RAF ist ein Superstar. Eigenes Label, eigene Modelinie. Na, also! Es geht doch! Nur eben nicht in Österreich … oder etwa doch?

Fremd im eigenen Land

Auch in Wien gibt es ein Ghetto. Wenn man es finden will. Favoriten, so heißt die angeblich gefährlichste Gegend der Stadt. Sie hat schon die Untergrund Poeten ausgespuckt. Zwielichtige Zeitgenossen, die im Intro ihrer Platte den armen Roberto Blanco zusammenschlagen ließen.

Heute ist Nazar Favoriten’s Favorite. Der gebürtige Teheraner bringt eine schwere Kindheit und ein polizeiliches Führungszeugnis mit (Raub­überfall, die Anklage wurde fallengelassen, weil Nazar laut Wikipedia »nur eine Pistole gezogen und damit den Kontrahenten geschlagen und bedroht« hätte). Beste Voraussetzungen also für eine Karriere als Straßenrapper. Langsam arbeitete sich Nazar hoch vom Indie Assphalt Muzik zu Universal Music. Ab dem vierten Album »Narkose« reüssierte er in den deutschen Charts. Und als er Falco, Gott hab ihn selig, für ein Feature ausgrub (»Zwischen Zeit und Raum«), schlossen ihn auch die Wiener in ihr grantiges Herz.

Textlich aber blieb Nazar der Straße treu. Da setzt es Schellen, bis die Handfläche glüht. Der Mann ist »ausgebildeter Straßen-Provokations-Techniker«, wie er dem Magazin The Gap erklärte. In Talkshows legt er sich mit der rechtspopulistischen FPÖ an. Deren Obmann HC Strache hieß er einen »Hurensohn«. Und als Strache klagte, ruderte Nazar zurück und besserte nach auf »Uhrensohn«. Nice move, Nazar!

Bezeichnenderweise sind es solche Aktionen, die in der Zeitung landen, nicht die musikalischen Erfolge. Die österreichischen Medien schwiegen, als Nazar in Deutschland auf die Zehn ging; sie schwiegen, als Chakuza und RAF für einen Echo nominiert wurden. Und als RAF in kurzer Folge zuerst mit »Palmen aus Plastik« und dann mit »Anthrazit« die Charts anführte, wunderte sich die Wiener Zeitung: »Niemand hat hier etwas davon bemerkt. Wie das passieren kann? Ein Rätsel.«

Nein, das findet RAF nicht nett. »Zehn Jahre schon mein’n Erfolg ignoriert/Ja, natürlich verletzt es mich, Bruder«, lamentiert er in »Vienna«. Mit der alten Heimat verbindet ihn bestenfalls noch eine Hassliebe. Nur eine Warnung schickt er ihr: »Österreich, öffne dich für die unglaublichen Talente, die du hast. Sonst müssen sie alle nach Deutschland migrieren.«

Neue Welt

Gerard ist geblieben, und aus ihm ist auch etwas geworden. Nach eigenen Angaben gehört er zu den ersten in Österreich, die von der Musik leben können. Darauf ist er stolz, das betont er, denn das war nicht leicht. Aus seinen Fehlern erwuchs Wissen. Das will Gerard nun teilen. Deswegen hat er das Label FuturesFuture gegründet. »Für junge Künstler ist es wichtig, jemanden zu haben, der selbst schon Erfahrungen gesammelt hat«, erklärt er am Telefon.
Zum Label-Roaster zählen Jugo Ürdens, nicht zu verwechseln mit Voodoo Jürgens, und der Autotune-Narr EDWIN. Beim aktuellen Hype um österreichischen Rap dürften die Erfolgsaussichten von FuturesFuture nicht schlecht sein. »Ich bin da vorsichtig«, sagt Gerard. »Es gibt immer noch nicht viele Österreicher, die auf Tour gehen können. Nicht mal für mich ist das selbstverständlich. Klar, es gibt jetzt diese Youtube-Stars. Aber ob die in fünf Jahren noch aktiv sind?« Fragen wir sie am besten selbst.

Swag Stars

Ewig hallt der ruft des Todes. »Jeeedeermaaann« Zur Festspielzeit fallen Touristen in Salzburg ein. Es regiert die Hochkultur. Pop? Muss man mit der Lupe suchen. Clubs? Gibt es keine. Kunst entsteht oft, um der Langeweile ein Ende zu setzen. Und hier, im Herzen jugendlicher Fadesse, fand 2011 ein Kollektiv zusammen, das den Deutschrap revolutionieren sollte.

Hanuschplatzflow nannte sich der Freundeskreis um Nerds wie Young Krillin, Crack Ignaz und den Produzenten Lex Lugner. Mit der Musik wollten sie sich gegenseitig unterhalten. Nach dem Vorbild des kalifornischen Based God Lil B kreierten sie eine verspulte Art von Trap, die das Dilettieren zur Tugend erhob. »Uns hat gestört, dass die Rapszene so konservativ war«, sagt Lugner. »Wir hörten zwar auch Boombap, aber wir haben gespürt: Das können wir nicht mehr perfektionieren. Es war interessanter, Neues zu entdecken.«
Crack Ignaz sticht hervor. Seit 2015 hat er vier herausragend lässige Alben in Mundart veröffentlicht. Selbst das britische Fact Magazine lobte die »fuzzy quality« seiner Lyrics. Warum Mundart-Rap 13 Jahre nach »Dreckige Rapz« plötzlich Aufmerksamkeit bekommt, weiß niemand. Auch Crack Ignaz nicht: »Ich bin nicht sicher, ob Mundart der Faktor ist. In Kommentaren unter meinen Videos wird oft von einem ‚ekelhaften Weißbierdialekt‘ gesprochen. Aber laut Spotify haben wir mehr Hörer in Hamburg als in Wien. Ich werde nicht schlau daraus.«

Bestimmt hat Sebastian Meisinger etwas damit zu tun. Im Oktober 2010 erschien er uns als Money Boy, ein teigiger Mann in der Verkleidung eines Rappers, der hilflos nach den richtigen Tönen japste. »Dreh den Swag auf« wurde zum viralen Monster. Was alle für einen Witz hielten, erwies sich als hartnäckig. Money Boy schoss einen Track nach dem anderen in die Welt. Offenbar war hier ein Medienkünstler zugange, der sein Handwerk verstand. Auf Twitter sprach er zu seiner wachsenden Fanschar in einem grenzdebilen Geheimjargon – und infiltrierte auch den Mainstream. »Swag«, »I bims« – Money Boy ist Jugendwort.

Sony Music wollte ein Stück vom Kuchen. Doch dieses Phänomen entzog sich traditioneller Vermarktung. Nach drei Jahren beim Major war Money Boy wieder in Eigenregie unterwegs, stellte in atemberaubender Taktung Gratis-Mixtapes ins Netz, schwärmte von Heroin und schmiss Flaschen nach seinem Publikum. Ob er nun ein genialer Method Actor war oder ein verstrahlter Vollidiot, konnte nie geklärt werden. Es war auch unwichtig. Authentizität, Skills, Inhalte – solche Begriffe hatten keine Bedeutung mehr. Hier war jemand, der sich selbst zum Künstler und Geschäftsmann ermächtigte. Ging es im HipHop nicht genau darum?

In Money Boys Windschatten drängte die neue Brut heran: Haiyti aus Hamburg, RIN aus Bietigheim-Bissingen, LGoony aus Köln. Von überall verbreiten sie ihre Vision von Kunst, Chaos und Codein. Dazu brauchen sie nicht mehr als ein MacBook und Internet. Die sozialen Medien bieten ihnen Möglichkeiten, die frühere Generationen nicht hatten. Über Werbeeinkünfte können sie sogar Geld mit der Musik verdienen, solange die Klickzahlen stimmen – und das tun sie. Da mögen die Alten noch so verächtlich die Nase rümpfen. Diese yungen Milchgesichter sind stärker mit der Lebensrealität des 21. Jahrhunderts verbunden als die Türsteher der True School.

Allen voran Yung Hurn, dieser Wiener Schlawiner. Den Beelzebub Realness treibt er mit Albernheit aus. Seine Texte klingen wie flüchtige Gedanken; herausgelallt, als würde die Spritze vom Zahnarzt noch wirken. Rappen oder so. Singen oder so. Sein ganzer Körper ist übersät mit schlecht gestochenen Tattoos, ein Ausdruck des Desinteresses an allem, was Mühe oder Planung erfordert. Damit vermittelt er ein Gefühl der totalen Hingabe an den jeweiligen Moment. Ob er in fünf Jahren noch aktiv ist? Yung Hurn: »Vielleicht habe ich in einem Monat keinen Bock mehr, Musik zu machen. Oder ich begehe Selbstmord. Es ist alles extrem kurzlebig.«

Epilog

Ein letzter Kaffee im Wiener Funkhaus. Hier hat mit »Tribe Vibes« alles angefangen. Heute moderiert Stefan Trischler alias Trishes die Sendung mit seinem Kollegen Phekt. »Ich glaube immer noch nicht, dass Österreich ein fruchtbarer Boden für HipHop ist«, sagt er. »Nicht, wenn man damit Geld verdienen will. Aber das hat einen Vorteil: Es bleibt mehr Platz zum Experimentieren – und dabei entstehen die wirklich spannenden Sachen.«

Im österreichischen HipHop ist jetzt alles möglich. Die Klitclique erfindet Battlerap als feministisches Vehikel neu. Der 13-jährige Salzburger Brown-Eyes White Boy verzaubert mit putzigem Peace-Rap. Und Hunney Pimp schlägt eine unerwartete Brücke zwischen Cloudrap und Schlager. Damit werden sie vielleicht nicht reich, aber gehört werden sie. Denn österreichischer HipHop ist heute überall: in den Städten und auf dem Land, auf den Handys und auf den großen Bühnen. Nur im Museum, da ist er nicht.

Gut so. Da gehört er auch nicht hin.

Text: Reiner Reitsamer
Illustration: Lena Grotefend

Dieses Feature erschien erstmals in JUICE #184 (hier versandkostenfrei nachbestellen).

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