»Big Conspiracy« von J Hus zeigt, wie gut Multikulturalität klingt // Kolumne

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Foto: Crowns & Owls

Zum Einstieg erstmal ein Geständnis: Ich habe das 2017er Album »Common Sense« von J Hus verschlafen (checkt hier die Review). Ein, zwei Videos habe ich geguckt und den jungen aus Ost-London danach als vielversprechendes Talent abgespeichert, mich aber, aus welchen Gründen auch immer, nicht wirklich weiter mit ihm beschäftigt. Bis zum 31. Mai 2019.

Da erschien Skeptas Instant-Classic »Ignorance Is Bliss« samt des Tracks »What Do You Mean?«, der ebenjenen J Hus featurete. Der Song haute mich um. Das Instrumental versprühte »Get rich or die tryin’«-50-Cent-Vibes, die Hook ist perfekt. In der referenziert J Hus säuselt mit Idi Amin und Kim-Jong-un zwei Diktatoren, ohne dass es ungemütlich wird und flowt so eigen und unnachahnbar, dass der Repeat-Button ab dem ersten Hören festgestellt wurde.

2000er-Vibes im 2020er Gewand

Nun erschien also »Big Conspiracy«, J-Hus‘ zweites Soloalbum. Und das hat, Hot-Take-Alert, das Potenzial, in rund elf Monaten ein Top-5-Platzhirsch der Jahresbestenlisten zu sein. Der 23-Jährige knüpft in Sachen Sound dank der Produktionen von JAE5 (der auch schon »Common Sense« designte) an die 2000er-Vibes im 2020er Gewand von »What do you mean?« an. Da sind minimalistische Drums, präzise Basslinien, Strings mit Nullerjahre-Ästhetik und ein gesundes Maß an Live-Instrumentierungen.

Was »Big Conspiracy« musikalisch so gut macht, ist aber der Umstand, dass J Hus und JAE5 es noch stilsicherer meistern, den mitunter sehr klar rappigen Soundentwürfen auf natürliche Art und Weise auch Dancehall- und Afrobeat-Einflüsse gegenüberzustellen. »Die Beats klingen sehr nach Afrobeats und Dancehall, aber ich gebe dem Ganzen einen ganz anderen Dreh, einen UK-Dreh«, sagte er 2017 in einem JUICE-Feature über seinen Stil. Hus‘ gambische Wurzeln verankern sich tief im Soundbild, genau wie dessen Berührungspunkte mit Jamaika. In Stratford, J-Hus‘ Heimatviertel, lebt eine große jamaikanische Community. Und das alles fließt. Alles harmoniert. Afroswing flirtet mit Nullerjahre-Rapschule. »Big Conspiracy« ist ein Paradebeispiel für multikulturelle, weitsichtige Musik. Tanzbare Tracks wie »Play Play« mit Burna Boy oder »Repeat« mit Koffee profitieren eher von klareren Rap-Songs wie »Deeper than Rap« oder »Fight for your right«, als dass die Songs sich gegenseitig die Bühne klauen – und andersrum funktioniert das genauso. Auch, weil J Hus die Kunst der Hooks einfach immer noch so verdammt gut beherrscht.

Foto: William Spooner

Das Album klingt nicht nur ausgereifter, auch J Hus scheint es zu sein. Mehrmals kam der schon wegen des Besitzes oder der illegalen Nutzung von Messern mit dem Gericht in Konflikt. Nach einem mehrmonatigem Knastaufenthalt wurde er im April 2019 entlassen – und stand noch am gleichen Abend mit Drake auf der Bühne in London. Ein Leben zwischen den Extremen. Ähnlich verhält es sich mit der eigenen Identität, die zwischen dem Aufwachsen in England und dem Herz in Afrika hin- und hergerissen zu sein scheint.

Schwere Themen, leichtes Hörerlebnis

Es sind mitunter schwere Themen, die J Hus auf »Big Conspiracy« verhandelt, die aber nie das Hörerlebnis erschweren. Auch, weil er zwischen Geschichten voller Paranoia vor dem Gesetz (»Everybody look like a secret agent / So I say no to drugs like Ronald Reagan«) und der verzwickten Suche nach sich selbst (»I had to play dumb, just to blend in/ Then go to Africa for spiritual cleansing«) völlig unpeinlich wilde Sex-Fantasien mal in britischerem, mal in afrikanischerem Englisch breit und detailliert erklärt und trotz Star-Status immer wieder das durchblicken lässt, was er unterm Strich ja auch ist: Ein 23-jähriger Typ, der Bock auf das Leben und Bock auf Action hat. Rein textlich gewinnt sicher nicht jeder der Tracks einen Schönschreiber-Preis, die omnipräsente Ehrlichkeit und der immer noch unterschätzte Skill, Texte nicht zu zerdenken, machen das aber easy wett.

»Big Conspiracy« ist ein verdammt gutes Album, das sich jede*n Hörer*in verdient.

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