»Wir wollen mit Leuten sprechen und nicht über sie« // Machiavelli-Podcast im Interview

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Seit 2018 gibt es den Machiavelli Podcast von Jan Kawelke und Vassili Golod. Darin sprechen die beiden über Rap und Politik, über Verbindungen dieser beiden Themenfelder, über aktuelle Debatten, über die großen Fragen. Mal mit Gästen aus beiden Bereichen, mal nur zu zweit, bereichern sich Jan und Vassili gegenseitig mit ihrer Expertise im jeweiligen Themenfeld. Aktuell sind sie mit ihrem Podcast auf Tour und haben uns aus diesem Anlass einige Fragen dazu beantwortet, was sie mit ihrem Podcast erreichen wollen und wie man moralische Konflikte in Debatten austrägt.

Euren Podcast gibt es seit anderthalb Jahren. Hattet ihr Befürchtungen, dass ihr euch in einem Podcast über Themenfelder unterhaltet müsst, in denen ihr selbst keine Experten seid?
Vassili: Da uns niemand diese Aufgabe auferlegt hat, sondern wir sie uns selbst gesucht haben, hatten wir diese Befürchtung nicht. Wir haben uns beim Volontariat beim WDR kennengelernt und da schon gemerkt, dass wir super unterschiedlich sind und aus zwei verschiedenen Bereichen kommen, diese Bereiche aber zusammenpassen. Jan aus dem Musikjournalismus, ich aus dem Politikjournalismus. Deshalb habe ich mich von der ersten Folge an total sicher gefühlt, weil ich wusste, neben mir sitzt die geballte Kompetenz, was Rap angeht. Und ich hoffe, dass Jan bei mir und Politik eine ähnliche Gefühlslage hatte.
Jan: Ja. Beide Bereiche sind sehr stark besetzt, mit Meinung, Haltung und Expertise. Natürlich hatte ich auch bei Vassili dieses Gefühl. Wir kennen alle diese Szene und wie gerne da Meinung gemacht wird und wie gerne da Haltungen vorangetrieben werden. Deswegen war es für uns von Anfang an wichtig, dass wir uns aufeinander verlassen können und über Themen sprechen und diskutieren, ohne uns als Experten darzustellen, die unantastbar sind. Wir wollen gerne mit der Community ins Gespräch gehen. Das war meine einzige Befürchtung, dass Leute nicht mitkriegen, dass das unser Anspruch ist. Aber ich glaube das haben wir von Anfang an recht deutlich gemacht, deswegen hat sich diese Befürchtung schnell zerstreut.

Ihr versucht eure Inhalte ja so herüberzubringen, dass man weder Rap- noch Politikexpert*in sein muss, um euren Podcast zu verstehen. Gleichzeitig wollt ihr auch Expertise und Tiefe vermitteln. Wo liegen da die Schwierigkeiten?
Vassili: Ich sehe da keine Schwierigkeiten, weil bei jedem Thema, was wir bis jetzt gemacht haben, diese Schnittstelle zwischen beiden Bereichen sehr offensichtlich war. Was vielleicht Leute, die einen der beiden Bereiche nicht gut kennen, auf den ersten Blick abschreckt, ist für uns naheliegend. Und wie bei jedem anderen journalistischen Produkt recherchieren wir und gucken für den jeweils eigenen Bereich, was dort relevant ist, wie man es herunterbricht und erklärt. Der große Vorteil ist, dass auf der anderen Seite die unwissende Person ist. Wenn Jan irgendetwas erzählt und ich verstehe es nicht, dann frage ich halt nach und er muss es erklären. Und genauso, wenn ich anfange mit Blick auf Politik rumzunerden. Dann geht er mir dazwischen und fragt nach. Durch diese Kombination decken wir beide Bereiche gut ab.
Jan: Es ist auch wichtig, da eine Ehrlichkeit drin zu haben, keine Scham zu haben und dumme Fragen zu stellen. Das war von Anfang an eine Maxime, auch als wir uns kennengelernt haben und angefangen haben, darüber zu sprechen. Diese Basic-Fragen stellen zu können und dafür nicht ausgelacht zu werden, sondern eine ernsthafte, aufrichtige Antwort zu bekommen. Damit versuchen wir auch weiterhin die Herausforderung auszugleichen.

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In der Redaktion haben wir uns über die Spiegel-Titelstory gewundert, wo sich ganze 13 Leute an einen Artikel gesetzt haben und es trotzdem nicht geschafft haben, dieses Thema differenziert für die breite Masse aufzuarbeiten.
Jan: Ja und diese 13 Leute, ohne da jemandem nahe zu treten zu wollen, waren größtenteils weiß, deutsch…
Vassili: Jan, du bist aber auch weiß und deutsch und trotzdem checkst du die Kultur.
Jan: Ja genau und jetzt kommt der letzte Punkt, den ich dazu sagen wollte: Sie sind alle nicht aus der Szene. Ich bin sehr stolz auf die gute Generation an jungen Musikjournalist*innen, die wir gerade haben. Und es wäre sehr einfach gewesen, den einen oder anderen zu kontaktieren oder sogar ins Team zu holen und zu sagen: »Ey, sind wir da gerade auf der richtigen Spur, oder nicht?« Und wenn man sich den Text durchliest und man sieht, dass Insider-Vokabeln durcheinandergewürfelt werden, oder diesen kurzen Absatz über Asap Rocky liest, dann merkt man… Wie man so schön sagt: It shows. Man merkt sehr deutlich, wer an diesem Text geschrieben hat und was das Problem an diesem Autorenteam ist. Dreizehn Leute, das ist wirklich ein verdammt großes Team und ich finde dieser Text wird dem aktuellen Status Quo im Deutschrap nicht gerecht.
Vassili: Aber wisst ihr, was das Problem ist? Ich habe mich selber beim Lesen dieses Textes reflektiert und vor anderthalb Jahren hätte ich einen Text über Rapper wahrscheinlich ähnlich geschrieben. Wahrscheinlich hätte ich noch mit mehr Leuten gesprochen und er wäre hoffentlich doch ein bisschen besser geworden, aber ich habe damals Rap nicht als Kultur verstanden. Für mich waren das irgendwie coole Typen, die dicke Autos fahren und sexistisch sind. Eben die Stereotypen, die man mitbekommt, wenn man die normale Berichterstattung verfolgt. Das habe ich auch zu Jan in unserem ersten Gespräch über den Artikel gesagt: Die checken die Kultur nicht. Ich glaube, es ist ein wichtiger Punkt, dass man versteht und anerkennt, dass es eine Kultur ist, die für viele Menschen sehr relevant ist und dass man diese Kultur respektiert. Genauso wie man Religionen respektieren sollte, auch wenn man Atheist ist.
Jan: Und dass diese Kultur sehr viel ausdifferenzierter ist, als sie im Artikel dargestellt wird, und nicht eindimensional. Das erwarten wird ja auch vom Spiegel und anderen journalistischen Medien, dass verschiedene Perspektiven gezeigt werden, dass in die Tiefe gegangen wird. Da bleibt allerdings vieles an der Oberfläche und Gangsta-Rap wird als Synonym zu Rap verwendet und das finde ich ein großes Problem.
Vassili: Auch die ersten Sätze am Anfang, in denen sich der Vater fragt, wann er denn seinen Sohn verloren hat.
Jan: Das ist auch eine Umkehr der Verantwortungsverhältnisse. Entschuldige mal, aber wenn dein Sohn dich respektlos behandelt und dich »Digga« nennt, dann ist das doch nicht die Schuld von irgendwelchen Gangsta-Rappern, sondern vielleicht ein Problem deiner Erziehung.

Um solche Oberflächlichkeiten zu vermeiden, habt ihr in eurem Podcast ja auch regelmäßig Gäste. Wann denkt ihr bei Themen, dass es Gäste braucht und wie kann man sich die Personenfindung vorstellen?
Jan: Unsere oberste Maxime ist, dass wir immer vom Thema ausgehen. Was ist relevant und wichtig zu besprechen? Wenn wir dann ein Thema haben, fragen wir uns, wer der richtige Gesprächspartner wäre, um darüber zu reden. Und mit welcher Kombination schafft man es vielleicht auch, dem Thema gerecht zu werden. Zum Beispiel beim Podcast zu Gerechtigkeit waren sowohl Maxim von K.I.Z als auch Gregor Gysi gute Gesprächspartner. Wenn es Folgen sind, wo wir sagen, dass sie sehr emotional und sehr komplex sind, dann brauchen wir eine Rolle, die über ein Gespräch hinausgeht und wollen dafür Expert*innen befragen, um dann den Podcast am Ende zusammenzusetzen, um ein stimmiges Bild zu erzeugen.

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Sind Gäste im Podcast auch ein guter Weg, um zum Beispiel einen Philipp Amthor aus seiner Meme-Rolle herauszuholen und auf einer ernsthafteren Ebene zu zeigen?
Vassili: Absolut. Ich halte das für beide Bereiche für essenziell und Philipp Amthor ist da ein gutes Beispiel. Der Typ ist in erster Linie ein Bundestagsabgeordneter, der nicht irgendwie über die Liste reingekommen ist, sondern sich im Osten des Landes direkt gegen einen AfD-Kandidaten durchgesetzt hat. Man muss das wissen, um Philipp Amthor zu verstehen und sich außerdem mit seiner Person und seiner Arbeit auseinandersetzen. Genauso wie wir uns auch nicht oberflächlich mit den Texten eines Credibil auseinandersetzen, sondern diese mit ihm in Frankfurt besprechen. Wir nehmen unsere Gäste aus beiden Bereichen ernst. Wir laden Philipp Amthor nicht ein, um neue Memes zu kreieren, sondern um zu verstehen, warum er so ist, wie er ist.

Welche Leute erreicht ihr mit dem Podcast? Die Themen, die ihr besprecht, sind ja nicht nur für eine jungen Generation interessant, sondern gerade auch für Leute, die von Themen direkt betroffen sind und wie beispielsweise Trettmann noch in der DDR großgeworden sind.
Jan: Unsere Zielgruppe ist schon sehr ausdifferenziert, das haben wir auch bei unserer ersten Liveshow gesehen. Es gibt viele junge Leute, es geht aber hoch bis zu meiner Elterngeneration. Natürlich sind es Rapheads und Leute, die sich schon gerne mit Politik auseinandersetzen und viele sagen auch, dass wir mit dem Podcast die beiden Themen vereinigen, die ihr Leben bestimmen. Es gibt aber auch Leute, die sagen, dass sie vorher mit beidem nichts zu tun gehabt haben und sich den Podcast trotzdem gerne anhören, weil sie durch die Kontexte mehr von der Welt verstehen. Das ist ein total schöner Gedanke. Es ist schon sehr durchmischt und damit kommen wir zu dem Anfangspunkt zurück, denn es ist natürlich eine Herausforderung, diese Leute in der Ansprache zusammenzubringen. Nicht zu viel Wissen vorauszusetzen, aber die Insider auch nicht zu langweilen. Ich glaube ein Podcast ist dafür ein gutes Medium für die, die sich in bestimmten Bereichen schon auskennen, um nochmal neue Aspekte dazuzulernen und andere Blickwinkel einzunehmen.
Vassili: Uns haben auch viele Leute geschrieben, dass sie sich nicht so richtig für Politik, noch für Rap interessieren, aber bestimmte Themen sehr interessant fanden und sie sich deswegen eine Folge angehört haben. Es gab auch Leute, die gesagt haben, dass sie wegen dem Podcast in eine Partei eingetreten sind, weil Diana Kinnert in der Folge mit Sookee leidenschaftlich dafür argumentiert hat, warum es wichtig ist, in einer Parteiendemokratie Teil einer Partei zu sein. Ich finde es super krass, wenn wir es schaffen, dass Leute am demokratischen System partizipieren. Das muss nicht die Parteimitgliedschaft sein, Jan und ich sind ja auch keine Parteimitglieder, aber ich finde es schön, wenn unser Podcast die Menschen dazu bringt, sich zu engagieren.
Jan: Gerade zuletzt haben wir auch viele Nachrichten von Lehrer*innen bekommen, die bestimmte Folgen im Unterricht einsetzen, um ihnen bestimmte Themen nahezubringen. Für uns sind solche Sachen wie Workshops auch total bereichernd, um mal aus unserer Bubble herauszukommen und mit anderen Leuten ins Gespräch zu kommen. Da merkt man, dass sich die Leute teilweise mit anderen Themen beschäftigen.
Vassili: Die Debatten, die für uns vielleicht schon durch sind, zum Beispiel Thema Gzuz und 187, wo man weiß, wie man dazu steht, sind dort nicht so bekannt oder werden ein wenig abgetan. Das ist spannend und macht uns nachdenklich, wie Leute mit solchen Themen umgehen.

»Wir wollen Künstler nicht ausklammern, die wir vielleicht problematisch finden, sondern mit den Leuten sprechen und nicht über sie«

Jan Kawelke

Sind eure anstehende Tour und die Festivals, die ihr im letzten Sommer mitgenommen habt, die ideale Möglichkeit, einen Austausch oder Diskurs mit euren Hörer*innen anzuregen?
Vassili: Absolut. Wir schreiben unseren Hörer*innen immer wieder, dass sie nach der Show gerne zu uns kommen können. Wir wollen das und finden es total wichtig. Es ist nicht unser Interesse, einfach in die Leere zu senden. Das, was wirklich Spaß macht, ist der persönliche Austausch. Und das hat Jan ja schon am Anfang gesagt: Wir sind nicht die Allwissenden und wollen nicht so enden wie Leute, die meinen, sie wissen alles besser als andere. Wir wollen lieber den Austausch.

Foto: Nils vom Lande

Mit 3Plusss habt ihr in einer Folge über moralische Grenzen diskutiert. Ihr selbst habt auf eurer Tour Finch Asozial zu Gast, der für sexistische Texte und ein teilweise rechtes Publikum kritisiert wird. Wie geht ihr mit so einem konfliktreichen Thema um?
Jan: Ich glaube das ist generell eine Frage, die aktuell viele Rapfans umtreibt. Viele haben ein großes Interesse an Kontext und Wissen und wollen, dass Dinge eingeordnet werden und über diese moralischen Fragen gesprochen wird. Sie lieben die Musik, aber schütteln bei manchen Texten mit den Köpfen. Es besteht großer Bedarf und wir finden, dass ein Gespräch sehr wichtig ist. Wir wollen Künstler nicht ausklammern, die wir vielleicht problematisch finden, sondern mit den Leuten sprechen und nicht über sie. Sonst laden wir irgendwann nur noch die woken, linken Rapper*innen ein und drehen uns im Kreis. Das ist nicht, was wir wollen. Wir haben für uns eine Grenze formuliert, dass wir nicht irgendwelchen rechtsradikalen Nazi-Rappern eine Plattform bieten wollen. Das gilt auch auf politischer Seite. Aber für alles, was sich im demokratischen Spektrum bewegt, wollen wir herausfinden, was die Leute antreibt, motiviert und wie sie ihre Einstellung argumentieren. Wir hatten auch schon Rapper im Podcast, mit deren Meinung wir vielleicht nicht komplett übereinstimmen, aber das Gespräch ist wichtig.
Vassili: Wir scheuen diese Kontroversen nicht. Wir haben ja auch das Beispiel Trettmann gehabt und überlegt, wie wir mit diesem Thema umgehen. Auf der einen Seite macht er einen Track wie »Stolpersteine«, ein politischer Song zur Erinnerungskultur, und auf der anderen Seite hat er Gzuz auf dem Album, was auf vielen Ebenen problematisch ist. Wir ignorieren so etwas nicht, wir fanden aber, dass das eine nicht in unsere Folge passt, die wir mit Trettmann über den Ostdeutschland gemacht haben. Daher hat Jan die Fragen in einem anderen Interview gestellt, das im Programm von Cosmo lief. Und das ist Demokratie: Keine Angst davor zu haben, kritische Fragen zu stellen. Das ist unser Job und das machen wir in diesem Format und auch mit Künstlern wie Finch Asozial. Diese Reibung ist auch etwas, das mir sehr viel Spaß macht.
Jan: Es geht auch nie darum zu sagen, das hier ist unser erklärter Gegner, weil wir mit seiner Position nicht übereinstimmen. Es ist nie unser Anspruch, die Leute in eine Ecke zu drängen und mit unserem moralischen Zeigefinger fertig zu machen. Wir wollen verstehen, was die Leute zu ihren Ansichten bringt und darüber diskutieren.

Wenn ihr auf das neue Jahr schaut, welche Themen liegen euch 2020 am Herzen und welche werden ihren Platz im Machiavelli Podcast finden?
Jan: Ein Event, das uns ganz besonders anzieht, sind natürlich die Wahlen in den USA. Unsere Kultur kommt von da, prägt dieses Land und schon beim letzten Mal gab es sehr viele Rapper, die sich politisch geäußert haben. Das ist ein Thema, was wir auf dem Schirm haben und sehr gerne bearbeiten werden.
Vassili: Politisch gibt es natürlich mehrere Themen. Klima bleibt nach wie vor ein riesiges Thema, ich bin mir nach einigen Gesprächen mit Rapper*innen auch sicher, dass Musik mit einer klaren Haltung in diese Richtung kommen wird. Der Brexit in Großbritannien bleibt weiterhin wichtig und wird von den Grime-Artists dort kritisch betrachtet. Und wenn man es auf eine Meta-Ebene hebt, so wie wir es auch in der ersten Folge des neuen Jahres gemacht haben, wird die Form, wie wir diskutieren, alle Bereiche prägen. Egal ob Klima, Wahlkampf in der USA, UK oder Umweltsau-Debatte in Deutschland.
Jan: Ich glaube, es wird selbstverständlicher, dass Rapper*innen Positionen beziehen. Das war im letzten Jahr schon stark und es wurde ein neuer Sound dafür gefunden. Zuletzt waren »216« von OG Keemo, »Stolpersteine« von Trettmann, »Paradox« von Keke, oder »Dunkles Kapitel« von Max Herre krass gute Songs, die auch musikalisch Bock machen. Ich glaube, dass so eine politische Positionierung immer normaler wird.
Vassili: Word!

Interview: David Regner

Hier findet ihr alle Tourdates des Machiavelli Podcasts in der Übersicht.

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