ASD: »Die JUICE gehört nicht nur der JUICE. Die JUICE gehört uns allen.« //#20JahreJUICE

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»Die sagen ja nicht sofort: ‚Ich hasse Neger und haue jeden Tag welche.’« (samy deluxe)

Ein Aspekt der Weiterentwicklung ist für mich, dass du zum ersten Mal so richtig über dich und deine Gefühle sprichst (auf dem Track „Vaterlos“ mit D-Flame).
Samy: Das stimmt nicht so ganz. Denn bei meinem Track mit Brooke und Desue auf dem Brother’s Keepers-Album geht es z.B. darum, wie ich aufgewachsen bin, ohne genau zu wissen, wo ich hingehöre. Der war mir eigentlich noch wichtiger. Und was „Vaterlos“ angeht, weiß ich im Moment noch gar nicht, ob das Stück auf das Album kommt, weil es eigentlich schon viel zu konkret ist. Ich habe den Text damals eben ohne einen gewissen nötigen Abstand aus dem Gefühl heraus geschrieben.

Apropos Brother’s Keepers: Erzählt von der Tour durch ostdeutsche Schulen, die ihr im Anschluss an das Projekt gemacht habt.
Samy: Die Schultour war so eine Art Praxis nach der Theorie. Die Platte war als erster Schritt wichtig, aber wenn man schon immer davon redet, Leuten zu helfen, sollte man natürlich auch dort hingehen, wo es die Probleme gibt, und nicht immer nur versuchen, vom Schreibtisch aus die Welt zu retten. Für uns war das auf jeden Fall hart. Es war ja eine Schultour, und fing daher natürlich auch zu Schulzeiten an. Deswegen haben wir die Schule früher gehasst, weil sie so scheiße früh losging. Das war damals schon hart, und ist heute natürlich noch härter, weil Mama einem nicht sagt, wann man ins Bett zu gehen hat, und man die Entscheidung meistens falsch trifft. Wir sind also immer um fünf aufgestanden haben dann meistens zuerst eine Pressekonferenz mit Lehrern, Schulsprechern, Direktoren und manchmal noch dem Bürgermeister gegeben. Schon da haben wir oft gemerkt, dass das Problem extremst unter den Tisch gekehrt wird. Das ging dann immer so los von wegen „bei uns ist da ja überhaupt nichts, und war mal schlimmer und so“. Am ersten Tag dachten wir ach so, ist ja gar nicht so schlimm; auch als wir in die Klassen gekommen sind. Die sagen ja dann nicht sofort: „Ich hasse Neger und haue jeden Tag welche.“ Die Sprüche, die sonst wahrscheinlich untereinander fallen, sind bei uns erst nach richtig langem Rauskitzeln gefallen, und dann wahrscheinlich auch noch in sehr geminderter Form. Aber es hat gereicht, um merken dass rassistisches Gedankengut zwar nicht überwiegt. aber zumindest da ist, und es meistens auch keine Alternativen für diese Leute gibt. Ich habe auf jeden Fall gelernt, das Problem besser zu verstehen, und vor allem auch, wie wichtig dieser direkte Kontakt ist. Da zu sein und miteinander zu reden, darum geht es doch, oder? Ich würde auf jeden Fall eher noch eine Schultour machen als noch eine Brother’s Keepers-Platte.

»Ich würde auf jeden Fall eher noch eine Schultour machen als noch eine Brother’s Keepers-Platte.« (SAMY DELUXE)

Wie steht ihr zu anderen Versuchen wie dem Buch von Hannes Loh und Murat Güngör?
Samy: Ich hab’s nicht gelesen.
Afrob: Also (überlegt), was da drin steht, stimmt. Und wie man mit der Information umgeht, muss jeder für sich selbst wissen. Sie haben es auf ihre Art und Weise gemacht, und ich finde es grundsätzlich gut, dass diese Tendenzen mal jemand zur Sprache bringt.
Samy: Ich fand es auch immer schade. dass innerhalb der Szene nie so richtig viel Support da war für solche Themen. Ich freu mich über jede Graffiti-Seite und nichts gegen den Battle of the Year, aber ich denke halt, dass Themen, die echt gesellschaftliche Relevanz haben, eigentlich eine größere Plattform verdient hätten.
Afrob: Ich will euch nicht vorschreiben, was ihr zu schreiben habt, aber ich habe mir schon auch gedacht, dass ihr früher und größer darüber hättet berichten können. Ihr habt als Magazin so eine Macht, und damit auch eine Pflicht. Weißt du, die JUICE gehört nicht nur der JUICE. Die JUICE gehört uns allen.

»die JUICE gehört nicht nur der JUICE. Die JUICE gehört uns allen.«(Afrob)

Samy: Es ist immer eine zwiespältige Sache, wenn sich Kultur und politische Fragen so vermischen. Wir sind da erst neulich wieder drauf gekommen, als wir über „8 Mile“ geredet haben. Einerseits war ich derbe geflasht von dem Niveau der Raps dort, aber anderseits habe ich mir gedacht, ob nicht die End-Message, so von wegen ich mache mein eigenes Ding in einer schwarzen Szene, bei vielen wieder das Selbst-bewusstsein hebt, wo es eigentlich nicht ange-bracht ist. Ich meine, Eminem ist viel zu schlau dafür, zu glauben, dass es darum geht, und er hat auch nie etwas Schlechtes über Schwarze gesagt. Aber ich kann mir vorstellen, dass das viele Leute so für sich deuten werden. Natürlich gibt es Schwarze in Deutschland, die sich sagen: „Man macht sich doch verrückt, wenn man hier alles auf rassistisch sieht, wir wollen doch hier einfach nur leben.“ Aber wir reden ja auch nicht die ganze Zeit darüber, wie übelst rassistisch hier alles ist. Und wenn wir es ab und zu ansprechen, ist es unser Recht.

»Ich freu mich über jede Graffiti-Seite und nichts gegen den Battle of the Year, aber ich denke, dass Themen, die gesellschaftliche Relevanz haben, eine größere Plattform verdient hätten.« (SAMY DELUXE)

Woran liegt es, glaubt ihr, dass gerade diejenigen, von denen man eigentlich erwarten müsste, dass sie das Rap-Ding für sich nutzen, immer noch nicht so richtig dabei sind. Ich meine, eine massive türkische Rap-Szene gibt es in Deutschland immer noch nicht.
Samy: Akzeptanz. Es fehlt einfach an Akzeptanz.
Afrob: Ja genau, mangelnde Akzeptanz gegenüber sprachlichen Defiziten. Die deutsche Rap-Szene suggeriert echt, dass man sich verpissen kann, wenn man nicht tausend Doppelreime ineinander schachteln kann und das Vokabular eines Anwalts hat. Ich sehe das ja auch bei mir, wenn die Leute sagen: „Der kann doch gar nicht lesen, war der überhaupt auf der Schule?“ Na und? Dann war ich halt nicht auf der Schule. Was soll der Scheiß? Ich habe sogar einen Realschulabschluss…
Samy: …ich auch! (lacht.)
Afrob: Zwar einen abgefuckten, aber immerhin Realschulabschluss. (lacht.) Nur haben ja viele nicht einmal die Möglichkeit, richtig Deutsch zu lernen. Da ist es doch verständlich, dass die meisten eben das Gefühl haben, nicht reinzupassen in die Szene und da nicht hinzugehören. Nimm doch hier diesen Maskoe aus Hamburg. Ich fand den cool. Okay, er hat vielleicht ein bisschen oft „so“ und „weissu“ gesagt, aber ab und zu, die Sachen zwischendrin — ich weiß genau, was der meint. Der war halt ein bisschen nervös oder vielleicht kann er’s auch nicht besser. Aber das gibt einem noch lange nicht das Recht, sich über ihn lustig zu machen.
Samy: Das ist ja auch kein Problem, das nur Ausländer trifft. Es gibt ja auch viele Deutsche, die einfach aufgrund ihres gesellschaftlichen Status kein besonders gutes Deutsch sprechen. Trotzdem glaube ich, dass es gerade für Ausländer wichtig ist. sich gut auszudrücken zu lernen, um sich besser repräsentieren zu können. Es ist einfach wichtig. dass die Leute einen respektieren für das, was man im Kopf hat, und dass sie sich einen dummen Spruch nicht nur deswegen verkneifen, weil man fett Muskeln oder ein dickes Auto hat. Sprache ist eigentlich das wichtigste Integrationsmerkmal einer Kultur! Es ist ja auch für uns ein Problem, dass wir die Sprache unserer Heimatländer nicht sprechen, und zumindest ich will auf jeden Fall noch ein bisschen Arabisch lernen.

»Die Keule von diesem Interviewer war so verlegen am Rumkichern, und irgendwann fragt sie, ob sie mal meine Haare anfassen darf.«(Afrob)

Warst du schon einmal im Sudan?
Samy: Ja, einmal, 1994. Da habe ich auch erst richtig meinen Vater kennen gelernt. Und auch noch 100 andere Verwandte, alle am ersten Abend. Bei den Namen, die man so kennt, Ali und Mohammad und Racheed und so, ging das ja noch, aber 60 von denen hatten halt so Namen, die ich noch nie gehört hatte. Und man will ja auch höflich sein, und alle Namen behalten, aber das ging gar nicht. War aber trotzdem eine heftige Erfahrung für mich, zu sehen, was ich für eine Riesen-Familie habe, und wie wichtig für die Leute dort Familie ist. Das Einzige eigentlich. Für die ist das natürlich manchmal auch eine Last. Meine Cousins zum Beispiel, die sind alle so 18, 19. Die haben mir erzählt, dass die Frauen da draußen auch alle Bock auf Sex haben, aber dass man nirgendwo einen Platz findet, weil alle bei ihren Eltern wohnen, bis sie verheiratet sind. Die leiden da natürlich unter solchen Dingen, aber für mich war dieses Familiending wirklich beeindruckend.
Afrob: Für mich war das schon komisch, als ich nach Eritrea geflogen bin. Das war ’92, gerade mal zwei Jahre nach dem Krieg. Komisch zum einen natürlich, weil ich kein Tigrinya spreche. Aber es war auch schwierig mit den Menschen dort, als jemand, der aus Deutschland kommt, sich den Arsch breit gesessen hat und Capuccino im Hotel trinkt, während draußen das Geld nichts wert ist. Meine Mutter ist als politisch Verfolgte geflohen und hat mich in Italien zur Welt gebracht. Mit drei Monaten bin ich nach Deutschland gekommen. Für mich war in Eritrea vieles sehr fremd, dass da überall noch Panzer auf der Straße standen. Die Menschen dort kennen nichts anderes. Das ist Ostafrika, Alter. Das kann man überhaupt nicht vergleichen.
Samy: Es ist ja auch nicht so, dass sich die Afrikaner alle untereinander mögen. Da gibt’s auch übelsten Rassismus.
Afrob: Die Ostafrikaner sind die allerschlimmsten. Weißt du, Hochkultur und so, und von wegen die Westafrikaner (lacht).
Samy: Meine Cousins sind noch dunkler als Afrob, und als da einmal ein paar schwarzafrikanische Kinder auf der Straße gespielt haben, die übrigens heller waren als sie selbst, da haben sie gleich gesagt: „Kuck mal, die Nigger.“ Die denken, weil sie noch arabisches Blut in den Adern haben, sind sie anders. Da habe ich mir nur gedacht, ihr Idioten, kommt einmal da hin wo ich wohne, und ihr seid auch Nigger (lacht). Ich habe gerade so ein Theaterstück von afrikanischen Kids gesehen, das immer von einer Gruppe Iranern unterbrochen wurde, die das eigentliche Stück kommentiert haben. Die haben total lustig mit allen Klischees gespielt, indem sie zu jeder Szene immer nur so Sachen gesagt haben wie: „Ihr könnt euch sehr gut bewegen, eure Frauen sind sehr hübsch.“
Afrob: Dieser Positivrassismus geht einem genauso auf die Nerven, weil das immer Komplimente sind, die man eigentlich gar nicht haben will.
Samy: Darf ich mal deine Haare anfassen (lacht)?
Afrob: Du machst Jokes, aber mir ist das schon passiert. Im Interview! Die Keule von diesem Interviewer war die ganze Zeit immer schon so verlegen am Rumkichern, und irgendwann fragt sie dann, ob sie mal meine Haare anfassen darf. „Klar“, hab ich gesagt, „wenn du mich auch mal irgendwo anfassen lässt. Aber wo ich will.“ (lacht).

Fotos: Philipp Rathmer

Dieses Interview erschien erstmals in JUICE #59 (Dezember 2003). Weitere legendäre Features aus 20 Jahren JUICE-Geschichte findet ihr hier.

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