Changing the (Rap-)Game: Frauen übernehmen // Feature

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Frauen im Rap sind zwar kein Novum, bleiben aber auch 2016 ein Politikum. Dabei liegt die größte Provokation nicht darin, dass sie rappen, sondern dass die meisten Rapperinnen People Of Color, weiblich und selbstbewusst sind. Wir sprechen von Menschen, die aufgrund ihres Geschlechts von ihrer Außenwelt in die Schranken gewiesen werden. Und dieser Umstand zieht sich nicht nur durch die HipHop-Kultur, sondern durch die gesamte Gesellschaft. Es geht stets um Körperpolitik. Ein Produkt männlicher Erziehung.

Rap ist provokant, und zwar geschlechterunabhängig: Wenn Lil Wayne sich oberkörperfrei und mit Goldketten behängt vor einer fetten Karre zeigt und über Bitches rappt, gibt das keinen Abzug bei den Ratings großer Musikblogs. Wenn Nicki Minaj ihren Körper ebenfalls ungeniert, selbstbewusst und vor allem selbstbestimmt inszeniert, dann gibt sich AllHipHop.com-Gründer Chuck Creekmur pikiert über die Freizügigkeit in »Anaconda« und veröffentlicht einen betroffenen Brief, macht sich sogar Sorgen hinsichtlich ihrer jugendgefährdenden Messages. Und das ist nur einer von vielen Doppelstandards in der Musikindustrie.

In der Majorlabel-Welt, wo Verkaufszahlen und Profit oberste Priorität haben, dominiert in Lyrics und Videos das Bild der Frau als sexuell stets verfügbares Objekt. Und warum? Weil es sich gut verkauft – siehe Bushido, 2 Chainz, Waka Flocka Flame, Lil Wayne und viele andere. Der Anteil an Frauen im Mainstream-Rap bleibt dabei vergleichsweise marginal. Die ­wenigen, die sich durchsetzen konnten, nehmen einen Sonderstatus ein. Und eben weil nur so wenige Frauen das Bild des selbstbestimmten weiblichen Rapstars prägen, stehen diese unter besonderer Beobachtung. Wenn Erfolg dann mit Freizügigkeit einhergeht oder die Körper der Künstlerinnen keine Modelmaße aufweisen, ist Bodyshaming an der Tagesordnung, indem die Frauen als Huren oder fett diskreditiert werden. Doch in den letzten Jahren zeichnet sich eine positive Tendenz ab: Immer mehr Künstlerinnen nutzen neue, selbstbestimmte Strategien, um im Game zu bestehen.

Soziale Medien, Streaming-Dienste sowie kostengünstige Produktionsstandards haben Künstlerinnen Möglichkeiten eröffnet, autonomer Musik zu machen, sich deutlich leichter selbst zu vermarkten und dadurch den eigenen Karriereverlauf entscheidend mitzubestimmen. Erfolg ist längst nicht mehr ausschließlich von einem Plattenvertrag abhängig. Ob DIY, eigenes Label, Indie oder Major – an oberster Stelle steht vor allem die künstlerische Autonomie. Gemein ist allen Künstlerinnen dabei, dass sie sich nicht wie Objekte behandeln lassen und sowohl ihre Musik als auch ihre Outfits und Ästhetik kompromisslos ihren eigenen Vorstellungen entsprechend präsentieren. Die Message ist klar: Es gibt Wege aus der bisherigen Misere.


 
So stellte die kanadisch-schwedische Rapperin Tommy Genesis die DIY-produzierten Raptracks ihrer ersten Band Moan einfach ins Netz und landete daraufhin auf dem Schirm von Awful-Records-Labelkopf Father und Produzent KeithCharles Spacebar. Die daraus resultierende Zusammenarbeit mit Awful kann als Paradebeispiel dafür verstanden werden, wie kleine Labels funktionieren: Menschen finden sich cool, also kollaborieren sie – so bieten DIY-Labels wie Awful auch Frauen ohne große Budgets eine Plattform. Frauen, die sich nicht bloß Männervorstellungen entsprechend präsentieren, gelten hier nicht ausschließlich als finanzieller Risikofaktor. Und wo noch keine Finanzierung steht, wird eben improvisiert.

Anders sieht es da bei den Majors aus. Rapperin Trina spricht im Dokumentarfilm »My Mic Sounds Nice: The Truth About Women In Hip Hop« von Ava DuVernay aus dem Jahr 2010 davon, dass die Kosten für Styling und Kostüme angeblich einen erheblichen Risikofaktor für Labels darstellen. Erik Nieson, amerikanischer Professor für amerikanische Kultur und HipHop in Richmond, zweifelt diese wirtschaftliche Argumentation an und sieht das Problem eher ideologisch begründet: Anhand von Rap-Ikone MC Lyte argumentiert er, dass die jahrelange Abwertung von Frauen im Mainstream-Rap dazu beigetragen habe, einen Musikmarkt zu formen, der Frauen nicht ernst nimmt.

Zu behaupten, Indielabels würden Frauen per se ernster nehmen, wäre natürlich eine unscharfe Verallgemeinerung. Letztlich hängt das stets von den einzelnen Akteuren ab. Die Wahl eines Indielabels kann dabei unterschiedlich motiviert sein: Während die Bande der beiden Awful-Girls Tommy Genesis und Abra zu ihrem Label organisch gewachsen sind und sich nicht explizit gegen Majors richten, haben Künstlerinnen wie D∆WN (Dawn Richard) und die schwedisch/ex-jugoslawische Rapperin Gnucci dezidiert die Zusammenarbeit mit Majors ausgeschlagen und verstehen das als Akt der Selbstermächtigung. Im Interview vor ihrer Berlin-Show erzählt Gnucci: »Für meine ersten beiden EPs habe ich mit Sony kollaboriert, um herauszufinden, wie das Game funktioniert. Jetzt habe ich mein eigenes Label – und damit die gesamte kreative Kontrolle.«


 
Bei Gnucci und D∆WN zeichnet sich aber deutlich ab, dass auch Independent-Künstlerinnen den Musikmarkt als Business wahrnehmen müssen. Die Sängerin D∆WN, die gerade ihr Album »RedemptionHeart« veröffentlicht hat, versteht sich trotz ihrer Liebe für die Musik als Geschäftsfrau: »Ich habe ein Unternehmen, das ich um meine Musik herum aufgebaut habe: Ich zahle meine eigenen Produktionen, meine Tänzerinnen und Tänzer sowie meinen Tourmanager.« Maximale Autonomie gleich maximales Risiko.

D∆WN wollte sich nicht vorschreiben lassen, wie aufwändig ihre Albumproduktionen sein dürfen, welcher Song auf ein Album darf und wer ihre Musikvideos dreht. Die Entscheidungshoheit darüber zu behalten, ist aber nur durch Unabhängigkeit möglich, und die birgt finanzielle Risiken. Clevere Majorlabels nutzen das aus, wenn sie Künstlerinnen wie Angel Haze oder Kreayshawn signen, die ihre Karrieren selbst etabliert haben. Statt ihnen einen guten Kar-rierestart zu ermöglichen, erwarten die Labels, dass die Künstlerinnen ihre Fanbase bereits mitbringen, sich selbst vermarkten können und schlimmstenfalls noch für die Produktionen aufkommen. Das ist neoliberale Realität. Das wirklich Fatale daran ist, dass sowohl Angel Haze als auch Kreayshawn mit Verschiebungen ihrer Releases abgestraft wurden, was sich deutlich auf ihre Verkaufszahlen niedergeschlagen hat. Da bleiben Künstlerinnen wie D∆WN lieber gleich independent, wenn sie das Anfangsrisiko eh alleine tragen müssen.

Autonomie kann, wie im Fall von Tommy Genesis, aber auch von Seiten des DIY-Labels gewollt sein, weil Künstlerin und Label gerade deshalb so gut zusammenpassen und damit die eigene Credibilty in der Szene gestärkt wird. So haben Tommy Genesis und Labelchef Father ihr eigenes Genre erfunden, das sie als Fetisch-Rap bezeichnen. Genesis richtet ihre Perspektive dabei auf ihr bisexuelles Begehren. Im Song »World Vision« rappt sie: »Ima lick her pussy, Ima lick it good/Ima lick her tummy, Ima lick her hood.« Und im Song »Angelina«: »But she don’t know that I went from cunt to dick early this month.« Die Lyrics rücken ihre sexuellen Gelüste ins Zentrum ohne mit dem Male Gaze, der männlichen Sicht, zu brechen, sondern vielmehr damit zu spielen. Tommy verfolgt keine explizite politische Agenda, wie sie bei Young M.A oder Princess Nokia zu finden ist. Weniger emanzipativ macht sie das zwar nicht, aber subtiler. Es wird spannend zu sehen sein, wie sie diesen Weg auf ihrem zwar lange angekündigten, aber bisher noch unveröffentlichten Album »World Vision 2« weitergehen wird.


 
Die gerade erwähnte Princess Nokia hat 2016 einen ähnlichen Start hingelegt: Erst ging ihre Single »Tomboy« im Mai viral, dann folgten ein Album und eine ausverkaufte Europatour im Herbst. Das alles hat sie komplett ohne Label durchgezogen: »Ich bin meine eigene Marke. Ich bin nicht in der Musikindustrie, ich bin meine eigene Industrie. Mein Rat an junge Frauen: Vertreibt eure Musik selbst und bleibt unabhängig!« Princess Nokia setzt auf unverbindlichere Kollaborationen – jeder Track ihres Albums stammt von einem anderen Produzenten, einer auch von Lex Luger, der den aktuell nicht mehr wegzudenkenden Trap-Sound entscheidend mitgeprägt hat. Ihr Track »Kitana« ist dementsprechend zeitgemäß Trap-lastig, während andere Songs auf dem Album unverkennbare Referenzen zu afroamerikanischer Musikgeschichte beinhalten (wie »Saggy Denim« mit seinen Soul- und Funk-Einflüssen oder »Bart Simpson«, das die Ästhetik von Stones Throw Records bedient). Nokia will sich von niemandem sagen lassen, wer sie zu sein hat und was für Musik sie mögen oder machen soll. Dementsprechend geht es ihr in ihrem Track »Tomboy« darum, Mansplaining und sexistisch motivierten Fremdzuschreibungen Einhalt zu gebieten. Das unterstreicht sie besonders durch die Line »With my little titties and my phat belly«, wodurch sie genau die Körperzonen ins lyrische Zentrum rückt, die an ihr kritisiert werden. Identitätsstiftend ist neben sexueller und musikalischer Selbstermächtigung auch ihr kultureller Background. Anders als noch ihre Eltern unterliegt sie nicht mehr einem Amerikanisierungszwang, sondern kann sich heute problemloser auf ihre puerto-ricanischen Wurzeln beziehen. Dabei lehnt sie jede von außen kommende Exotisierung ihrer Musik ab: »Meine Kultur ist zwar ein Bestandteil meiner Kunst, aber ich möchte nicht als eine afro-puerto-ricanische Künstlerin abgestempelt werden, sondern einfach als Künstlerin.«

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