Young Fathers: »Kindisch zu sein, ist der beste Zustand für Kreativität« // Interview

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Sie wären anders als alle anderen, behaupten die Young Fathers. Und sie haben Recht. Vor einigen Jahren waren Alloysious Massaquoi, Kayus Bankole und Graham »G« Hastings kurz vor dem Sprung in eine Liga mit Roots Manuva, Wiley und Dizzee Rascal. Den Aufstieg verpasst sie dann aber doch irgendwie knapp. 2013 knallten sie uns plötzlich »Tape 1« und »Tape 2« vor den Latz, zwei schummrig vor sich hin brodelnde Mixtapes, gespickt mit nonkonformistischem Sing-Sang, viel Glanz und viel Schmutz. Aufgenommen und umgehend veröffentlicht in einer Zeit »tiefer Frustation«, wie das Trio aus dem schottischen Edinburgh erzählt. Jetzt ist der Knoten geplatzt. Ihr neues Album »DEAD« liegt erneut weit draußen – und damit ebenso weit vorne.

Wie ist denn gerade die Stimmung in Edinburgh? Ich habe gelesen, dass die rechtsextreme Scottish Defense League immer stärker wird und ihr euch an Gegendemonstrationen beteiligt.
Alloysious: Das stimmt. Ich habe bei einer Demo auf der Gegenseite sogar jemanden gesehen, mit dem ich auf der gleichen, sehr multikulturellen Grundschule und später Highschool war. Ich bin zu ihm hin und er tat so, als ob er mich gar nicht sehen würde. Was für ein Arsch.
Graham: Edinburgh ist eine Stadt ganz allein für die Reichen und Alten. Abgesehen vom jährlichen Edinburgh International Festival, gibt es praktisch kein kulturelles Leben. Der Stadtrat will einfach nicht in die Jugend investieren. Dabei nimmt er durch die ganzen Touristen viel Geld ein.

Meint ihr, die Rechten werden durch die bevorstehende schottische Unabhängigkeit noch stärker werden?
Graham: Das hat mit der Unabhängigkeit wenig zu tun. Das Ganze nahm bei uns erst nach dem Woolwich-Attentat zu. [Anm. d. Verf.: Zwei Briten nigerianischer Abstammung erstachen im Mai 2013 einen Soldaten auf offener Straße und im Namen Allahs.] Die Medien nahmen das zum Anlass für eine Kampagne.
Alloysious: Genau wie jetzt bei der Migrations-Debatte. Sie stärken solchen Leuten den Rücken.
Graham: Diese Idioten protestierten sogar schon vor KFC, weil der Laden auch Geflügel anbietet, das halal ist. Die haben echt nichts, worüber sie tatsächlich wütend sein können.

Habt ihr schon mal daran gedacht, wie so viele andere Kreative nach London oder Berlin zu ziehen?
Graham: Natürlich könnten wir auch in London leben, aber gerade außerhalb dieser Box zu sein, gibt dir einen guten Überblick. Außerdem versuchen wir, nicht Teil irgendeiner Szene zu sein.
Kayus: Die Stadt erlaubt es dir, dich nicht zu verlieren. Wir haben alle Songs hier, »zu Hause« aufgenommen.

Einer davon ist »Get up«. Das ist schon ein hedonistischer Aufruf zum Aufstand, oder?
Graham: Wir machen keine Message-Songs, aber wir denken schon die ganze Zeit über so etwas nach. Deshalb müssen wir so etwas nicht reindrücken. Das passiert instinktiv.
Alloysious: Dass wir gegen die Faschisten auf die Straße gehen, findet außerhalb der Musik statt. Wir mögen es jedenfalls einfach, interessante Popsongs zu schreiben.

Solche Sachen hört man dennoch mittlerweile selten. Get up!, heißt es doch nur noch, wenn man sein Leben auf die Reihe kriegen will.
Graham: Klar, wenn du dir den Text anguckst, dann liest sich das wie ein Ruf nach einem Aufstand, aber die Musik ist für mich Party-Pop.
Alloysious: Kommt auf die Stimmung an. Für mich ist es manchmal auch nur ein schöner Jingle. Aber das macht einen guten Song aus: die Balance von düster und süß.

Ziemlich düster ist »Mhmm-Mhmm« geraten.
Alloysious: Da waren wir an einem anderen Ort. Das ist unser psychedelischer Vibe.
Graham: Manchmal hauen wir unsere Zeilen mittels Cut-up zusammen. Dann scheinen sie auf dem Papier bedeutungslos, aber als Song entwickeln sie eine ganz eigene Geschichte.
Alloysious: Für mich ist das Lied unheimlich. Aus den Wänden dieses Raums könnten plötzlich Schatten hervortreten. Diese Schergen würden dann immer näher und näher an mich herankommen. Was geschieht hier?
Kayus: Wie die meisten Dinge, so bleiben auch diese hier unausgesprochen. Vieles passiert telepathisch. Wir sind drei verschiedene Charaktere in ein und demselben Film, alle Insassen des gleichen Gefängnisses.

In »Low« heißt es dann wieder ganz kindisch, ihr würdet gerne mal einen Haufen in einen Palast setzen.
Graham: Kindisch zu sein, ist der beste Zustand für Kreativität. Denk daran, wie du dir als Kind ausgemalt hast, dein Spielzeug wäre real. Wir versuchen, uns beim Schreiben, darin hineinzuversetzen.
Kayus: Und es wäre außerdem tatsächlich großartig, einen Haufen in einen Palast zu setzen.
Alloysious: Fakt: Ich habe so etwas tatsächlich schon mal gesehen, in Polen. Ich hasse frische Scheiße, aber jemand hatte tatsächlich Cocktailschirmchen darin platziert und drumherum Früchte drapiert. Ekelhaft!

Gleicht ihr so Stücke wie »War« aus?
Graham: Ach, der ist genauso kindisch entstanden. Wir führen keine Erwachsenengespräche darüber, wie das nächste Lied klingen soll.
Kayus: Das ist wie beim Skateboarden: Mit dem Alter denkt man mehr und mehr über jeden Trick nach. Als Kind hast du das nicht gemacht.
Alloysious: Dir fehlte die Angst.

Schön und gut, aber die Zeile »bang like a Bangladeshian in Bombay« erinnert an die dortigen Anschläge anno 2008 und der Selbstmördersprengstoff C4 wird auch erwähnt.
Kayus:
Da spielt Ironie mit, denn danach kommt: »But if you want to go to heaven, you’re flying the wrong way«. Wir haben das einfach in und zwischen uns. Wir fangen die Stimmung des jeweils Anderen ein. Nichts ist geplant. Der Song baut sich selbst auf.
Graham: Das ist verrückt, aber ich sehe das Stück als Liebeslied.
Alloysious: Es geht für mich darum, dass man sich leider irgendwann an alles gewöhnt, auch daran, das nicht zu bekommen, was man wirklich will.

Ihr seid kürzlich in dem Kurzfilm »Return To Love« aufgetreten, in dem darum geht, dass man schon als Jugendlicher bestimmte Männlichkeitsideale zu erfüllen hat. Seid ihr da autobiografisch geprägt?
Graham: Klar, das hat uns immer begleitet. Als Kind hast du all diese negativen Einflüsse aufgesogen. Aber meine Mutter hat immer gesagt: Sei du selbst!
Alloysious: Du selbst zu sein, ist das wohl Schwerste überhaupt – aber uns fällt es merkwürdig leicht. Wir waren stets mutig genug, uns unseren Einflüssen und Mitmenschen zu stellen.

Mit diesem Trio habt ihr euch schon früh einen eigenen Spielplatz geschaffen, oder?
Graham: Es war ein großer Trost, zu wissen, dass es nur uns drei als Gruppe gibt. Denn wir sind …
Kayus: … komplett einzigartig.
Alloysious: Man sagt doch, dass alle zehn, fünfzehn Jahre eine Gruppe von Künstlern daherkommt, die anders ist. Das sind nun wir. Wir machen die Dinge anders. Ich zweifle überhaupt nicht daran, dass wir einen Einfluss auf die Leute haben werden.
Graham: Heutige Popmusik tanzt den Limbo. Es ist wie Ende der 70er oder 80er, als bestimmte Schablonen oder Reverbs und Snares die Musik dominierten. Heute sind das Trap oder diese Dance-Geschichte. Pop ist zuletzt so süß geworden, dass er einfach verschwinden könnte. Schon allein wegen all dieser beschissenen Subgenres.

Eure Musik ist da ein guter Gegenentwurf, für mich klingt das fast wie eine Art Dark Gospel.
Alloysious (zu Kayus): Hey man, schreib das auf! Dark Gospel. Das werden wir verwenden.
Graham: Wir sind ambitioniert. Wir wollten nie in einer Szene oder einer Gang sein und haben den Underground schon immer genau so gehasst wie den Glitzer-Pop.
Alloysious: Als wir 14 waren, gab es überall diese MC-Battles. Wir rappten da zu unseren ersten drei Songs auf MiniDisc, nachdem wir tagelang zu Hause aufgenommen hatten. Das war für uns viel eher real.
Graham: Alle hatten diese billige Einstellung, meinten, sie mussten böse sein, bestimmte Schuhe und Klamotten tragen und dann kamen wir mit unserem dreieinhalbminütigen Dance-Pop-Song. Fuck off!

Text: Thomas Vorreyer
Foto: Presse

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