Walk it, Talk it – Anekdoten aus 22 Jahren JUICE // Feature

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22 Jahre und 195 Hefte: Es ist nur logisch, dass sich in dieser Zeit diverse Anekdoten aus dem Redaktionsleben gefunden haben, die es wert sind, sie noch einmal zu erzählen. Hausbesuche, skurrile Interviews, Dankbarkeit – es ist viel passiert. Aus dem Leben eines JUICE-Redakteurs.

Todesursache: Deutschrap

Also fast halt. Es war 2015, die Welt stand kurz vor der Veröffentlichung des modernen Klassikers »WCB.FM 2« von B-Lash und ich »kleiner Pisser« verlebte mein Pflichtpraktikum in der JUICE-Redaktion. Zu der Zeit dachte ich bei der Zahl 187 allenfalls an die Jungs aus Hamburg; wohlwissentlich, dass der Paragraph für Morddelikte aus dem kalifornischen Gesetzbuch auch eine Vergangenheit in der Geschichte des Westcoast-Raps hatte. Doch auch in Kreuzberg gab es jemanden, der zu fast allem bereit schien. Als der Interpret B-Lash aus dem Hause 187Beatz zum wiederholten Male hektisch gestikulierend vor mir stand und die heiligen Hallen des geliebten Saftladens, das gesamte Team, meine Mutter, andere Mütter, bestimmt auch Väter und vor allem mich selbst mit verachtenden Worten auspeitschte, wurde mir klar: DEUTSCHRAP IST KEIN VERFICKTES SPIEL, LEUDE!! Ich hatte mich erdreistet, für dieses eine Album nicht alles um mich herum vergessen zu haben, es nicht als zeitloses Meisterwerk anzusehen oder es zumindest mal angehört zu haben. Es fing Staub auf dem Dachboden meiner Festplatte. Dass ich jung und dumm war, wusste ich. Dass B-Lash im Alleingang den G-Funk von der US-Westküste nach Deutschland importiert hatte, wusste ich allerdings bis dato nicht. So berichtete mir der völlig aufgelöste Künstler von seinen Alleinstellungsmerkmalen. Bouncende Beats für die Lowrider-Needs, schallende Synth-Leads, virtuose E-Gitarrenlicks, pfiffige Talkbox-Vocals und deutsche DJ-Eazy-Dick Schmunzel-Skits. Das volle Programm eben. Ich als Sohn einer Sexworkerin erkannte all das aus meinem Elfenbeinturm heraus aber nicht. Was dachte ich, wer ich bin? Wie zwei aufgestachelte Barn-Rooster brüllten sich also in einem Berliner Büro nachmittags um kurz vor Feierabend zwei erwachsene Menschen wegen Musik an. Ein Besuch an meiner Hausadresse wurde angekündigt, Angstgefühle im Dunkeln wurden mir empfohlen. Würde ich Stiche bekommen, dann doch im Namen von HipHop! Beides aber konnte ich bis hierhin überleben.
Text: Tim Tschentscher

Das erste Taktloss-Interview

Es gab noch Telefonzellen, Anfang der Nullerjahre. Und das wirkt in der Rückschau fast genauso anachronistisch wie eine Figur der Marke Taktlo$$ im deutschen HipHop. Das war Westberlin Maskulin, schon klar, irgendwas mit Kunst, praktisch gerappter Dadaismus. Vor allem aber eine Herausforderung nicht nur für seine Hörer, sondern auch für uns bei der JUICE. Weil: Ablichten ließ sich der Gute zu dem Zeitpunkt noch nicht, das Kreuzberger Unikum pflegte seine Geheimidentität mindestens ebenso wie seine Spleens. Weshalb es rund um das Interview zur »Battlereimpriorität Nummer 7« (glaube ich) ähnlich zuging wie beim Whistleblowing in Watergate-Zeiten. Informationsaustausch nur telefonisch (neudeutsch: Phoner), die zugehörigen Bilder schießt unser Fotograf von der anderen Straßenseite aus, angerufen wird Taktloss in der – richtig – öffentlichen Telefonzelle. Das wahrscheinlich ungewöhnlichste Interview meiner Karriere – nicht zuletzt, weil die Kollegen im Office kichernd ums Telefon herumsaßen und der gute Taktlo$$ sein Bestes gab, sich von seiner möglichst schlechtesten oder besser: kryptischsten Seite zu zeigen. Genauso gut hätte ich mit Helge Schneider telefonieren können. Telefonzellen? Gibt es mittlerweile praktisch keine mehr. Taktlo$$ auch nicht. Und für den Interviewinhalt muss die Erinnerung herhalten, weil es – nach fast 20 Jahren – die entsprechende JUICE auch nicht mehr gibt. Zumindest nicht in meinem Haushalt. Dafür habe ich unlängst Taktloss’ Abschiedsshow auf arte gesehen. Arte! Wir hätten das Interview auch als Kunstinstallation durchgehen lassen können.
Text: Christopher Büchele

Mumble Rap – 50 Cent am Telefon

Ich sitze im Kinderzimmer bei meinen Eltern und rufe 50 Cent an. Es ist 2016. Ich bin frischer freier Mitarbeiter bei der JUICE, habe zwei, drei Newcomer interviewt, als der Chefredakteur mir schreibt: »Hey Jan, hast du Lust nächste Woche Fiddy zu interviewen?« Welcher HipHop-Fan, der noch halbwegs alle Elemente beisammen hatte, würde das ablehnen? Was ich mir vorstelle: Ich treffe Fifty in einem Hotel, wir plaudern ein gutes Stündchen, machen Fotos, verabschieden uns. Wie es ist: Telefoninterview, drei Conference-Calls, die ineinander geschaltet werden, Lautsprecher auf beiden Seiten der Leitung und ein Mann mit zerschossenen Zähnen nuschelt vom anderen Ende der Welt in den Hörer: Ich verstehe nichts. Meine Hände sind nass, ich höre hochkonzentriert zu, um zumindest mitzubekommen, wann er mit der Stimme runtergeht und einen Satz abschließt. Eine Antwort hingegen verstehe ich klar. Als ich nach dem gerade gewählten US-Präsidenten Donald Trump frage, würgt Fifty mich abkurz danach ist das »Gespräch« beendet.
Text: Jan Kawelke

Was ich mir Vorstelle: Ich treffe Fifty in einem Hotel, wir plaudern ein gutes Stündchen, machen Fotos, verabschieden uns. Wie es ist: Telefoninterview

Wenn Redakteure Disstracks schreiben…

»Desperate times call for desperate measures« heißt es bekanntlich im anglophonen Volksmund. Besagte Zeit der Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung war in der JUICE-Redaktion pünktlich zur Heftabgabe ein wiederkehrendes Phänomen. Ohnehin klar: Wer als kleines Team in regelmäßigen Abständen ein solches Magazin zusammenpuzzelt, ist auf externe Hilfe angewiesen – guck halt Impressum, wenn du nicht glaubst. Folglich war JUICE, wie gerne von manchem Internetrambo behauptet, nie ein großer Thinktank voller wichtigtuerischer Rap-Besserwisser. Nein, vielmehr handelte es sich stets um einen kleinen Haufen HipHop-Liebhaber, der bei 130 zu füllenden Seiten auf die Hilfe anderer Nerds angewiesen war. So entstanden stets Sammelsurien verschiedenster Ansichten – und doch schafften es verschiedenste Wortakrobaten immer wieder, den subjektiven Meinungsartikel über ihr vorliegendes Werk so sehr in den falschen Hals zu bekommen, dass regelrechte Hetzkampagnen gestartet wurden. Im Fadenkreuz einer solchen fand ich mich Ende 2014 wieder, als ich mich in einer Nacht-und-Nebelaktion dazu bereit erklärt hatte, »Grosse Freiheit« von Swiss und Die Andern zu rezensieren. Zugegebenermaßen war die so entstandene Anderthalb-Kronen-Review eine der weniger diplomatischen meiner Redakteurslaufbahn – ich hatte es quasi auf eine Reaktion angelegt. Nicht aus Streitsucht oder Boshaftigkeit, sondern weil ich schlichtweg meine ehrliche Meinung zur Punk-Rap-Mixtur der Hamburger kundtun wollte. Doch dann das: Zeitgleich mit Erscheinen des Hefts klingelte mein Redaktionstelefon. Am anderen Ende wollte mir Swiss höchstpersönlich die Leviten lesen, setzte jedoch dabei die für Punks herabwertende Bezeichnung »Zecke« allen Ernstes mit dem N-Wort gleich und lieferte auch sonst wenig überzeugende Argumente. So weit, so erwartbar – zusätzlich rief er auf seiner Facebook-Seite dazu auf, die Ausgabe zu klauen und anschließend zu verbrennen. Sehr woker Move, gerade als selbsternannter Punk und Antifaschist. Noch dazu hatte er besagtes Telefonat ohne meine Zustimmung mitgeschnitten und lud es bei Youtube hoch. Den Ratschlag einiger Freunde und Bekannter, mir einen Anwalt zu suchen und den Obermissglückten für die Verletzung meiner Persönlichkeitsrechte zu verklagen, lehnte ich dankend ab. Stattdessen ließ ich das Video kurzerhand sperren und nahm über die Weihnachtsfeiertage bei einem befreundeten Produzenten aus Spaß einen (bis heute unveröffentlichten) Disstrack (Soundcloud-Link gerne auf Anfrage) auf. Die Hook übernahm selbstverständlich Haftbefehl – der hatte schließlich auf dem wenige Wochen zuvor veröffentlichen »Lass die Affen ausm Zoo« gerappt: »Blanco pumpt den Beat, ich erschieß diesen Swizz Beatz«. Beste fucking Leben, diese.
Text: Jakob Paur

3 Kommentare

  1. Macht jetzt endlich den Laden zu und das Licht vorher noch aus.
    Eure peinlichen Anekdoten, sind doch der aller letzte Nagel im Sarg eurer ewiggestrigen Haltung zu Deutschem Rap.

    Niemand wird euch vermissen!

    • Doch, ich schon ein bisschen. War sicher nicht alles gut, aber zumindest noch halbwegs ambitionierter Journalismus. Ab sofort wird halt nur noch gelutscht von den Arias und Roozes der Welt. Aber die Klientel heute ist ja auch grenzdebil.

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