$uicideboy$: »Das erste Mal Heroinspritzen war für mich, wie mit Gott zu reden« // Feature

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Die Kinder der Generation Three Six Mafia leben ihr Leben im Schatten der Gesellschaft – und auf Soundcloud. Die $uicideboy$ aus New Orleans haben diese Subkultur mit jeder Menge Hustle und Talent im Sturm erobert.

Der 7th Ward in New Orleans – ein Bezirk, dem schon Stars wie Mannie Fresh und Frank Ocean entsprungen sind. Aber eben auch ein Ort, an dem Arm und Reich nah beieinander leben. »So ist New Orleans: Du hast eine Straße mit teuren Häusern, biegst einmal falsch ab und bist mitten in der Hood«, sagte Rapper Ruby vor einem Jahr im »No Jumper«-Podcast. Sein Cousin $crim, der nicht nur rappt, sondern sich auch um die Produktionen des Duos kümmert, wuchs auf der anderen Seite des Mississippi auf: in der Westbank. Viertel, in denen weiße Amerikaner wie sie zu den Randgruppen gehörten, sozialisierten die beiden um die Jahrtausendwende mit einem breiten musikalischen Spektrum. So wurde Bling-Bling-Rap aus dem Hause Cash Money gleichermaßen zum Soundtrack ihrer Jugend wie die schrammelnden E-Gitarren-Riffs der Misfits.

Ihre Teenagerjahre verlebten die beiden weder unter der Armutsgrenze, noch waren sie im kulturellen Schmelztiegel New Orleans gut behütet vor Straßenaktivitäten. Ruby gründete schon im Kindesalter eine eigene, weitgehend unerfolgreiche Punkband, während $crim Drogen dealte und gelegentlich bei Partys auflegte. Musik war für Letzteren lange nur Nebensache, bis ihn ausgerechnet ein T-Pain-Interview zum Beatmaking inspirierte. Darin hatte der Auto-Tune-Godfather erzählt, er habe sein Debütalbum »Rappa Ternt Sanga« zum Großteil in der Mac-Applikation »Garage Band« produziert. Noch am selben Abend kaufte sich $crim vom Geld aus dem Rauschgiftumschlag einen Laptop und begann fortan, sich in Drum-Kits und Samplern zu vergraben.

 
Sein erstes Mixtape »Narcotics Anonymous« veröffentlichte er 2012 unter dem Moniker DJ $crim, orientierte sich noch stark an dem von Lex Luger etablierten rumpelnden Dirty-South-Trap und trug in seinen Raps, die er damals ebenfalls übernahm, noch die Handschriften von Pimp C und Juicy J. Letzterer wurde auch zur Inspiration für Rubys frühe Rap-Versuche. Unter dem Namen Oddy Nuff Da $now Leopard veröffentlichte er 2014 sein erstes Mixtape »Pluto«. Auf drei gemeinsamen Tracks mit $crim zeichnete sich bereits ihre heute stilgebende Affinität für dunkle, mörderische Straßenraps und tiefergelegte Vocal-Tracks à la Three 6 Mafia ab. Einige Monate existierten Oddy und DJ $crim als unabhängige Künstler, bis sie im Sommer 2014 ihr gemeinsames Projekt $uicideboy$ aus der Taufe hoben.

Kurz zuvor hatte $crim seinen Job als Verkäufer für Secondhand-Möbel verloren. Er beschloss fortan, sich völlig auf die Musik zu konzentrieren, während Ruby weiterhin parallel im Restaurant jobbte. Die neu gefundene Nähe zu seinem Cousin half $crim auch bei seinen akuten Drogenproblemen: Seit seiner Dealer-Zeit war er bereits von verschiedenen Medikamenten abhängig, hatte zudem damit angefangen, sich mehrmals täglich Heroin zu schießen. »Das erste Mal Heroinspritzen war für mich, wie mit Gott zu reden. Irgendwann habe ich mir fünf Spritzen am Tag setzen lassen, ich konnte das nicht selber. Ich habe keine Musik mehr gemacht und das Haus nur verlassen, um mir an der Tanke neuen Stoff zu holen.« Heute sagt er, Ruby habe ihm ein Ultimatum gestellt, das ihm damals das Leben rettete. Drogen und ihr Missbrauch blieben dennoch zentrales Motiv ihres ­Lebens – und ihrer Musik.

Im Juli 2014 geisterte die erste $uicide-boy$-EP mit dem Titel »Kill Yourself Part I: The $uicide $aga« das erste Mal durch die Streaming-Plattform Bandcamp – ein stilistischer Bruch, durch den sich $crims Beats deutlich stärker an dem Lo-Fi-Memphis-Sound der Neunziger mit verlangsamten und geloopten Vocal-Samples sowie verfremdeten Drums orientierten. Oddy nannte sich fortan Ruby da Cherry und polte seinen Flow zwischen Bone-Thugs-Stakkato und Project Pats wellenartiger Kadenz ein. Sie begannen auch, ihre psychischen Probleme prominenter in den Texten zu verarbeiten. Vor allem der Titeltrack »Kill Yourself«, der detaillierte Einblicke in die Welt eines Depressiven gibt, macht rückblickend klar, warum das Duo mit seinem Debüt starke Resonanz fand. Auch Bones, Vorreiter des neuen pechschwarzen Goth-Raps, gab bereits früh sein Co-Sign ab auf dem Track »Maple Syrup«.

 
Nach neun (!) weiteren »Kill Yourself«-EPs verhalf ihnen die Zusammenarbeit mit Memphis-MC Black Smurf zu ihrem ersten Auftritt bei einer Show der SESHOLLOWATERBOYZ. 2015 folgten ganze 13 weitere Mixtapes und EPs von Ruby und $crim – ein Output, mit dem sie selbst die ohnehin kleinen Release-Spannen ihrer Szene mit Leichtigkeit überboten. Besonders hervorzuheben sind die EP »South Side $uicide«, die in Zusammenarbeit mit Untergrund-Superstar Pouya entstand, sowie das Mixtape »Now The Moon’s Rising«. Auf Letzterem findet sich mit »PARIS« der bisher viralste Track der $uicideboy$ mit über zehn Millionen Youtube-Klicks.

In ihrem »Shadow Rap«, wie die $uicideboy$ ihre Stilrichtung selbst beschreiben, erschaffen sie eine möglichst brutale Abbildung der Realität: Trostlosigkeit des Alltags, Angstzustände, die abgelöst werden von chemisch-induzierten Mordgelüsten, satanische Rituale – eine thematische Wiedergeburt und ein musikalisches Update zum Horrorcore der Neunziger. Vor allem Rubys Punk-Hintergrund hebt sie dabei vom Rest der Szene ab: Zunehmend tauscht er Maschinenpistolen-Flows gegen schmerzerfüllte Gesangspassagen, die $crims monotone, zuweilen dämonisch klingende Verses durchschneiden.

Gerne inszenieren sie sich in ihren psychedelischen Videos in VHS-Optik als heruntergekommene Junkies, bedecken ihre Gesichter mit Händen und Haaren. Diese Ästhetik wurde oft als Abklatsch von Bones gescholten, hat mittlerweile jedoch eine deutlich größere und vor allem devotere Fanbase erreicht; ein Trend, der sich mit den sechs diesjährigen Mixtapes fortgesetzt hat. Jeder neue Song wurde in Kurzzeit millionenfach geklickt, jedes Mixtape ist regelmäßig als kostenloser Download auf Bandcamp freigeschaltet. Ein selbst für heutige Distributionsstrategien großer Dienst an die Fans, der mit Loyalität belohnt wird. Denn selbst wenn in ihrer Heimat New Orleans bisher die Lorbeeren ausblieben, zeigten die dreiwöchige US-Tour im November und der ständig leergeräumte Merch-Shop, dass die $uicideboy$ ihren Zenit längst nicht erreicht haben. ◘

Text: Max Hensch

Dieses Feature erschien in JUICE #178 (hier versandkostenfrei bestellen).

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