»Statt Boombap jetzt Trap? Man, verkauf dich doch nicht!« // Johnny Rakete im Interview

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Anfang Oktober hat Johnny Rakete mit »Trauriger Junge mit Rauch in der Lunge« sein Album-Debüt vorgelegt. Dabei spielt inhaltlich vor allem der erste Teil des Titels eine Rolle. Denn »TJMRIDL« ist ein Album, das extrem tief blicken lässt. In den Kopf eines 28-Jährigen, der in den letzten Jahren mit der Suche nach sich selbst zu kämpfen hatte und offen und ehrlich davon erzählt, wie schwer ihm das fiel. 

Wir haben mit Johnny Rakete über mentale Probleme und gut gemeinte, aber deutlich zu kurz gedachte Lösungen, das Außenseiter-Dasein in Zeiten der »Modus Mio«-risierung und Gedanken an den Tod gesprochen. Los geht es aber ganz easy, das aufmerksame Verfolgen von Raketes Twitter-Feed sei dank.

Um mal an deinen Twitter-Grind von gestern Abend anzuknüpfen: Wie war der Cheese-Cake-Strain und das Anime-Binge-Watching?
Das Cheesecack war voll lecker, mir persönlich aber ein bisschen zu Sativa-lastig, ich bin eher der Indica-Typ. Das ging mir etwas zu sehr auf den Kopf. Aber man kann es auf jeden Fall rauchen, es ist aber nicht unbedingt etwas, um abends auf dem Sofa zu hängen. Eher etwas für den Kaffee in der Früh.

Was hast du dabei geguckt?
Zurzeit schaue ich »Hunter x Hunter«. Ich habe von aller Welt gehört, dass das total gut sein soll, habe aber nie geschafft, es zu lesen. Da es die Serie jetzt auf Netflix gibt, wurde es mir ziemlich einfach gemacht.

Du studierst jetzt auch Japanologie, oder?
Yes! Das wird abgefahren. Ich war bereits auf der Einführungsveranstaltung. Das war cool. Es waren aber nicht so viele schräge Leute da, wie ich gedacht hätte. Ich habe mit mehr Frauen mit bunten Haaren gerechnet und mit mehr Emo-Boys. Aber wird gut, wird Arbeit. Wenn es nach mir gehen würde, würde ich nach dem Studium am liebsten bei irgendeinem Verlag landen, bei dem ich Mangas übersetze und im Idealfall entscheiden kann, was als nächstes ins Programm genommen wird. Auf jeden Fall gerne etwas in Zusammenhang mit dieser Anime-Kiste.

Lass uns mal auf etwas Ernsteres zu sprechen kommen, in vielerlei Hinsicht: Zum einen auf dein Album und zum anderen auf die Inhalte darauf. Nicht, dass deine Musik in der Vergangenheit nicht schon tiefgründig und selbstreflektierend war, aber auf deinem Album erreicht es ein neues Level an Schwere und an Einblicken in dein Seelenleben. Gab es dafür einen Auslöser?
Ich bin vor einem Jahr nach Berlin gezogen. Das Jahr davor war auf persönlicher, psychischer Ebene kein gutes. Ich bin hierher gekommen und musste erstmal rausfinden, was ich überhaupt mit meinem Leben machen will, wer ich eigentlich bin. Zum einen ging es mir in der jüngeren Vergangenheit auch einfach schlechter als davor, zum anderen war es der Anspruch, diese Themen auf dem Album noch mehr auf den Punkt zu bringen. Nicht mehr nur Kopf-in-die-Luft-Texte. Ich wollte ein Level draufsetzen. Ich habe nicht bewusst geplant, dass ich noch mehr von mir Preis geben würde. Das habe ich davor auch. Aber es gibt eine Ebene auf dem Album, die ich davor noch nicht in den Texten hatte.

Welche?
Die Seite, die sich mit dem Tod und der eigenen Vergänglichkeit auseinandersetzt. Das war auf den Platten davor nicht da. Das macht die neue Platte aber wiederum ein gutes Stück düsterer. Ich habe aber auch keine Hemmungen, darüber zu reden. Dafür habe ich ja Rap.

Ist das ein Thema, mit dem du dich schon länger beschäftigst, oder kam das im Albumprozess auf?
Es gibt tatsächlich einen Punkt in meinem Leben, an dem mir meine eigene Vergänglichkeit krass bewusst geworden ist. Mit 18 oder 19 war ich auf einer Geburtstagsparty von einer guten Freundin. Das war super nice, alles cool. Zwei Wochen später ist sie gestorben. Das war das erste Mal, dass ich bewusst erlebt habe, dass jemand aus meinem engen Umfeld stirbt. Das war… man, zwei Wochen davor haben wir zusammengefeiert, dann war sie weg. Sie war abgelenkt von Musik und hat einen fahrenden Zug bei einem Gleisübergang nicht kommen sehen und hören. Da ging es los, dass ich mir nicht nur über meine eigene Vergänglichkeit Gedanken gemacht habe, sondern auch über die von meinen Freunden. Immer, wenn man jemanden trifft, kann es das letzte Mal gewesen sein. Seitdem ist das ein fester Bestandteil meiner Gedankenwelt.

Bist du jemand, an dem solche Erfahrungen lange haften bleiben, oder der sich damit einmal intensiv auseinandersetzt und es dann für sich aufgearbeitet hat?
Mich hat das geprägt, das hat einen bleibenden Eindruck auf mich hinterlassen. Auf der Beerdigung dieser Freundin habe ich einen super Typen kennengelernt. Der ist auch ein paar Wochen später bei einem Unfall gestorben. Das ist wirklich bei mir geblieben. Das Wissen, wie schnell es vorbei sein kann. Und natürlich auch die Gedanken daran, was wäre, wenn es mich morgen erwischt. Wäre es cool, was ich bisher gemacht habe? Kann ich damit zufrieden sein? Oder habe ich vieles nicht gemacht, was ich gerne machen würde? Das sind Sachen, die mich, je nach dem, wie gut oder schlecht es mir geht, mehr oder weniger beschäftigen. Aber sie sind Teil meiner Gedankenwelt.

»Nicht mehr nur ‚Kopf-in-die-Luft-Texte‘. Ich wollte ein Level draufsetzen.«

Haben diese beiden Schicksale dein alltägliches Verhalten beeinflusst?
Ich weiß nicht, ob es damit zusammenhängt, aber: Ich setze mich unheimlich ungern zu Leuten ins Auto, mit denen ich noch nicht gefahren bin. Wenn ich vereise, fahre ich nie mit einer Mitfahrgelegenheit. Ich fühle mich dabei einfach nicht sicher. Und grundsätzlich hat es sich bei mir so entwickelt, dass ich einen Streit mit jemandem eher schneller klären will und öfter derjenige sein will, der vielleicht mal klein beigibt, um das aufzulösen. Du willst nicht, dass jemand stirbt und ihr habt euch zuletzt gestritten. Diese Vorfälle haben mich wirklich gelehrt, die Existenzen der Leute, die mir nahe stehen, zu schätzen.

Auf »Wenn Katzen streiten« rappst du: »Dazu passt es, dass es manchmal wirklich kalt in meinem Kopf wird/ Nein, da helfen keine warmen Socken«. Damit sprichst du Verharmlosungen von mentalen Problemen an. Hast du das selbst so erlebt?
Ich glaube jeder, der mit Traurigkeitszuständen zu kämpfen hat, erfährt oft diese Reaktionen. »Mach mal etwas mehr Sport, geh mal an die frische Luft, triff dich mit Freunden«. Das ist so, als würdest du ein Pflaster auf ein gebrochenes Bein kleben. Das ist dieses: ‚Ey komm, du kannst nicht immer traurig sein«‘. Doch, Dicker, kann ich! Kann ich voll gut sogar. Schau‘ mich an, wie ich eine Woche lang meine Wohnung nicht verlasse!« Das liegt aber auch daran, dass es dieses innere Bedürfnis gibt, immer helfen zu wollen und etwas Kaputtes wieder ganz zu machen. Solche Ratschläge sind ja auch oft nett gemeint, die Leute wollen einen damit ja nicht verhöhnen. Aber: Es bringt halt leider nichts. Wir erwarten in solchen Gesprächen keinen Lösungsvorschlag. All diese Dinge habe ich wahrscheinlich eh schon probiert. Ich glaube, viele Leute haben ein Problem damit, bei solchen Gesprächen einfach nur Zuhörer oder auch Mitfühler zu sein.

» ‚Ey komm, du kannst nicht immer traurig sein«‘. Doch, Dicker, kann ich!«

Weil der andere Part sich machtlos fühlt, wenn er nichts Konstruktives findet, was er dazu sagen kann.
Und genau diese Machtlosigkeit, die Nichtbetroffene dann haben, kanalisiert sich darin, den einfachsten Lösungsweg zu suchen. Aber der funktioniert halt in den meisten Fällen nicht. Klar: Gesunde Ernährung und Sport können einen positiven Einfluss haben. Wenn aber die Chemie in deinem Hirn nicht stimmt… Dicker, dann kannst du so viele vegane Falafel essen gehen wie du willst, das ändert nichts.

Wie wichtig ist Rap für dich in solchen Momenten?
Ich glaube, es gab seit meiner Teenagerzeit keine Traurigkeitsphase, in der ich nicht Kamps Album »Versager ohne Zukunft« gehört habe. Und ganz generell: Man, Rap ist so mega wichtig dabei. Hunderttausende Rapper haben das schon gesagt, aber dieses »Rap ist Therapie«-Ding stimmt halt zu einem gewissen Grad, so klischeehaft das mittlerweile klingen mag. Und wenn es nur so ist, dass ich die Dinge nicht mehr nur in meinem Kopf, sondern sie auch in Textform gebracht habe. Das ist wie bei einer Therapiesitzung. Man hat es endlich ausgesprochen, ausgeschrieben. Ich wüsste sonst nicht, wohin mit alldem (zeigt auf seinen Kopf). Ich wüsste nicht, was die Alternative wäre. Vermutlich noch viele eskalative Drogen nehmen, um das zu betäuben. Aber dieses Ventil ist so mega wichtig.

3 Kommentare

  1. Mal unabhängig von Inhalt des Interviews: Hr. Richter warum gendern sie in diesem Artikel nicht und schreiben stattdessen nur von Rappern und Hörern? Es gibt mittlerweile echt eine große weibliche Hip-Hop Community, diese fallen bei ihrer Art der Formulierung absolut unter den Tisch. Das erscheint mir als Rap-HörerIN leider sehr schwach.^^

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