Drehbuchautor Dennis Schanz über »Skylines« und Frankfurts besondere Energie // Interview

-

Um Schauspieler zu werden, muss man dieser Tage nicht unbedingt den beschwerlichen Weg über die Ernst-Busch-Hochschule gehen – eine Rap-Karriere tut es auch. Nach »4 Blocks« und »Dogs of Berlin« erscheint erneut eine Serie, die damit wirbt, dass deutsche HipHop-Artists vor der Kamera stehen. »Skylines«, ab 27. September auf Netflix zu sehen, ist aber anders – nicht nur, weil statt Berliner Betonblocks diesmal Frankfurter Glastürme gefilmt wurden.

Im Zentrum steht Produzent Jinn, der sich seinen Künstlernamen ausgesucht hat, weil er »cooler klingt als Johannes«, allerdings keine Ahnung hat, dass man darunter in arabisch-islamischen Kulturkreisen einen Dämon versteht. Seine Loyalität zu Rapper Tonik wird auf die Probe gestellt, als er das Angebot bekommt, beim HipHop-Label Skyline Records zu unterschreiben, um fortan Beats für 069-Legende Azad zu liefern. Der Labelchef heißt Kalifa und ist in der Welt der Serie der erfolgreichste Rapper Deutschlands. Darsteller Murathan Muslu ist qualifiziert:Er ist nicht nur preisgekrönter Schauspieler, sondern war unter dem Namen Aqil auch Teil der österreichischen Rap-Crew Sua Kaan. Damit dürfte er im »Skylines«-Cast aber kaum jemanden beeindrucken: Celo & Abdi, Nimo, Olexesh, Nura, Azzi Memo, Booz, MC Bogy, Miss Platnum und der erwähnte Azad übernehmen allesamt Nebenrollen oder spielen sich selbst.

»Skylines« ist anders, weil der Rap nicht nur aus dem Autoradio kommt. Die erste Folge beginnt mit einer HipHop-Jam, und im Laufe der nächsten fünfzig Minuten sieht man Jinn unzählige Male auf die bunten Knöpfe seines Groove-Controllers einhämmern. In einer anderen Szene diskutiert Kalifa mit dem Vertreter eines Majorlabels namens »Global« über Marketingstrategien. Kalifas lange verschollener Bruder ist es, der dann die kriminelle
Energie ins Spiel bringt. Vorher geht es aber um Musik und darum, wie man mit Musik Umsatz generiert in der Stadt, in der sich alles um Geld dreht.

Dafür verantwortlich ist der Berliner Drehbuchautor und Showrunner Dennis Schanz, der an dem Stoff schon seit über vier Jahren arbeitet. Seine Produktionsfirma StickUp produziert »Skylines« zusammen mit Komplizen Film, die unter anderem für den Oscar-nominierten deutschen Kinohit »Toni Erdmann« verantwortlich zeichneten, und mit dem US-Streaming-Riesen Netflix, der bereits mit »Dark« und »Dogs Of Berlin« auf deutschsprachige Serien
gesetzt hat. Im Interview erzählt er von der besonderen Energie Frankfurts und seinen Recherchen zum Business hinter Deutschrap.

 

Wie grenzt sich »Skylines« von »4 Blocks« oder »Dogs Of Berlin« ab?
Ich verstehe »Skylines« in erster Linie als Drama und nicht als Krimi- oder Gangster-
Serie. Ich habe beim Schreibprozess Wert darauf gelegt, dass es um Konflikte zwischen Figuren geht, die eigentlich innere Konflikte sind, und nicht nur um eine Feindschaft zwischen Gruppe X und Gruppe Y, die dann zu einer Straßenschlacht führt.

Läuft ein solcher Stoff Gefahr, das Klischee vom kriminellen migrantischen Rapper zu bedienen?
Klischees sind interessant, wenn man sie aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet. Beispielsweise ist das Rap-Label, das bei uns im Zentrum steht, nicht per se kriminell.
Die kriminelle Energie kommt von außen. Die Figur, die Nimo spielt, ist als Rapper eher gescheitert, deshalb lässt er sich auf diese kriminelle Energie ein. Genauso gibt es aber auch Figuren, die sich auf die Musik konzentrieren und damit nichts zu tun haben wollen. Teilweise haben die migrantischen Hintergrund, teilweise nicht. Je mehr man da reinwirft und je vielschichtiger die Figuren sind, desto leichter umgeht man Klischees.

»Frankfurt bis heute einen hohen Qualitätsanspruch. Die Sachen sind roh und auf die Fresse, aber trotzdem immer gewitzt«

Wenn man Rapper*innen castet, denkt man sicher deren Marktmacht bei einer jungen Zielgruppe mit.
Auf unsere Besetzungsentscheidungen hatte das keinen Einfluss. Da die Serie in Frankfurt spielt, sollten es halt Leute aus dem Azzlackz- oder 385i-Umfeld sein, die für aktuellen Straßenrap aus Frankfurt stehen. Nura spielt sich selbst und ist aus Berlin zu Gast. Die Künstler haben wir zum Casting eingeladen und uns auch für Leute entschieden, die weniger Follower haben als andere, wenn sie besser spielen. Wir wollten aus der HipHop-Szene heraus erzählen und nicht ein paar Rapper casten, nur um unser Marketing zu streuen. Alle Rapper spielen auch Rapper.

Wie weit geht dein persönlicher HipHop-Bezug zurück?
Ich habe schon immer Rap gehört. Meine ersten Kassetten als kleiner Junge waren von Tim Dog, N.W.A, Too Short oder der 2 Live Crew. Das ist wahrscheinlich ein Westberliner Ding, dass man vor allem Gangsta-Rap von der West Coast gehört hat. Als dann Westberliner angefangen haben, das Ganze auf Deutsch zu machen, habe ich vor allem MOR und Savas gerne gehört. Meine erste Liebe und mein Karriereziel war immer der Film, danach kam aber Rap. Es kommen bei diesem Projekt also auf jeden Fall zwei Passionen zusammen.

Was macht Frankfurter Rap und damit auch Frankfurt als Setting interessant?
Es gab eine Zeit, da fand ich deutschen Rap langweilig und habe nur Ami-Sachen gehört. Derjenige, der mich zurückgeholt hat, war Haftbefehl. Ein Kumpel hat mir das »Glänzen«-HDF gezeigt, und da hat es Klick gemacht. Das war einfach Next-Level-Shit, und irgendwie hat Frankfurt bis heute einen hohen Qualitätsanspruch. Die Sachen sind roh und auf die Fresse, aber trotzdem immer gewitzt. Als Berliner meint man, alles gesehen zu haben. Aber als ich das erste Mal ins Frankfurter Bahnhofsviertel kam, war ich echt fasziniert. Die Welten, die da aufeinanderprallen, sind nochmal krasser (lest hier das ausführliche Feature zu den Anfangen von HipHop in Frankfurt).

Wieso hast du einen Produzenten und keinen Rapper zur Hauptfigur gemacht?
Ein Produzent muss viel Kontrolle haben. Jinn ist eine Figur, die lernt, Dinge zu kontrol-
lieren und die richtigen Knöpfe zu drücken, nicht nur als Musiker, sondern im übertra-
genen Sinne auch in seinen persönlichen und geschäftlichen Beziehungen. Anfangs
hatte ich über einen Rapper nachgedacht, der als Ghostwriter arbeitet. Das fand ich
auch interessant, weil es jemand ist, der aus dem Hintergrund Einfluss nimmt. Man kann
aber mit dem Produzenten mehr machen. Es geht auch viel um das Musikmachen an sich
und das Verhältnis des Produzenten zu den Rappern. Wie müssen Leute miteinander klicken, damit da was passiert, und was passiert deshalb über die Musik hinaus?
Mit einem Rapper in der Hauptrolle wäre das viel schwächer gewesen.

Die Figuren auf Labelseite sprechen zwischendurch recht detailliert über das Business hinter Deutschrap. Welche Recherchen hast du angestellt?
Die Szene aus der ersten Folge, auf die du anspielst, hat sich oft verändert, weil ich schon so lange an dieser Serie arbeite. In der ersten Version ging es noch darum, wie man sich als Artist über Social Media vermarktet, ich dachte dabei an Nipsey Hussle. Jetzt werden Dinge zum Thema Streaming besprochen, die eigentlich auch schon wieder Common Sense sind, weil sich die Industrie so schnell verändert. Ich bin auch als Konsument schon sehr nerdy gewesen, aber wir haben natürlich auch recherchiert. Nachdem ich mit 385idéal in Kontakt kam, war ich eine Woche in Frankfurt und habe einfach jeden Tag mit denen abgehangen und ihnen bei der Arbeit zugeguckt. Da habe ich das erste Mal realisiert, wie viel Geld wirklich in Rap steckt. Es gab eine Zeit, in der alle Rapper erzählt haben, dass sie
verdienen, aber keiner hat wirklich verdient. Ich glaube, dass das dank Streaming und Instagram umgeschlagen ist. Die Leute, die aus der Rap- und Straßenperspektive kommen, können jetzt in der Businesswelt von Frankfurt mitspielen, und das wollen sie auch zeigen. Skyline Records sitzt in der Serie im Dachgeschoss eines Gewerbegebäudes. Sie sind noch nicht ganz oben in einem der ganz fetten Bankentürme, aber sie sind immerhin im achten Stock und können über die Stadt gucken.

Text: Mathis Raabe
Fotos: Netflix

Dieses Feature erschien erstmals in JUICE #194 – ab jetzt überall erhältlich und versandkostenfrei im Onlineshop bestellbar.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein