Tape-Rap in Deutschland: »Wir wurden lange boykottiert« // Feature

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Die Kassette war tot. Irgendwo ganz tief unten hielt eine kleine Szene sie aber stetig am Leben – und brachte sie nun zu einem skurrilen Zeitpunkt zurück auf die Bildfläche. Über eine pulsierende Subkultur, die etwas Außergewöhnliches schaffte.

Allerspätestens seit dem Jahr 2018 ist das Streaming auch in Deutschland nicht mehr nur ein Trend oder ein neues Medium, sondern DAS Medium. Der Bundesverband der Musikindustrie (BVMI) vermeldete im Juli, dass das Streaming die CD erstmals als größtes Umsatzsegment überholt hatte. Von einer »Zeitenwende« ist die Rede. Und ja, heute sind Playlisten die Karriere­sprungbretter, sie machen aus Newcomern Stars. Da Hits schreiben zu können darum mehr denn je Pflicht ist, klingt Deutschrap an der Oberfläche derzeit so angepasst wie nie zuvor. Mit dem Ziel, als Teil der Listenmasse Plays abzugreifen, scheinen immer mehr Künstler ihre eins­tigen Prinzipien über Bord zu werfen.

Im Schatten dieses Streaming-Wahns, im staubigen Keller der vor Wohlstand glänzenden Deutschrap-Villa, treiben diverse Künstler aber weiter ihre eigenen Geschäfte voran. Gehandelt wird da mit einem Medium, das der BVMI in seinen Berichten schon lange nicht mehr aufführt: der Kassette.

Es geht um Tapes, Mane!

Deutschraps Tape-Szene erlebt zurzeit nämlich ein Revival. Wer sie verstehen will, muss den Blick zuerst Richtung US-Musik-Metropole Memphis richten. Dort legten Künstler wie Three 6 Mafia, Tommy Wright III oder 8Ball & MJG Anfang der Neunziger den Grundstein für den ikonischen Memphis-Sound: Harte 808-Bässe und Kicks, Kuhglockengebimmel und obskure Samples vermischten sich zu einem HipHop-Subgenre, das sich in weitere Sub-Subgenres aufteilen lässt: Playa-Sunset-Sound, bedrohlicher Gangsta-Rap und Trippy-Horrorcore ballerten aus den Tapedecks der Stadt am Mississippi, die bereits mit Trap-Elementen arbeitete, als viele »Modus Mio«-Follower noch nicht einmal geboren waren.

Der Sound, der Pimpin’-trotz-Poverty-Vibe der Lyrics und die Tapes selbst wurden zum Kulturgut. Neben den internationalen Stars mauserten sich der Legende nach auch unbekanntere Artists zu echten Tape-Millionären. 200 bis 300 Kassetten seien manche Rapper täglich losgeworden. Auf deren Covern prangten oftmals die extravaganten Photoshop-Kunstwerke der Grafikdesignfirma Pen & Pixel, deren überladene Bling-Geld-Autos-Optik noch heute Rappern auf der ganzen Welt als Inspiration dient.

Die deutschen Anfänge

Mitte der Neunziger schwappte die Liebe zur Südstaatenästhetik auch nach Deutschland über. Aus Zuhörern wurden Fans, und aus Fans erste Sammler. Originale Memphis-Tapes waren hierzulande eine Rarität, drum flogen manche Kassettenjäger einfach selbst über den großen Teich, um vor Ort rare Releases einzutüten – so entstanden erste Kassettenszenen in Berlin, Hamburg, Hannover und Dortmund. Aber auch kleinere Städte wie Oldenburg, Osnabrück und Bielefeld entwickelten sich zu Tape-Hochburgen.

Parallel dazu begannen Rapper wie Frauenarzt, die 4.9.0-Clique aus Osnabrück oder der Bielefelder Aci Krank damit, den Memphis-Sound auf Deutsch zu verwirklichen und damit den Grundstein für die heutige Szene zu legen, die sich nach und nach selbst den Namen »Phonk« gab. Während sich HipHop zeitgleich dank Platten wie »Bambule« oder »Die Quadratur des Kreises« weiter ins Bürgertum spielte, begann der Tape-Untergrund zu florieren. Das Anbrechen des Internet-Zeitalters brachte mit den Foren und Tauschbörsen weitere hilfreiche und vielgenutzte Möglichkeiten zur Vernetzung mit sich. Einen Höhepunkt erlebte die DIY-Szene 2004 bei einem Gig in Schweinfurt. Dort sorgten sämtliche Szenegrößen um die Berlin-Crime-Crew für einen legendären Abriss samt mehreren Stromausfällen. Als Taktlo$$ mit einem gezielten Armschwung das DJ-Pult samt Technik und Flaschen abräumte, war auch der junge Bielefelder Opti Mane vor Ort.

Abgrenzung und Etablierung

Vierzehn Jahre später sitzt er mit dem Oldenburger Zerhacker-Flow-Monster Moneymaxxx aka Donvtello in der gemeinsamen Berliner Wohnung. Auf dem Tisch liegen an die vierzig über die Jahre gesammelte Tapes. Anfang der Zweitausender stießen sie auf den Memphis-Sound, er packte sie sofort. Opti feierte die dreckige Soundästhetik und die innovativen Flows. Donvtello begeisterte die Diversität der Rapper: Hohe oder tiefe Stimme, schneller oder langsamer Rap – jeder fand seinen Platz.

2005 lernten sie sich bei einer Session ihrer damaligen Crews fast zwangsläufig kennen, so klein sei die Szene gewesen. Die arbeitete dafür umso geschlossener zusammen. Auch aus Trotz. Denn zu Jams in den eigenen Regionen wurden die Künstler oft nicht eingeladen. Normalo-Rap-Fans konnten nichts mit ihnen anfangen. »Wir wurden fast schon boykottiert«, erinnert sich Opti. Und das, obwohl sich beide als waschechte »HipHop-Kinder« bezeichnen, die mit Graffiti und Breakdance aufwuchsen. Aus Wut über die Nicht-Akzeptanz entwickelte sich schnell eine kollektive »Jetzt erst recht«-Haltung, erzählt Donvtello. Die »Pioniere«, wie Opti die Frauenarzt-Generation nennt, boten den Youngsters Bühnen und Kontakte. Die griffen zu, fanden mit dem Osnabrücker Traditionshaus Distributionz einen ersten mutigen Tape-Untergrundvertrieb und stellten sich so im Schatten des Rap-Mainstreams und ohne mediale Beachtung auf eigene Beine. Opti Mane und Donvtello trieben diese Prozesse mit diversen eigenen Releases und Kollaborationen selbst voran und erhustleten sich ihren O.G.-Status in der Szene.

Donvtello, Opti Mane

Mittlerweile ordnen sie sich als »mittlere Generation« des Deutsch-Phonk ein. Mit der Pistol Posse, den Mosaic Boyz und der 44-Hustler-Crew hat sich bereits die nächste Riege junger Memphis- und Tape-Nerds versammelt. Auch mit diesen Newcomern arbeiten Opti und Donvtello zusammen. Das Rad dreht sich eben weiter, die Liebe zur Sache vereint. Kurz nach dem Gespräch beklebt Donvtello in bester Handarbeit die 150 Kassetten seines neuen Beattapes. In Opti Manes Zimmer liegt die Box seines herrlich entspannten »Bettchiller«-Tapes. Statt billige Wegwerf-Goodies legte er der Kassette die eigene Bachelorarbeit über Memphis-Rap bei. Diese Musik ist für die beiden eben kein kurzweiliger Trend, sondern ein Lifestyle.

Seite 2: »Ich umgebe mich täglich damit: Tapes sind mein Leben«

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