»Untergrund heißt für mich nicht, dass dich keiner kennen darf« // Shacke One im Interview

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Wenn Shacke One zum Angriff bläst, werden weder Experimente noch Kompromisse gemacht. In altbewährter Westberliner Manier liefert der selbsternannte »Prinz vom Humboldthain« konsequenten Battlerap ohne Punkt und Komma. Die Low-Budget-Videos, in denen er sich im nächtlichen Lichtkegel uriger Kiezkneipen und auf den modesten S-Bahn-Brücken seiner Nachbarschaft breitspurig in Szene setzt, haben sich längst als unverwechselbares Markenzeichen eines vielschichtigen Underground-Movements etabliert. Das »Nordachse-Militär« im Rücken schickt sich Shacke knapp eineinhalb Jahre nach Veröffentlichung seines letzten Albums nun an, sein Monopol erneut zu verteidigen.

Gleich auf dem ersten Track der neuen Platte (lest hier die Review zu »Shackitistan«) stellst du klar, dass das, »was mal ein Spaß war«, inzwischen »zum Business« geworden ist. Trotzdem wirkt es nicht so, als hätte sich deine Attitüde oder Arbeitseinstellung seit »Schmiers, Stecks & Suff« sonderlich verändert.
An der Einstellung hat sich nichts geändert, das stimmt. (lacht) Aber trotzdem ist Nordachse inzwischen zu unserem Tagesgeschäft geworden. Wir haben Strukturen aufgebaut und eine Firma gegründet, in der wir alles selbst machen, wir rennen zum Steuerberater und kümmern uns um hochwertiges Merch. Wir sind keine Kinder mehr, die gerade frisch aus der Schule raus sind: Achim Funk und ich leben von der Musik. Nordachse ist unsere Independent-Fabrik, und Rap ist dadurch unser Business.

Geschehen einige Dinge dadurch ­inzwischen geplanter als früher?
Grundsätzlich ist es so, dass Achim und ich uns in dieser Hinsicht gut ergänzen: Er plant die Angelegenheiten insgesamt etwas akribischer, während ich eher der Typ Mensch bin, der für den Moment lebt. (schmunzelt) Das war aber schon immer so. Nach wie vor liegt der Fokus mehr auf geilen Songs und fetten Videos als auf Promo-Tools oder einem breiten Netzwerk in Künstlerkreisen. Ich habe kaum mit anderen Rappern zu tun, gebe immer noch keine Videointerviews und verschwende immer noch keinen Gedanken an irgendwelche Premiumboxen. Die Nordachse CashGroup professionalisiert sich eher in anderen Bereichen: Bald kommt zum Beispiel ein richtiger Spielfilm von Heiko, der definitiv vielschichtiger und hochwertiger ist als alles, was er bislang auf unserem Youtube-Kanal gemacht hat.

Du repräsentierst unnachgiebige Bodenständigkeit, bekennst dich glaubwürdig zum Untergrund und betonst häufig, dass deine Musik Geschichten aus dem echten Leben erzählt. Lässt sich dein Wertekanon mit dem zunehmenden Bekanntheitsgrad vereinen?
In meinen Augen schließt das eine das andere nicht aus. Meine Definition von Untergrund beinhaltet nicht, dass dich keiner kennen darf. Für mich ist das vielmehr eine Sache der Einstellung. Die Jungs von der 187 Strassenbande haben zum Beispiel eine ähnliche Haltung wie wir, obwohl sie sicherlich keine klassischen Untergrund-MCs mehr sind. (lacht) Es geht einfach darum, kompromisslos Musik zu machen, sein Ding durchzuziehen, ohne sich der Industrie zu unterwerfen und für gewisse Werte einzustehen. Es soll nicht die ganze Zeit um Geld gehen, sondern eben auch um das, was auf der Straße und innerhalb des eigenen Kosmos passiert.

Was die Auswahl deiner Beats betrifft, bist du deiner alten Linie treu geblieben. Allerdings wirkt es in Anbetracht der kompakten Tracklist und hohen Dichte an Brechern so, als hättest du smoothe Songs akribischer aussortiert als auf den Vorgängeralben.
Ursprünglich wollte ich die Platte komplett im roughen Stil halten, habe mir »Enta da Stage« von Black Moon zum Vorbild genommen. Ich sortiere aber grundsätzlich keine fertigen Songs aus, sondern bastele so lange an einem Track rum, bis er für die Platte brauchbar ist. Auf dem Weg dorthin ändert sich hin und wieder der Text, auch weil wir ab und an den Beat austauschen. »Shack Norris« gab es beispielsweise in verschieden­sten Versionen – mal in chillig, mal im Nineties-Style, mal in sehr soft und so weiter. Bevor er so wuchtig wurde, wie er jetzt ist, ist viel Zeit vergangen. An »LaLaLa« haben wir auch lange getüftelt … einfach, um auszuschließen, dass das Ding wie ein billiger Popsong daherkommt. Am Ende ist das Album ganz schon Underground geworden, wenn man mal bedenkt, dass allein drei der zehn Songs noch nicht mal einen Refrain haben. (lacht)

Für die Beats zeichnen mit Achim Funk und Klaus Layer wieder einmal ausschließlich Producer aus deinem direkten Umfeld verantwortlich. Du bist selbst DJ und bekennender Funk-Nerd. Inwieweit nimmst du selbst Einfluss auf die Produktionen?
Das ist unterschiedlich. An den Klaus-Layer-Beats muss meistens nicht mehr viel gemacht werden. Aber die Songs, an denen Achim beteiligt ist, entstehen häufig in Zusammenarbeit. Ich digge viele Samples, die er dann zum Teil verwerten kann. Viele Sachen spielt er aber auch selbst ein, diese ganzen düsteren Synthie-Sounds zum Beispiel. Insgesamt investieren wir die meiste Zeit in die Beats. Das ist auch ein kleines Markenzeichen von Nordachse – dass die Beats einfach alle killer sind. (lacht) Ich habe da wirklich hohe Ansprüche und bin stolz darauf, dass es in Deutschland kaum etwas Vergleichbares gibt. Am ehesten vielleicht noch die Ssio-Beats, die zum Teil schon echt fett sind. Aber selbst die wirken ein bisschen geleckter, weil sie so perfekt ausproduziert sind.

Das Album enthält eine Vielzahl offener und versteckter politischer Botschaften. War es dir wichtig, diesbezüglich im Vergleich zu »Schmiers, Stecks & Suff« und »Bossen und Bumsen« etwas konkreter zu werden?
Ich hatte mir das nicht explizit vorgenommen, aber ich wollte inhaltlich schon irgendwas anderes machen als beim letzten Album. Ich sehe mich nicht als politischen Rapper, aber ich schließe es auch nicht kategorisch aus, mich an den passenden Stellen zu bekennen und auch mal durchblitzen zu lassen, dass ich mich politisch natürlich eher links als rechts einordne und mich dem Proletariat verbunden fühle. Vor allem der Song »Shackitistan« hat jetzt eine gewisse Hippie-Optik bekommen, und das finde ich irgendwie ganz erfrischend.

»Ich bin selbst kein Aktivist, aber ich finde es traurig, dass die echten Characters aussterben«

Neben kritischen Statements zur Berliner Stadtentwicklung und einer gut platzierten Punchline gegen »kleine Husolinis« beklagst du im Laufe der Platte mehrmals den allgemeinen Schwund von Subkulturen.
Vor ein paar Monaten habe ich in meiner Stammkneipe einen Typen kennengelernt, einen gebürtigen Weddinger mit griechischen Roots. Wir haben den ganzen Abend rumgehangen und uns total geil unterhalten: darüber, dass die Punks und der Dreck zunehmend aus der Stadt verschwinden und es immer weniger Freiräume gibt, die du als kreativer Mensch ja eigentlich zum Atmen brauchst. Wenn alle Pfade geebnet sind, wird’s nun mal schwerer, querfeldein zu gehen. Der Typ hat erzählt, dass er aus Berlin wegziehen will, weil ihn die Stadt nicht mehr inspiriert. Das hat mich so sehr beschäftigt und in meinen Ansichten bestärkt, dass ich am nächsten Tag einen Song darüber geschrieben habe: »Untergrundhaft«. Da habe ich viel angestaute Wut abgelassen und mich mal so richtig ausgekotzt. (lacht)

Wie erklärst du dir, dass Subkulturen zunehmend aussterben?
Das hat viel mit dem Aufkommen des Internets und der voranschreitenden Globalisierung zu tun. Das lässt sich gut am Beispiel von Graffiti erklären: Früher bist du nach Italien gefahren und konntest feststellen, dass die Leute da irgendwie komisch und ganz anders als in Deutschland gemalt haben. Heute fliegst du nach Südamerika, und die Graffiti-Styles sehen genauso aus wie hierzulande. Alle malen immer gleicher – und genau das ist Globalisierung: Weltweit haben alle die gleichen Handys mit den gleichen Klingeltönen, benutzen dieselben Apps und tragen die gleichen Klamotten. Das ist keine gute Entwicklung. Mir ist bewusst, dass ich selbst ohne das alles – speziell ohne das Internet – nicht leben und überleben könnte und dass das alles ein zweischneidiges Schwert ist, weil ich ja teilweise selbst Nutznießer bin. Aber was mich erschreckt, ist diese Gleichgültigkeit: Allen ist immer alles egal. Ich bin selbst kein Aktivist, aber ich finde es traurig, dass die echten Characters aussterben! Dieser oberflächliche amerikanische Lebensstil macht alle gleich. Und im angepassten Mittelmaß gibt es keine Freaks mehr. Das zeigt auch die Musik, die ja allgemein immer sehr eng mit der Entwicklung der Jugend und der Kultur verbunden ist: Alles klingt gleich! Die Leute hinterfragen nichts, labern einfach nur alles nach und konsumieren.

Der Titel der Platte ist gleichbedeutend mit einem Ort, der dein persönliches Paradies definiert. Ist dieser Ort fiktiv?
»Shackitistan« steht für eine Mischung aus Utopie und realer Lebenswelt. Das erkläre ich ja im Titelsong: Ich versuche, meine Utopien in meinem eigenen Kosmos umzusetzen, an dem Ort, an dem ich lebe. Und das gelingt mir insofern ganz gut, als dass ich hier in Nordberlin alles habe, was ich brauche. (schmunzelt)

Text: Alex Barbian

Dieses Feature erschien in JUICE #192. Aktuelle und ältere Ausgaben könnt ihr versandkostenfrei im Online-Shop bestellen.

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