Art of Peer Pressure: Die Revolution der Rap-Kollektive // Feature

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Tyler, The Creator, A$AP Rocky und Kendrick Lamar gehören zweifelsohne zu den größten Stimmen, die die US-Rapszene in den letzten zehn Jahren hervorgebracht hat. Neben zahlreichen Instant Classics, Nummer-Eins-Platzierungen und Grammy-Nominierungen haben die drei vor allem eins gemeinsam: Sie alle waren Teil eines Rap-Kollektivs und sind mit Hilfe dessen zu absoluten Rap-Superstars geworden.

Es ist das Jahr 2007. HipHop befindet sich in der Schwebe: Eminem hat Slim Shady längst zu Grabe getragen, die Trennung von Outkast ist nach »Idlewild« inoffiziell vollzogen, Lil Jon und sein Crunk waren schneller wieder weg, als sie überhaupt da waren. Es gibt nicht viel, an das die Jugend dieser Tage glauben kann. Würdet ihr Nas fragen, dann hat HipHop seine politische Strahlkraft verloren, handelt nur noch labelkonform. »Hip Hop Is Dead« – eine Revolution muss her.

Gleiches Jahr, Los Angeles, Kalifornien. Der damals 16-jährige Tyler, The Creator entdeckt die Vorzüge des Worldwidewebs. Um im Netz Gehör zu finden, reichen der heimische Schreibtisch in Ladera Heights, eine gecrackte Version von »Reason« und ein Tumblr-Blog aus. Schon damals hat Tyler große Visionen: Eine eigene Modelinie, ein Blog, selbstgedrehte Videos zwischen Wahnsinn und Eklektizismus und natürlich die eigene Musik, inspiriert von dem, was Kanye und Co. in die Boxen spülen. Es sind zu viele Visionen für eine Einzelperson. In der Highschool und über MySpace scharrt Tyler einen Underdog-Pulk aus über 40 Leuten zusammen, der ihn bei der Umsetzung unterstützen soll – darunter Videomacher, Musiker, Fotografen, Fashion Designer oder einfach nur coole Kids mit umgedrehten Kreuzen auf der Stirn, die sich durch ihr Können auf der Halfpipe oder ihr Aussehen als irgendwie würdig genug herausstellen, die Posse zu repräsentieren. 

Die Geburtsstunde von Odd Future Wolf Gang Kill Them All (checkt hier unser großes OF-Feature aus 2012) und damit das Paradebeispiel eines HipHop-Kollektivs der Neuzeit: Wie beim Prinzip Boyband haben alle Rapper und Sängerinnen ihren individuellen Charakter, während der Rest der Crew im Hintergrund das übernimmt, was normalerweise Labelarbeit ist. Nur dass hier keine aalglatten Boyband-Images aufwarten, sondern die Antihelden der Generation Y: Da wäre zum Beispiel der unangepasste Tyler, der in seinem Leben über zwölf Schulen rund um Los Angeles besucht hat, der lange im Closet feststeckende Frank Ocean oder aber der extrovertierte Earl Sweatshirt, den die Mutter erst vor kurzem aufgrund seiner Drogenaffinität nach Samoa schickte. Die Vielfalt an Charakteren ermöglicht dem Kollektiv maximale Kreativität. Es wird experimentiert und nach anfänglichem Austesten auf Mixtapes und Live-Shows das stärkste Mitglied vorausgeschickt. Bei Odd Future ist es Tyler, The Creator, der 2011 mit »Bastard« sein verstörend gutes Solodebüt hinlegt. Die Eastcoast schickt A$AP Rocky vom A$AP Mob ins Rennen. Der gerade durch »Section.80« entdeckte Kendrick Lamar hievt derweil seine TDE-Kollegen Ab-Soul, Schoolboy Q und Jay Rock mit Black Hippy aufs nächste Level.

Das neue Anti-Establishment

Neu ist der Crew-Gedanke nicht: Schon der Wu-Tang Clan in den Neunzigern oder die Diplomats zu Beginn der 2000er haben gezeigt, dass es sich in der Gruppe erfolgreicher lebt. Was das Ende der Nullerjahre ihnen allerdings voraus hat: das Internet. Niemand ist mehr auf die Promo der großen Plattenfirma angewiesen. Niemand muss mehr auf den großen Entdecker warten, der einen von der Straße wegcastet. Ohne großen Aufwand landet alles, was im Halbrausch ins Mikro gebrüllt wurde, kostenlos im Internet. Quantität vor Qualität – Das DIY-Zeitalter ist angebrochen und mit ihm eine neue Ära im HipHop. Kollektive wie Odd Future und der A$AP Mob gehören zu ihren Galionsfiguren und haben damit eine ganze Rap-Generation von DatPiff bis Soundcloud geprägt (lest hier, wie Soundcloud HipHop für immer verändert hat). 

Tatsächlich ist das WWW aber nicht der einzige Trumpf: Denn die Möglichkeit, alles selbst zu machen, birgt den Vorteil, maximal auf alles scheißen zu können. Kids, die sich im Drogenrausch die Fingernägel ausreißen, White Girls auf Lean mit Gold-Grillz die »Purple Swag« grölen oder Kakerlaken zum Frühstück? Hell yeah, warum eigentlich nicht! Das neue Anti-Establishment ist laut, provoziert und lässt die Kids in protestarmen Zeiten wieder an was glauben. Die ungebändigte Energie auf Live-Shows erinnert jetzt an regelrechte Punk-Messen, auf denen die Revolution und neuerworbene Rap-Freiheit zelebriert wird – und jeder will Teil dieser Dynamik der Andersartigen sein. 

Doch ehe man sich versieht, sitzt Tyler neben Kanye oder Pharrell, Frank neben Beyoncé, Rocky neben RiRi – neben den einst großen Idolen, die jetzt auch von der Underground-Coolness profitieren wollen. Mit dem steigenden Erfolg schleicht sich das Ende der Gang ein. Auf Dauer können kaum alle Mitglieder mitgezogen werden. 2015 lässt Tyler, The Creator über Twitter verlauten: »Although it is no more, those 7 letters are forever« und gibt damit mehr oder minder offiziell die Trennung von OFWGKTA bekannt. Im gleichen Jahr stirbt mit A$AP Yams der Executive Producer und Leader des A$AP Mob. Im Hause TDE ist Rap-Messias Kendrick so sehr mit dem eigenen Legendenstatus beschäftigt, dass es als Black Hippy nur für einen letzten Posse-Track auf Jay Rocks Album »90059« reicht. Die Revolution Rap-Kollektiv scheint 2015 vorbei. Ihre Fackelträger sind ihr entwachsen und letztlich doch in den Tiefen der großen Rap-Maschinerie versunken.

All American Boyband

Auftritt: Brockhampton. Die Anfänge der All-American-Boyband, die aus Texas kommt, mittlerweile aber in einer riesigen WG in Los Angeles lebt, lassen sich auf das Jahr 2010 zurückdatieren, als ein gerademal 14-jähriger Kevin Abstract in einem Kanye-Forum den Post für eine Bandneugründung absetzt. Als Brockhampton sechs Jahre später mit »All American Trash« allmählich den Kopf aus dem Untergrund heraussteckt, hat sich für viele die nächste Generation DIY aus der Eierschale gepellt. Die Vergleiche mit Tyler und seiner Gang blieben nicht aus: Ein Haufen Typen, die Rap machen, rumexperimentieren und in ihrem blanken Hass auf das Musikbiz vereint sind. Der Unterschied der beiden Gangs manifestiert sich allerdings nicht nur im Musikalischen, sondern auch darin, dass Brockhampton als Kollektiv viel schlüssiger funktioniert, als OF und die A$APs es je taten. Zwar schlagen Mitglieder wie Kevin Abstract auch Solopfade ein, doch liegt der Hauptfokus der Gruppe auf der Zusammenarbeit: »Brockhampton ist nicht nur ein Musik-Kollektiv. Wir wollen es in eine Medienfirma umwandeln«, sagt Produzent Jabari. Ein Vorhaben, das 88Rising, die Crew um Keith Ape und Rich Brian, auf dem asiatischen Markt dieser Tage schon erfolgreich umgesetzt hat.

Die Anfänge von Brockhampton. Eine sehenswerte Doku.

Brockhampton sind dabei, das anfängliche Konzept der Rap-Kollektive zu perfektionieren. Ob sie sich als Gruppe an die großen Labels verlieren werden oder nicht, wird die Zeit zeigen. Und auch wenn Tyler, Rocky und Co. den Hoodies entwachsen sind, bleiben ihre Gangs nach wie vor die großen Vorbilder in Sachen Crewlove und DIY-Zeitgeist. Auf dem ganzen Globus haben sie mit viel Eigeninitiative, Talent und Mut, Kids in den 2010er-Jahren von der großen Rapkarriere träumen lassen und gezeigt, dass diese eben nicht von gesellschaftlichen Konventionen oder der Gunst der großen Labels abhängt. Und dass mit den richtigen Leuten, der richtigen Einstellung und den richtigen Plattformen aus nahezu nichts etwas ganz Großes entstehen kann.

Text: Katrin Melchior
Foto: Promo

Dieses Feature erschien zuerst in JUICE 195. Aktuelle und ältere Ausgaben könnt ihr versandkostenfrei im Onlineshop bestellen.

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