Prinz Pi: »Der Pi von damals würde mich nicht verstehen« // Feature

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Fünftes Cover // JUICE #172 (2015)

Mit diesem Cover warst du das zweite mal innerhalb von einem Jahr auf dem Cover der JUICE. War die Presse Prinz Pi gegenüber schon immer etwas zu aufgeschlossen?
Ich habe ein total zwiespältiges Verhältnis zur Presse. Es gab Leute, die sich sehr wohlwollend mit mir auseinandergesetzt haben. Ich hatte aber immer das Gefühl, dass es andere Leute gab, die einen sehr ungerecht und böswillig behandelt haben. Es gibt Leute, die schreiben: »Er sagt das, aber er meint etwas anderes«. Das finde ich eine ganz schlimme Form der Übergriffigkeit. Manche solcher Behauptungen haben mich sehr verletzt, weil andere Menschen diese Meinungen übernahmen. Ich habe beispielsweise mal einen Song gemacht, der heißt »Familienalbum«, da schreibe ich über einen sehr nahen Verwandten von mir, der ein ziemlich schlechter Mensch war. Marcus Staiger, der mich seit Ewigkeiten kennt und mit dem ich früher gemeinsam eine Zeitung gemacht habe, auf dessen Label ich war und dem ich eine Menge Schulden erlassen habe, ist irgendwann zu einem Journalisten geworden. Dem hat das nicht gefallen, wie sich meine Musik entwickelt hat. Über diesen Song schrieb er damals, ich würde mir Geschichten aus den Fingern saugen. Da habe ich mich gefragt: Woher weiß er das denn? Das auszusprechen, was auf diesem Song verhandelt wird, hatte mich sehr viel Überwindung und Kraft gekostet. 

Braucht es deiner Meinung nach 2021 ein reines Print-Magazin für HipHop noch oder haben die großen Medien in ihrem Kulturteil inzwischen im Bereich HipHop aufgeholt?
Wenn man die Frage stellt: Sind im Jahr 2021 überhaupt noch Printpublikationen wichtig und diese Frage mit »nein« beantwortet, dann braucht man auch kein HipHop-Print-Magazin mehr. Wenn man nach der Wichtigkeit, der Vielfalt und dem gesellschaftlichen Impact von HipHop fragt, dann muss man aber feststellen, dass HipHop in Deutschland größer denn je ist. Heute hört nahezu jeder diese Musik. Ich denke es fehlt ein wirklich gutes und vielschichtiges Magazin für HipHop, das andere Aufgaben erfüllt als nur Interviews zu führen und Reviews zu schreiben. Ich glaube es wäre wichtig ein Printmagazin zu haben, das Facetten und Menschen in dieser Szene beleuchtet und einordnet – das fände ich sehr wichtig.

Szene-Lieblinge wie Haiyti, Casper, Haftbefehl oder zuletzt Danger Dan finden noch regelmäßig in Print-Formaten statt. Es gibt ewig viele HipHop-Podcasts, Video-Formate und digitale HipHop-Portale. Warum also noch ein Print-Format?
Das stimmt, aber die Künstler, die du eben aufgezählt hast, werden interviewt von Leuten, die aus ihrer Feuilleton-Welt kommen. Für die ist das alles nach dem Motto: Ok jetzt darf hier mal einer von den Hiphoppern in unser Blatt. Das machen die aber nicht für HipHop, das machen die fürs Foto danach und um zu sagen: »Ey ich bin jetzt mit Hafti Abi auf du«. Das sind für mich Leute, die mit der Szene nichts zu tun haben. Leute, die aus dem HipHop kommen, vergleichen Haftbefehl nicht mit Goethe. Die vergleichen ihn mit anderen Genies aus dem Hiphop und sagen dann: »Der ist einzigartig«. Vergleiche mit Goethe machen nur Leute, die Referenzen außerhalb von HiHop brauchen, weil weder sie noch ihre Leser Ahnung von Hiphop haben. Das machen nur Leute, die Referenzen außerhalb von HipHop suchen. Warum also nicht wieder ein Printmagazin, das Mode-Strecken der Klamotten von Juju oder Sierra Kidd zeigt und diese riesige HipHop-Welt abbildet.

Die Menschen aus der sogenannten Szene gehen zum Teil auch mit ihren Stars hausieren. Ein Großteil der »HipHop-Journalist:innen« schreibt in Texten und spricht in Podcasts nur mit ihren Lieblingsmusiker*innen. Ich finde die großen Zeitungen berichten viel kritischer über HipHop-Stars, als die einschlägigen HipHop-Kanäle in Deutschland. Mit einem neuen Printmagazin hast du am Ende ein geiles Liebhaberprojekt – mehr nicht.
Nein, dieses Magazin muss kritisch über die Szene berichten. Du könntest z.B. fotografieren wo Pashanim abhängt, du könntest über verschiedene Bezirke in Städten sprechen und wie die Künstler, die aus ihnen hervorgegangen sind sie geprägt haben, erzählen oder Stellung beziehen zu aktuellen Kontroversen. Hiphop ist so wichtig – auch Leute die sich damit noch nicht so gut auskennen, sagen wir auch Lehrer oder Eltern, brauchen eine authentische Quelle mit Hintergründen und Infos. Das wäre für alle gut.

Im Interview hast du damals von deiner Reise nach Detroit erzählt. Dem Zerfall dieser Stadt stellst du das im Westen vorherrschende Versprechen vom amerikanischen Traum gegenüber (Im Westen nichts Neues) und erzählst von der Gentrifizierung Berlins. Auch denkst du im Interview zurück an den Royal Bunker im damaligen Wrangelkiez – ein Gewisser Hass auf zugezogene Spanier und Studenten sprach damals aus dir. Wie stehst du heute zu Berlin?
Hass ist das nicht gewesen. Aber viele Bezirke verändern seit langem völlig ihr Gesicht. Wegen Leuten aus Stuttgart, die ihre Wohnung von den Eltern bezahlt bekommen. Andere vermieten ihre Wohnung als Airbnb. Das verändert ganze Straßenzüge und verdrängt Leute, die dort seit Ewigkeiten wohnen, an den Rand der Stadt. Der Typ, der da seine Wohnung vermietet, sieht nur die hohe Miete, anstatt die Folgen ernst zu nehmen, die er verursacht. 

Als gebürtiger Berliner habe ich mich selbst auch immer als Teil der Gentrifizierung verstanden. Weil man eben in dem Kiez wohnen will, in dem jeder wohnen will. Du nicht?
Als ich ein Jugendlicher war, wollte ich nur raus aus Berlin-Zehlendorf, weil ich bei den Bonzen dort einfach kein Anschluss gefunden habe. Da werden abends die Bürgersteige hochgeklappt und was geiles zu Essen gibt’s auch nicht. Dafür halt den Schlachtensee, der einem sehr viel Ruhe geben kann. Schon während meiner Schulzeit hat sich mein Leben in andere Bezirke verlagert. Ich bin in Steglitz zur Schule gegangen und war abends immer in Kreuzberg und Schöneberg unterwegs.
Nach der Schule bin ich dann nach Kreuzberg gezogen, weil der Royal Bunker dort war und das damals zugleich die billigste Wohngegend war. Hätte ich eine billigere Wohnung in Lichtenberg gefunden, dann wäre ich dorthin gezogen. So ist das doch bei den meisten jungen Berlinern. Statt einem geilen Köfte-Burger für zwei Euro kriegst du heute in Kreuzberg einen Soja-Macha-Latte. Damit kann ich nichts anfangen. Echte Berliner wollen dass der Fleischerladen von vor 20 Jahren heute noch genau dort steht, wo er früher stand, anstatt dass da ein Laden ist, der genauso in L.A. oder Barcelona stehen könnte.

»Was denkst du würde ein Psychologe sagen, wenn ich ihm erzähle, dass ich mit 30 Jahren ein Album über meine Schulzeit gemacht habe?«

Der Bezug zur amerikanischen Kultur kommt bei dir durch dein Aufwachsen in Berlin-Zehlendorf. Ich bin auch dort zur Schule gegangen. Direkt gegenüber von der sogenannten »Amerikanischen Siedlung«. Bis auf die Kasernen, die heute Wohnhäuser sind, ein Alliierten-Museum und die amerikanische Botschaft, hatte ich jedoch kaum Kontakt zu amerikanischer Kultur. Wie sah das in deiner Jugend dort aus?
Als ich noch ein Kind war, waren die Amis noch in Zehlendorf. In meinem Kindergarten gab es viele Kinder von G.I.’s. Mein bester Freund Andrew, der Sohn eines G.I., wohnte in einer dieser »Army Barracks«, die gab es damals nicht nur in der »Amerikanischen Siedlung« an der Clayallee, die standen an vielen Orten. Ich kann mich noch an amerikanische Halloween-Partys bei ihm erinnern, da gab’s dann immer die geilen amerikanischen Süßigkeiten. Der Zuckergehalt von dem Zeug war viel höher als bei den deutschen Haribosachen. Dort wo heute der Lidl steht, stand damals in der amerikanischen Siedlung noch der PX (»Post Exchange«, ein Einkaufszentrum mit amerikanischem Angebot, das nur von US-Soldaten, Reservisten, Veteranen und deren Angehörigen mit speziellen Ausweisen besucht werden konnte). Dort konnte ich über meinen Freund an U.S. Musik und Turnschuhe kommen. Der McDonald‘s an der Clayallee wurde extra nur für die dort stationierten Soldaten gebaut – es war der erste McDonald‘s in Deutschland. Einer der ersten Clubs, wo ich gerappt habe, war der Zone-Club in Berlin-Griebnitzsee. Da war ein von amerikanischen Soldaten umgebauter Schuppen, der mit Tarnnetzen und Munitionskisten aus der Militärbasis dekoriert war. Dort habe ich das erste mal in einer Cypher gerappt. Dieser amerikanische Einfluss war für mich in meiner Kindheit und Jugend unfassbar positiv. So bin ich zu HipHop gekommen.

Auf »Kompass ohne Norden« hast du deine 20er verhandelt, auf »Im Westen Nichts Neues« folgten deine 30er. Auf dem Intro beginnt die Geschichte mit dem zehnjährigen Abiturtreffen und der Ablehnung der Lebensentwürfe ehemaliger Klassenkameraden. Am Ende dieses Interview einmal gefragt: Sprichst du gerne über dein Leben?
Ich sage ja immer: Das Leben ist wie ein Entrecôte – durchwachsen. Es gibt nicht immer nur schöne Zeiten. Viele Zeiten, auf die wir heute geschaut haben, waren für mich nicht so cool. Wären sie gut gewesen, dann müsste ich sie heute nicht immer noch in meiner Musik aufarbeiten. Was denkst du würde ein Psychologe sagen, wenn ich ihm erzähle, dass ich mit 30 Jahren ein Album über meine Schulzeit gemacht habe? (lacht) Der würde sagen: »Joa, da liegen wohl ein paar Konflikte in der Vergangenheit.«

Deine Hörer:innen sind größtenteils sehr viel jünger als du. Hast du das Gefühl, ihnen heute erzählen zu können, wie man schwere Zeiten durchsteht?
(überlegt) Das Konzept, ein klares Ziel im Leben zu haben, ist ein Konzept der letzten Generation. Solche überholten Konzepte gibt es massenhaft. Früher gab es Ostblock und Nato, Frauen und Männer, Himmel und Hölle. Heute funktioniert sowas nicht mehr, weil wir gemerkt haben, dass es zu viele Zwischentöne gibt. Anpassungsbereitschaft ist wahrscheinlich heute der wichtigste Begriff, um deinen Weg im Leben zu finden. Es ist kein Versagen, wenn du ab und an deine Laufbahn änderst. Es ist auch kein Versagen Fehler zu machen. Ich glaube ich kann den Leuten nur sagen: Es ist nicht schlimm, dass du nicht weißt, was du werden willst. Zieh keinen Selbstwert aus irgendwelchen materiellen Indikatoren für Erfolg. Du musst auch nie eine Antwort darauf finden, wer du bist und was du willst – denn du bist schon jemand: Du selbst.

Zum Ende ein Blick in die Zukunft: Ist da schon was geplant?
Ja! Ich arbeite seit zwei Jahren an meinem neuen Album! Es wird »Keine Liebe« heißen und höchstwahrscheinlich Ende März 2022 erscheinen. Ich freu mich mega darauf!

Interview: Lukas Hildebrand
Foto: Annika Yanura

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