Zu viel, zu kopfig, zu unironisch für Kraftklub: Als Frontmann Felix 2016 anfängt, anders als gewöhnlich aufzuschreiben, was in seinem Kopf stattfindet, da existiert noch kein Plan für ein Album. Wo er sich bei Kraftklub noch den sarkastischen Rollenspielmantel überwerfen konnte, gibt sein Solodebüt »KIOX« drei Jahre später alles frei: seinen »Welthass/Selbsthass-Mix«, Schiffsbruchstimmung und nach Bernd Bass, Felix Brummer und Carsten Chemnitz erstmals seinen Klarnamen. Back for the first time – herzlich willkommen, Kummer.
Du hast für »KIOX« mit BLVTH und den Drunken Masters zusammengearbeitet.
Ich habe relativ lange nach der musikalischen Welt gesucht, in der das Album stattfinden soll. Ich habe viel auf andere Instrumentals geschrieben, vor allem auf Lana Del Rey. Wenn man das jetzt im Vergleich hört, hat das eine mit dem anderen nichts zu tun. Aber ich habe versucht, einem bestimmten Vibe nachzujagen, und BLVTH war derjenige, der am besten verstanden hat, was ich wollte.
Ist das immer so, dass deine Musik am Anfang völlig anders klingt als das Endprodukt?
Nein, hier hängt das stark damit zusammen, dass ich ohne großen Plan zu schreiben angefangen habe. Es sind viele persönliche, fast schon autobiografische Texte dabei, das war mir zu viel für Kraftklub. Ich habe einfach für mich drauflos geschrieben und wusste gar nicht, welche Musik da drunter kommt.
Deine Stimme klingt auf dem Album teilweise sehr anders. Bei »Es tut wieder weh« hab ich am Anfang nicht gemerkt, dass du das bist.
Den Song haben wir bei BLVTH im Wohnzimmer aufgenommen. Vielleicht kling ich da einfach anders, weil es ein intimer Moment war. Ich habe nicht überlegt, wie ich jetzt wie Eminem irgendwelche Sprachfiguren formen kann. Das war nicht konzeptionell.
Man hört auf dem Album viele Elemente, die man im Zusammenhang mit dir bisher nicht kannte. Auf einem Song verwendest du zum Beispiel einen Stimmverzerrer. Wie sehr ist das dem Einfluss der Produzenten geschuldet?
Der ganze Prozess war sehr intuitiv. Mit Kraftklub war es aufgrund der unterschiedlichen Instrumente immer sehr aufwändig, irgendwas mal schnell zu probieren. Jetzt habe ich es sehr genossen, dass man buchstäblich in der Küche oder im Wohnzimmer sitzen und machen konnte, ohne auf die Qualität achtzugeben. Teilweise sind auf der Platte Vocals drauf, die als iPhone-Sprachmemos aufgenommen wurden. Mit Autotune hatte ich null Erfahrung, BLVTH arbeitet aber live viel damit. Ich weiß auch nicht, wie ich das live machen werde.
»Es ist doch behämmert, noch immer auf Masse CDs zu produzieren«
Du hast LGoony, Keke und Max Raabe auf dem Album. Wie hast du die Kombo ausgewählt?
Max Raabe ist ein formvollendeter Gentleman, ich bin schon lange Riesenfan. Ich habe meiner Mutter mal Konzertkarten geschenkt, die für mich damals absurd teuer waren. Dann sind wir da hingegangen, und es war einfach umwerfend. Als ich ihn jetzt gefragt habe, ob er auf dem Album sein will, war er keine zwei Wochen später im Studio. Vorher war das so eine absurde Vorstellung, dass das wirklich zustandekommt. Dann kam er vorbei und es war mega. Als er den Song das erste Mal angesungen hat, war man erst mal so: Fuck! Dann hat er ganz höflich vorgeschlagen: »Ich hätte da noch eine kleine Blödelei …« (Felix imitiert Raabes Gesang) Ich dachte darauf nur: O Gott, ist das schön! LGoony habe ich irgendwann mal auf dem splash! kennengelernt. Ich war großer Fan vom »Grape Tape« und fand seine Kunstfigur einfach geil: Von unfassbarem Reichtum erzählen, aber sich wie ein Schluffi-Dude präsentieren. Dieser Kontrast ist mega. Du merkst richtig, wie manche Rapfans ausrasten, weil sie das nicht verstehen! Das hat mir gut gefallen, und jetzt besuche ich ihn immer, wenn ich in Köln bin. Keke habe ich super früh entdeckt, da hatte sie vielleicht tausend Instagram-Follower und nur einen Song draußen, wo sie auch nur einen Featurepart hatte (lest hier unser Feature zur Wienerin).
Für das Release von »KIOX« gibt es jetzt aber ein spezielles Konzept. Das Album wird ausschließlich im gleichnamigen Plattenladen erhältlich sein.
Es hat Spaß gemacht, die Leute ein bisschen an der Nase rumzuführen. Am Anfang habe ich ja behauptet, ich mache wirklich einen Plattenladen auf. Da haben die Zeitungen in Chemnitz sogar darüber berichtet. Dann hab ich mich à la Fynn-Kliemann für Instagram beim Bauen gefilmt. Aber ich habe mehr Arbeit verursacht als abgenommen.
Das Ganze hat auch einen familiären Bezug: Das Album und dein Laden heißen so wie der ehemalige Plattenladen deines Vater.
Das war auch das Motiv für das ganze Konzept. Ich bin mit meinem Bruder in diesem Plattenladen aufgewachsen. Da hat Trettmann gearbeitet und war tatsächlich auch unser Babysitter. Das sind die Chemnitz-Facts, die hier gedroppt werden (lest hier das Interview mit dem Chemnitzer DJ Ron zu seinen Erinnerungen an den KIOX Laden).
War es dir wichtig, dein Album nur in deinem Laden zu verkaufen, um nicht den riesigen Versandhandel zu unterstützen?
Vielleicht ein Stück weit. Aber eigentlich, weil es einfach nicht mehr 2013 ist, man nicht auf Verdacht unnötige Plastikscheiße produzieren muss und die in irgendeinen Elektronikmarkt stellen muss, damit jemand, der sich eine Waschmaschine kauft, das beim Rausgehen mitnehmen könnte. Diese Zeit ist vorbei. Es ist ja ohnehin super altmodisch, CDs oder Vinyl zu kaufen. Die Leute, die Bock auf das Haptische haben, schaffen es dann auch, das Album online bei uns oder eben im Laden zu kaufen. Alle anderen können es ja streamen.
Ich hab gelesen, dass du großer Streamingfan bist.
Ja, auf jeden Fall! Jetzt gibt es bestimmt irgendjemand der sagt: »Ja, aber weißt du, wie viel Strom die Server fressen und was das für ein Energieverbrauch ist.« Aber es ist doch behämmert, noch immer auf Masse CDs zu produzieren. Vinyl hat wenigstens noch ein geiles großes Cover, das du dir meinetwegen als Deko holen kannst. Aber kein Schwein braucht noch CDs.
Der Plattenladen war sicher ein schönerer Teil deiner Jugend, aber in »9010« erzählst du von Erfahrungen, als du und dein Freundeskreis Opfer rechter Gewalt wurdet. Wie hast du diese Zeit und die Unterschiede damals erlebt?
Rückblickend ist ja immer alles besser. Aber ich hatte eine schöne Kindheit, nur merkst du schon als Schulkind, dass es Faschos gibt. So richtig problematisch wurde das erst, als wir angefangen haben auszugehen. Es war Standard, dass man erst mal abwägte, ob man einen Umweg geht, wenn man auf dem Nachhauseweg eine größere Gruppe gesehen hat. Weil das ja Faschos sein könnten. Teilweise haben wir vor Clubs gechillt, dann sind Autos vorgefahren, haben alle verkloppt und sind wieder weggefahren. Für die bist du schon Antifa und verdienst aufs Maul, wenn du eine Kapuze aufhast. Es wird aber immer so dargestellt, dass es zwei gleichstarke Pole gab, die gegeneinander gekämpft haben. Nachrichten über linksradikale Prepper-Gruppen, die sich in der Bundeswehr mit Waffen und Munition versorgt haben, gibt es aber nicht. Weil solche Gruppen faktisch nicht existieren. Aber im rechtsextremen Spektrum eben sehr wohl.
Kannst du dich noch daran erinnern, als du das erste Mal politisch wurdest – als Kind, als Jugendlicher?
Eigentlich kam das erst mit Kraftklub, dass wir Musik dafür genutzt haben. Dass ich ein politischer Mensch bin, heißt nicht, dass ich politische Kunst machen muss. Das gilt für jeden. Keiner ist verpflichtet, sich in seiner Kunst politisch zu äußern. Es gibt so viele furchtbare Zeigefinger-Politsongs von Leuten, die sich plötzlich positionieren, nur weil sie das Gefühl haben, dass sie es müssen.
Also regst du dich nicht auf, wenn viele deiner Kollegen ihre Reichweite nicht nutzen?
Dass man keine Songs darüber macht, heißt ja nicht, dass man sich nicht politisch äußern kann, zum Beispiel in Interviews oder indem man auf Demos geht. Da finde ich schon, dass man eine gewisse Verantwortung trägt. Kein Künstler ist verpflichtet, schlechte Kunst zu machen, nur weil es der Sache dient.
»Ich will nicht vor 2.000 Nazis spielen, um die von meiner Einstellung zu überzeugen«
Dass du seit Jahren konsequent Stellung beziehst, lässt darauf schließen, dass du noch Hoffnung hast auf eine offene und tolerante Gesellschaft, obwohl sie dich anekelt, wie du auf dem Album sagst. War das mal anders?
Man hat immer ein ambivalentes Verhältnis zur Gesellschaft. Ich konnte mich nie mit diesem »Wir«-Gefühl der »BILD« identifizieren. Ich habe auch keine Lust, von Faschisten
regiert zu werden, aber das heißt nicht, dass ich die CDU abfeiere, nur weil sie nicht die AfD ist. In dem Song geht es aber nicht nur um die Gesamtgesellschaft, sondern auch um die Musikgesellschaft. Das kennt man ja als Rapfan, dieses Verhältnis von »Ich mag Rap und gleichzeitig hasse ich ihn«. Das wird dem einen oder anderen JUICE-Leser auch bekannt sein.
Du bist im Laufe der Zeit sehr viel deutlicher geworden. Du verwendest deinen bürgerlichen Namen jetzt auch als Künstler, und du verzichtest mehr auf Ironie und Sarkasmus. Muss man das, um etwas zu verändern?
»9010« ist ja kein großartig politischer Song. Natürlich kommt er in einem Kontext raus, wo man das so verstehen kann. Diese Deutlichkeit und die fehlende Ironie hängen eher damit zusammen, dass ich das Gegenteil auch über Kraftklub machen kann. Ich wollte diese Art von Texten einfach anders rausbringen. Als ich für mich wusste, dass ich wirklich gerade ein Album mache und das auch veröffentlichen will, waren wir auf dem Weg zu nem Festival. Wir fahren immer in einem Bus, und oben sind die Betten. Dann habe ich die Jungs gefragt, ob wir uns mal oben treffen können. Die dachten alle, dass ich entweder Schluss mache oder Vater werde. Ich war davor mega aufgeregt, weil ich nicht wusste, wie sie reagieren. Aber sie waren cool.
Wenn ich das richtig rausgehört habe, planst du nicht, mit deinem Album irgendetwas politisch zu bewegen. In einem Interview mit dem »Spiegel« hast du gesagt: »Niemand von uns war so naiv zu glauben, dass man mit einem Konzert die Welt verändert. Aber es geht darum, von diesem ewigen ostdeutschen Minderwertigkeitskomplex wegzukommen.« Was ist schiefgelaufen, dass man diesen Minderwertigkeitskomplex überhaupt wahrnimmt?
Das ist eine Entwicklung, die sich über dreißig Jahre verfestigt hat. Das kann man nicht an einem Tag lösen. Wenn dann ein Vertreter einer Partei, die dreißig Jahre lang Sachsen regiert hat, plötzlich die Mitte der Gesellschaft in die Verantwortung nimmt … die müssen doch Lösungen anbieten! Und wir sind Musiker, wir müssen das denen nicht abnehmen. Wir wollen nicht Musik machen und damit Leute überzeugen, dass es doch nicht so geil ist, Ausländer durch die Stadt zu jagen. Manche Leute werfen uns vor, dass wir nur vor Leuten spielen, die eh schon unserer Meinung sind. Aber darum geht’s eben auch manchmal. Dass man Leuten, die sich sonst alleingelassen fühlen, zeigt, dass sie das nicht sind. Ich stell mich nicht hin und sage: Jetzt will ich vor 2.000 Nazis spielen, um die von meiner Einstellung zu überzeugen. Das ist gar nicht mein Anspruch.
Im selben Interview hast du erzählt, dass Leute aus deinem Schuljahrgang nach rechts abgedriftet sind und dass du es immer so wahrgenommen hast, dass Musik und Kunst einen davor bewahren können.
Ja, aber es gab auch genug Rechtsrock, der das andersrum gemacht hat. In »9010« geht es ja auch darum, dass jeder Täter gleichzeitig Opfer ist. Kein Mensch ist böse geboren, keiner wächst ohne Einflüsse auf und wird zum Supernazi. Da ist Musik natürlich einer von vielen Wegen, der verhindert, dass einer zum Molotow-Bastler wird. Aber es gibt genauso viele Leute, die tolle Musik gehört haben und bei denen das nichts gebracht hat. Musik ist kein Werkzeug, mit dem man alles lösen kann. Ich denke nicht bei jedem Song: Naja, der kann vielleicht etwas verändern, der isses jetzt. Im Gegenteil: Wenn die Gesellschaft weiterhin so verdorben ist, kann ich weiter Songs darüber machen. (lacht)
Gerade in den sozialen Medien gibt es ja eine starke Polarität: Einerseits Leute, die auf alternativen Nachrichtenseiten Lügen verbreiten, aber auch Solidaritätswellen wie bei Carola Rackete. Ist diese Art der schnellen Verbreitung gut oder schlecht für unsere Gesellschaft?
Vermutlich beides. Es gibt sicher Protestformen, für die das super ist. Es kommt immer darauf an, auf welcher Seite du stehst. Die gleichen Leute, die sich die Haare gerauft haben, dass so was wie Pegida passieren konnte, feiern jetzt halt Fridays for Future ab. Ohne das werten zu wollen. Das Rad kann man eh nicht mehr zurückdrehen, man kann nicht das Internet verbieten. Diese Bubbles, diese Verstärker, die kein Korrektiv mehr haben, sind schon ein bisschen gruselig. Aber lieber würde ich das so lassen, als es komplett zu verbieten. Man würde ja auch nur am Symptom rumdoktern. Klar gibt es auch Leute, die sich im Internet radikalisieren. Aber die meisten Sachen sind in unserer Gesellschaft schon angelegt. Du kannst Kapitalismus nicht komplett abfeiern, dich aber darüber aufregen, dass sich die Nordhalbkugel der Südhalbkugel gegenüber erhaben fühlt. Man sagt ja, dass die Stammtischparolen von früher heute in Facebookgruppen stattfinden. Klar gruselt mich das auch, und ich hab keine Lust, auf irgendwelchen Listen zu stehen. Aber Facebook abzuschaffen würde das Problem ja nicht lösen. Genauso wie bei Chemnitz: Wenn ich mich jetzt ein Jahr in jede Talkshow gesetzt hätte, wäre immer wieder gefragt worden: Mensch, was ist denn mit dem ostdeutschen Mann los? Das geht halt schon die letzten dreißig Jahre so. Jetzt auf einmal eine Lösung zu fordern, finde ich heuchlerisch.
Du wohnst noch immer in Chemnitz. Weil du die guten Leute dort nicht im Stich lassen willst?
Das klingt jetzt so, als ob meine Präsenz irgendeinen Unterschied machen würde. Generell sollte man sie nicht im Stich lassen. Ich zieh da sofort weg, wenn ich keinen Bock mehr darauf habe.
Warum wohnst du gerne in Chemnitz?
Natürlich wegen Familie und Freunden. Aber auch, weil du in Chemnitz viele Freiheiten hast. Zum Beispiel mit dem Plattenladen, der zwar direkt am Bahnhof liegt, ich aber sozusagen nicht mal Miete zahle, weil es so viel Leerstand gibt. Chemnitz bietet einfach Platz – wenn du Bock hast, kannst du was daraus machen. Es würde mich schon arg nerven, in Berlin nach einem Proberaum zu suchen – in Berlin überhaupt nach irgendetwas zu suchen.
Im ersten Song rappst du: »Ich mach Rap wieder traurig, ich mach Rap wieder weich«.
Ich seh das als eine Art Abgrenzung. Wenn Kollegah das eine Extrem ist, würde ich mich so weit wie möglich davon abgrenzen. Ich seh mich jetzt nicht im Alpha-Mentoring-Camp. Dieses Männlichkeitsbild finde ich einfach lächerlich. Diese Bosstransformation war früher ein bisschen lustig, aber das wird ja immer absurder. Blöd wird’s, wenn es immer ernsthafter wird. Aber ich will mich nicht auf Kollegah einschießen, der ist ja auch nur ein Vertreter von vielen. Das ist ein gesellschaftliches Problem. Das Männlichkeitsbild, das er verkauft, hat er sich nicht ausgedacht. Das existiert ja real.
Aber dass es Jungs gibt, die heute 2.000 Euro ausgeben, um mithilfe von Kollegah dessen Männlichkeitsbild zu entsprechen, ist schon krass.
Ich hätte einfach vom Boss erwartet, dass er uns sein Wissen for free zur Verfügung stellt!
Text: Enya Elstner
Foto: Hotel Rocco
Dieser Text ist Teil von JUICE #194 – ab jetzt überall erhältlich und versandkostenfrei im Onlineshop bestellbar.