Most Known Unknown – Wie Memphis HipHop bis heute beeinflusst // Feature

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Long.Live.Memphis

Trotz der fehlenden musikalischen Flaggschiffe aus der Stadt selbst stirbt der ursprüngliche Memphis-Sound aber nie aus. Über die Jahre hat sich eine Kultanhängerschaft gebildet, die die Legacy von Lord Infamous, Al Kapone und Thommy Wright III. weiterträgt – im Internet.

Als der Rapper und Produzent Space­ghostpurrp aus Carol City in Florida sein Mixtape »Blvcklvnd Rvdix 66.6« über seine eigenen Kanäle veröffentlicht, wird er schnell zum Auskennerliebling und Blog-Hype. Die Einflüsse seines »Phonk«-Sounds sind damals nicht zu überhören: Three-6-Mafia-Samples und eine satanis­tische Symbolik in Lyrics und Erscheinungsbild zeugen von einer Memphis-Rap-Sozialisation. Immer wieder betont Purrp seine Liebe zum Südstaaten-Sound: »I wasn’t listening to local Miami rap, I was listening to Memphis rap«, sagt er in einem Interview mit Okayplayer. Seine Crew, der Raider Klan, wird 2011 zu einer landesweiten Untergrund-Internet-Bewegung mit Ablegern in jeder US-Metropole. Das Kollektiv öffnet mit Lo-Fi-Horrorcore-Tracks die Ästhetik des Memphis-Rap einer neuen Zielgruppe: Nerds, Loner, Skater und weiße Mittelschichtskids pumpen fortan die verschwurbelten Neuinterpretationen, die sich durch obskure Videospiel-Samples und flächige Synthies auszeichnen. Noch heute gilt SGP szeneintern als einer der einflussreichsten Künstler dieser Zeit und einer der Begründer des Cloudraps. Auch weil er sich als Produzent für den damals heißesten Newcomer aus Harlem, New York City, verdient macht: Rakim Mayers, Künstlername A$AP Rocky. Dessen Debüt-Mixtape »Live.Love.A$AP«, das Ende 2011 erscheint, ist rückblickend ein Meilenstein für HipHop. Rocky lässt hier spielend leicht Hipster-, Nerd- und Gangster-Attitüde miteinander verschwimmen und klingt so gar nicht nach rumpelndem NYC-Bummtschack. Nicht nur JUICE konstatiert damals: »Aus seinem Faible für Houston- und Memphis-Rap macht A$AP Rocky keinen Hehl.« Mit Hilfe der Beats von SGP und Clams Casino, einem weiteren Urvater des Cloudraps, versteht es Rocky, die im digitalen Netz herumschwimmenden Trends zu bündeln und sie mit Flüssiggold zu übergießen. »Live.Love.A$AP« ist progressiv und verneigt sich trotzdem vor den Urvätern aus dem Süden.

»I think Memphis is underrated. People saying Memphis was gone blow up before Atlanta and then Atlanta just took off« – Drumma Boy

In den Folgejahren bekommt der Approach des Selbermachens eine völlig neue Wertigkeit. Was die Memphis-OGs der ersten Stunde in den Neunzigern vormachten, setzen die Internet-Kids konsequent um – und zeigen, dass Indie-HipHop erfolgreich sein kann. Die Herangehensweise dieser neuen Welle an Bedroom-Producern und Soundcloud-Artists weist unzählige Parallelen zum Arbeitsethos der Memphis-Garde in den Anfangstagen auf. Die unmittelbare DIY-Distributionskultur der Hood-Labels aus Memphis ist die Basis für die Selbstvermarktung der Internet-Generation um Künstler wie Yung Lean, Lil B und Suicideboys. Aus der damaligen Not wird eine Tugend, die es Künstlern heute erlaubt, direkte Wege zu gehen. Memphis-Rap legte den Grundstein dafür.

Still fly

Während sich halb US-Rap am Style der früheren Helden bedient, gibt es nur wenige Hometown-Heroes, die die Szene vor Ort zusammenhalten. Yo Gotti ist einer von ihnen. Zwar hat Gotti mit »5 Star« schon 2009 seinen Breakout-Song, Rap-Superstar ist er aber erst vier, respektive sechs Jahre später: »Down In The DM« (2015) wird durch Catchphrase-Hook und Cameos bekannter Rap-Kollegen im Video zu einem viralen Phänomen. Der Song geht Doppelplatin und beschert dem damals 34-Jährigen knapp zwanzig Jahre nach seinem ersten Auftritt als Lil Yo im Umfeld von DJ Sound (»Youngsta’s On The Come Up«) seinen ersten Major-Hit. Mittlerweile ist Gotti der erfolgreichste Solo-Act aus Memphis und verkörpert den stereotypen Geschäftsmann. Vielleicht ist er sogar der wichtigste Protagonist in der Geschichte von Memphis-Rap, weil er die Kluft zwischen der Crunk-Ära um Three 6 und dem auferstandenen Jetzt-Rap um Artists wie BlocBoy JB und Young Dolph überbrücken konnte.

Rap aus Memphis erlebt im Jahre zwölf nach »Hustle & Flow« eine Renaissance, Memphis-Sound ist in abgewandelter, erneuerter Form heute so gefragt wie nie. »We clearing so many samples right now (…) that my lawyer had to hire two extra paralegals to come in, just to help us get all of it done fast enough. It’s a lot of songs coming out that’s sampling Three 6 Mafia«, erzählt DJ Paul kürzlich in einem Interview mit Revolt. Der Rolling Stone bezeichnet Juicy Js 93er-Song »Slob On My Knob« als »most influential rap song of 2018«, nachdem G-Eazy (»No Limit«), A$AP Ferg (»Plain Jane«) und Future (»King’s Dead«) ihn jeweils – zumindest teilweise – neu interpretierten. Die Liste an Memphis-Referenzen, die in aktuellen US-Rap-Hits zu finden sind, ist ellenlang: Cardi Bs »Bickenhead« vom Grammy-Album »Invasion Of Privacy« ist eine Neuauflage von Project Pats »Chickenhead«, Rae Sremmurds »Powerglide« ein Rip-Off von Three 6 Mafias bereits erwähntem »Side 2 Side«. Und als G Herbo seine #WhoRunIt-Challenge startet, werden die Instagram-Timelines geflutet von Rappern (unter anderem Lil Yachty, 21 Savage und A$AP Rocky), die auf den legendären Triple-6-Beat freestylen.

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