Most Known Unknown – Wie Memphis HipHop bis heute beeinflusst // Feature

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Illustration: Julius Klemm

Und alle sagen Three 6 Mafia. Die Geschichte von Rap in Memphis detailgetreu wiederzugeben, ist unmöglich. Ausgehend von den ersten Rap-Ausflügen von DJ Spanish Fly ist über zwei Jahrzehnte eine Vielzahl von Künstlern, Posses und Enklaven in der Stadt am Mississippi zusammengewachsen. DJ Squeeky, Tommy Wright III. und Kingpin Skinny Pimp sind Legenden in ihrer Heimat, aber außerhalb von Memphis praktisch Unbekannt. Doch wenn heute über Rap aus den Südstaaten gesprochen, Trap verteufelt oder die nächste Snareroll programmiert wird, hat das direkt oder indirekt mit dem Erbe der Bluff City zu tun. Der Versuch eines Leitfadens.

Als Wirkungsstätte von unter anderem Elvis Presley, B.B. King und Johnny Cash ist Memphis eine der wichtigsten Drehpunkte der amerikanischen Musikgeschichte. Punkt. Die ersten HipHop-Gehversuche in der Wiege des Blues werden trotzdem erst Ende der Achtziger unternommen. So erscheint der erste Memphis-Rap-Release ausgerechnet in dem Jahr, als Run D.M.C gerade ihr drittes Album »Raising Hell« veröffentlichen. »I Need Money« von Kool K, das von DJ Soni D produziert wird, hat mit dem späteren Memphis-Sound, der landläufig als Horrorcore gelabelt wird, allerdings noch nichts zu tun. Die Aufnahme erinnert eher an eine etwas unbeholfene Interpretation des frühen Kurtis Blow. Eigentlich ist es ein DJ namens Spanish Fly, der den Grundstein für das finstere Grabsteingemurmel legt, das heute mit der M-Town verbunden wird. Aber von vorn.

Gangsta Walk

Afrika Bambaataas »Planet Rock« ist für den Pastorensohn Spanish Fly so eine Initialzündung, dass er sich direkt den vier Elementen verschreibt – und sie alle betreibt. Er ist so ambitioniert, dass ihm ein wenig später gewonnener DJ-Contest einen regelmäßigen Auflegejob im Club No Name verschafft. Mitte der Achtziger sind dort Genres wie R’n’B, Disco und Boogie in Mode, und Fly spielt sie – Rap aus Memphis gibt es nicht. Als N.W.A & Da Posse Ende der Achtziger die schwarzen Communitys im gesamten Land mit ihrem neuartigen Gangstarap überrollen, ist Spanish Fly allerdings angefixt. Er will auch diesen »harten Shit« spielen und beginnt, zu Hause eigene Songs aufzunehmen, die er in seinen Sets testet und dann auf Mixtapes im Club verkauft. Das funktioniert so gut, dass der Buck Dance (eine Ghettoversion des Pogo, aus dem später der Gangsta Walk hervorgeht) bei seinen Sets auf der Tanzfläche bald obligatorisch wird. Ein wichtiger Indikator, denn der Club ist bis heute ein wichtiger Austauschort für Rap im gesamten US-Süden – es geht hier mehr um Turn-up als um Messages. Zu Beginn der Neunziger sind Spanish Flys Eigenproduktionen wie »Smoking Onion« und »Slangin’ Caine« schon durchzogen von heruntergefahrenen 808s, düsteren Funk-Samples und einer Bariton-Performance über Drogenmissbrauch, Party und Gangster-Lifestyle. Der Sound ist weitaus langsamer und elektroider als der damalige HipHop-Standard. Ein Pioniermanöver, das er selbst lapidar mit »having fun« umschreibt.

Die Rapszene in der M-Town beginnt Anfang der Neunziger zu wachsen, spielt sich aber sprichwörtlich hinter verschlossenen Türen ab. Trotz der langjährigen Musikgeschichte fehlt es an professionellen Studios, deshalb erscheinen fast alle Alben auf dem erschwinglichen Format Kassette. Kaum jemand kann sich eine CD-Produk­tion leisten. Die Akteure postieren ihr minimales Equipment aus Drumcomputern, Keyboards und 4-Spur-Geräten einfach in ihren Wohnzimmern und legen los. Das macht den Sound zwar oft unterirdisch schlecht, fördert aber die Kreativität. DJ Squeeky kommt in dieser limitierten Umgebung eines Tages auf die Idee, die HiHats in seinem Boss DR 660-Drumcomputer (eine Budget-Version des Roland TR-808) doppelt so schnell abzuspielen: die 32stel-HiHat ist geboren! Basierend auf den Ansätzen von Spanish Fly verfeinert Squeeky auf Releases mit Rappern aus seinem Viertel diesen neu entdeckten Stil aus Snare-Rolls und sumpfigen Bassläufen.

»Memphis took it to a whole ’nother level, and nobody was fucking with Memphis back in the day. It had that sound that nobody could not fuck with« – Spaceghostpurrp

Das wird später auch von Three 6 Mafia adaptiert – oder gebitet. Auf die Frage, was seine liebste Eigenproduktion sei, antwortet Squeeky in einem Interview 2012: »›Look For Da Chewin‹«. Heute steht im Internet, die ikonische Blowjob-Hymne von Skinny Pimp sei offiziell von Juicy J und DJ Paul produziert, nicht von Squeeky. Aber dazu später. Als gesichert gilt, dass DJ Squeekys Entdeckung und sein Faible für Horrorfilm-Soundtracks den Memphis-Sound entscheidend prägen und ihn zum Go-To-Guy für aufstrebende Rapper aus seiner Nachbarschaft machen. Kingpin Skinny Pimp, 8Ball & MJG und Al Kapone – sie alle schauen in der Butze in Orange Mound vorbei. Eine typische Dynamik in Memphis. Ähnliche Konstellationen siedeln sich bald um DJ Paul und die Backyard Posse in North Memphis und Tommy Wright III. und den Ten Wanted Men in Whithaven an. So bilden sich allmählich Camps in den Stadtteilen. Allesamt produzieren sie nach Spanish Flys Vorbild Mixtapes, die immer mehr mit Exklusivsongs bestückt und oft in Läden für Auto-HiFi-Zubehör verkauft werden. Nach und nach entsteht so eine eigenständige DIY-Kultur, wie sie Ende der Neunziger auch in Westberlin zelebriert wurde. In Memphis besteht sie bis heute. So produziert DJ Squeeky auch die ersten Takte eines gewissen Young Dolph.

Aus dem Kader von Squeeky geht neben Kingpin Skinny Pimp und seiner Gimisum Family damals auch Al Kapone hervor. 1993 soll er nach zwei verstreuten Releases mit dem dritten Album »Sinista Funk« diese morbide Soundästhetik über die Stadtgrenzen tragen. Mit Hilfe von Priority Records, die gerade Dr. Dres »The Chronic« veröffentlicht haben und nach dem nächsten Gangstarap-Star suchen, sind seine westcoast-beeinflussten Songs etwas wuchtiger. Der Erfolg bleibt aus. Kapone erarbeitet sich auf den Nachfolgewerken wie »Da Resurrection« über die Jahre erstmal nur stadtintern ein Standing. Die Szene in Memphis wächst so gesehen unter Ausschluss der HipHop-Öffentlichkeit, und das Erschließen der fast hermetisch abgeriegelten Ereignisse ist für Außenstehende in der Prä-Internet-Ära fast unmöglich. Einer, der es trotzdem schafft, ist Craig Brewer, seines Zeichens Memphis-Rap-Liebhaber und Filmregisseur. Durch ihn kann Al Kapone 2004, über zwanzig Jahre nach seinem Debüt, an einem Filmprojekt mitwirken. Der von ihm geschrieben Song »Whoop That Trick« und sein Soundtrack-Beitrag »Get Crunk, Get Buck« bringen ihm beim Start von »Hustle & Flow« nachträglich weltweite Anerkennung aus der HipHop-Szene. Mehr allerdings nicht.

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