Most Known Unknown – Wie Memphis HipHop bis heute beeinflusst // Feature

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Anders taten es Kapones Hood-Brüder 8Ball & MJG. Die beiden Squeeky-Zög­linge gehen Anfang der Neunziger zu Suave House Records nach Houston – eines der ersten Rap-Labels der Südstaaten. Mit der professionellen Umgebung wird das Duo ab ihrem Debütalbum »Coming Out Hard« 1993 jahrzehntelang das Aushängeschild für Memphis. Allerdings ist ihre Musik im weiteren Karriereverlauf immer mehr von Westcoast-Rap beeinflusst, weshalb sie für unsere Geschichte und den Einfluss von Memphis-Rap auf das heutige Geschehen nur eine untergeordnete Rolle spielen.

Street Scene

Raps aus Memphis werden von Anfang an als düster bis dämonisch empfunden. Die übermäßig sexualisierten, kriminellen, mitunter sinistren Texte und die notdürftige Soundästhetik wirken zudem eher primitiv im Vergleich zu den Hochglanzproduktionen aus New York oder Los Angeles in den Neunzigern; Eigenschaften, die sich auch in der Rezeption des Blues aus dieser Region wiederfinden. Auch Stax Records verkörperten im Vergleich zum fröhlichen Motown-Sound einen gewissen Schwermut im Soul. Die DNA von Memphis ist rustikal. Erklärbar ist dies mit dem simplen Umstand, dass es eine wirtschaftlich desolate Region ist, vor allem für den schwarzen Bevölkerungsanteil. Auch die Ermordung Martin Luther Kings in Memphis hat der Stadt nicht gerade die Hoffnung gespendet. »Die Jugendlichen aus Nord- und Süd-Memphis waren von Gewalt umgeben und haben im Umkehrschluss sehr schaurige Musik gemacht«, sagte Tommy Wright III. einmal gegenüber der RBMA. Für ihn sei der Friedhofscheiß aber nie abstrakt gewesen, sondern das Abbild der Realität. Auch Skinny Pimp und DJ Paul berichten Ähnliches. In einer Stadt, wo Mord und Totschlag an der Tagesordnung sind, entsteht keine fröhliche Musik. Natürlich steigert sich das durch Wetteifern um Aufmerksamkeit über die Jahre ins Fins­tere, Okkulte und mitunter Absurde. Lord Infamous’ Debüt von 1992 heißt bereits »Portrait Of A Serial Killa«. Zum Friedhof sind es da nur noch ein paar Bars im Beat – vor allem, wenn man Horrorfilm-Samples benutzt.

»I’m a fan of everything coming out of Memphis. When I was hustlin‘, I would always play Memphis rappers« – Gucci Mane

Auch der Flow der Memphis-Rapper unterscheidet sich Anfang der Neunziger schon maßgeblich von den Herangehensweisen der Epizentren an Ost- und Westküste. Da die meistens Tracks zwischen 60 und 70 BPM haben und somit langsamer laufen als Eastcoast-Beats, ist es möglich, seine Performance variabler zu gestalten. Man hatte die Geschwindigkeit der damals im Süden populären Subgenres Miami Bass und Freestyle einfach halbiert. Puristen schieben Lord Infamous die Idee zu, darauf in doppeltem Tempo zu rappen, andere nennen auch Tommy Wright III. als Ursprung. Mitte der Neunziger können sich Bone-Thugs-N-Harmony aus Cleveland und Three 6 Mafia deswegen sogar eine Weile nicht riechen, da beide diesen Flow für sich beanspruchen. It’s a southern thing. Ab 1995 gibt es schlichtweg kein Memphis-Tape, auf dem dieser Rapstil nicht stattfindet. Auch das macht Memphis-Rap so eigenständig und unzugänglich für Uneingeweihte. Heute ist der sogenannte »Triplet Flow« von Drake bis Migos omnipräsenter denn je.

Live by yo rep

Das Aushängeschild dieses Memphis-Sound sind aber weder Tommy Wright III. noch Al Kapone oder DJ Squeeky, sondern eine Crew um zwei DJs, die schon damals neben Spanish Fly in den Clubs No Name und Expo auflegen: DJ Paul und Juicy J. Zusammen mit Pauls Bruder Lord Infamous und einigen anderen bilden sie Anfang der Neunziger die Backyard Posse, aus der nach einigen Besetzungswechseln letztlich Three 6 Mafia wird. Warum die 666er erst jetzt im Text auftauchen, hat drei Gründe: 1. sind DJ Paul und Juicy J ein bisschen jünger als die vorgenannten Mitstreiter, ihre Hochphase beginnt erst Ende der Neunziger. 2. liegt die Leistung von Triple 6 eher in der Perfektion des Memphis-Sounds, weniger in Einzelimpulsen. Und 3. spielt die freigeistige Sampling-Kultur im Memphis der Neunziger (Loops sind nicht verpönt, Vocal-Samples fremder Tracks dürfen als Hook dienen, jeder kennt irgendwie jeden) den Sound-Studenten in die Karten, und so ähneln manche Tracks häufig Songs, die auf anderen Tapes erschienen sind. Juicy J und DJ Paul produzieren oder »remixen« die morbiden Lieder aber eingängiger, pompöser und pointierter als der Rest – mit einem Erfolg, der nicht ohne Missgunst bleibt. Von Gerüchten über Radiosender, die bezahlt worden sein sollen, keine Musik außerhalb des Three-6-Camps zu spielen, bis zur hartnäckigen Unterstellung, sie seien bloß Biter, winden sich zahlreiche Mythen um den Aufstieg von Three 6 Mafia. Über Leichen scheint man jedenfalls nicht nur in Songs zu gehen. Fest steht, dass Juicy und Paul einen ausgeprägten Geschäftssinn haben. Vom 95er-Debütalbum »Mystik Stylez«, das bereits auf CD erscheint und den kreativen Status quo der damaligen Memphis-Szene zusammenfasst, entwickelt man sich binnen zwei Alben schnell zu massenkompatiblen Ansätzen. Ihre Debüt-CD ist somit der Abschluss einer Ära aus Meuchelmord-Lyrics, finsteren Gruselfilm-Beats und aggressiven Stakkato-Flows. Crewintern fliegen allerdings schon Fetzen. Neben kreativen Differenzen dürfte hier auch der sich anbahnende Reibach zwischen Koopsta Knicca, Crunchy Black, Gangsta Boo, Juicy J, Lord Infamous und DJ Paul gedrungen sein. Die Mitgliederzahl schrumpft mit steigenden Verkäufen. Als »Tear Da Club Up«, die Lead-Single ihres dritten Albums »Chapter 2: World Domonation«, erscheint, hat man sich vom Horrorcore-Sound der ersten Jahre bereits so gut wie verabschiedet. Als Schöpfer dieses Begriffs holen Three 6 Mafia 1997 den Crunk aus Atlanta an den Mississippi. Danach widmet man sich vermehrt Soloprojekten, kann aber dank des langsam erstarkenden Südstaaten-Hypes um Labels wie Ca$h Money Records und No Limit mit »Sippin’ On Some Syrup« 2000 einen Song in den US-Charts platzieren, der heute als perfekte Überleitung von der Jiggy-Ära ins Jetzt herhalten kann. Three 6 Mafia bleiben damit der wichtigste (Rap-)Exporteur von Memphis nach, nun ja, FedEX – auch, wenn sie vielleicht nur das perfekte Destillat ihrer Umgebung waren.

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