»Man kann dem Horror nur ein Stück weit entkommen« // grim104 im Interview

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Vor sechs Jahren sorgte grim104 mit seiner selbstbetitelten Solo-EP für viel Begeisterung bei Fans und Kritikern. Die bildhafte Sprache versetzte die Hörer ins trostlose deutsche Hinterland, während gleichzeitig die großen politischen Themen der Zeit aus einer rebellischen und doch pessimistischen Perspektive abgehandelt wurden. Seine Karriere setzte er allerdings zusammen mit Testo im Duo Zugezogen Maskulin fort, das seitdem zwei Alben veröffentlich hat. Nach sechs Jahren gibt es jetzt doch ein neues Soloprojekt, in dem grim104 als Graf Grim aus seinem Schloss auftaucht und ein düsteres, aber spannenderweise nicht unrealistisches Horrorszenario entwirft.

Deine letzte Solo-EP wurde sehr gut rezensiert. War es da entspannter, dass du erst als Duo mit Testo weitergemacht hast und so weniger Druck für deine Solokarriere entstanden ist?
Ich hatte vor allem nicht das Bedürfnis, noch eine Solokarriere zu starten. Dieser Eindruck, dass alle die EP gut fanden und gesagt haben, dass sie wirklich großartig ist, das ist ganz schön beängstigend. Das wurde dann mit »Alles brennt« von Zugezogen Maskulin noch getoppt, aber da hat man es zu zweit durchgestanden. Das ist echt ein Orkan, der über einen hinwegrauscht.

Wie groß war dann jetzt die Aufregung vor dem neuen Soloprojekt?
Eigentlich gar nicht groß. Ich habe dieses große Debüt und wusste, jetzt kann ich aus meiner Stimmung heraus, aus meiner Neigung heraus dieses Horroruniversum erschaffen. Das hat sich gut angefühlt. Natürlich bin ich auch aufgeregt und habe Angst davor, dass es nicht gut ankommt, aber es hat sich nicht so angefühlt wie an dem Abend vor sechs Jahren, als ich die »grim104 EP« herausgebracht habe.

Ich hatte den Eindruck, dass das sonst oft belastende Promogame dieses Mal ziemlich spaßig war.
Es hat mir richtig Spaß gemacht. Es gab eben keinen Druck, eine Dulli-Promokampagne von irgendwelchen überbezahlten Trotteln zu machen. Ich habe es mit einem Typen namens »Zerstörer«, der Computerspiele macht, und meinem Produzenten Silkersoft gemacht. Mit denen habe ich es zusammen entworfen und es war das erste Mal, dass mir das Spaß gemacht hat. Ich merke das an den Rollen, in die man schlüpfen kann, dass ich es hasse, aus dieser bedürftigen Rolle meine Fans anzubetteln, dass sie bitte kaufen sollen.

Es ist auch eine gute Art von Unterhaltung gewesen, bevor die EP rauskam.
Ich musste mich zwischendurch immer wieder zur Ordnung rufen, weil die Platte dann doch sehr ernst, dicht, konsistent und bedrückend ist. Nicht dass die Leute jetzt eine Meme-Platte erwarten, wo ein verschrobener, lustiger Vampirtyp zehn Gruselsongs macht.

»Die traurige Eleganz, das sind Sachen, die mich irgendwie berühren«

Hast du dich zur Vorbereitung auf die EP mehr mit dem Genre Horror beschäftigt?
Eigentlich nicht zur Vorbereitung. Ich glaube ich habe genauso viele Vampirfilme geguckt, wie die meisten Leute, die gerne gute Filme schauen. Ich bin kein Vampir-Fan oder so, aber diese Figur des unsterblichen, ewig einsamen, die traurige Eleganz, das sind Sachen, die mich irgendwie berühren und die ich schön finde. Und sie waren zu einem Zeitpunkt in meinem Leben, an dem ich viele Apsekte davon sehr nachvollziehen konnte, eine wunderbare Metapher. Horror als Genre eignet sich perfekt, um menschliche Geschichten zu erzählen, weil es immer um das Existenzielle und die Angst vor etwas, geht.

War es dir wichtig, eine Horroratmosphäre durch die Zwischenparts und Skits zu schaffen?
Absolut, es bringt ja auch nichts, die ganze Zeit irgendwelche Streicher-Sounds zu nutzen. (macht Beispielgeräusch vor)

Dieses Horrorthema kann auch sehr schnell klischeehaft werden.
Genau das. Da habe ich keinen Bock drauf. Ich hab ja schon bei »Graf Grim« die Zeile »Zwing‘ dich im Schlaf, an gehörnte Teufel zu denken«, wo ich so dachte, dass ist jetzt echt schon ein EMP-T-Shirt, mit einem Skelett auf ‘nem Motorrad mit einer blonden Frau hinten auf dem Rücksitz. So durfte es auf »Graf Grim« kurz mal durchblitzen, aber so wollte ich es beim Rest nicht haben. Die Fetzen und das Unfertige, die Mitschnitte, damit möchte ich diese Welt, in der sich das alles bewegt, möglichst dreidimensional ausstatten. Das Gespenster-Skit ist winzig kurz, aber er malt dieses Universum in den dunkelsten Farben weiter aus.

»The Great Evil« nutzt auch eine fremde Stimme. Woher kommt die Referenz?
Aus »Der schmale Grat«. Das ist ein Kriegsfilm, der auf den Salomonen-Inseln spielt. Da ich großer Fan der Südsee bin und auch großer Fan des 2. Weltkriegs, und auch großer Fan der Südsee während des 2. Weltkriegs, bin ich darauf gestoßen. Den Film gab es damals als ich sechzehn war und Kriegsfilme eben von Sechzehnjährigen konsumiert wurden. Damals habe ich ich ihn nicht geguckt und jetzt aus meinem Interesse heraus angeschaut. Ich dachte nur »Wow, was haben meine ganzen Dorfkumpels gedacht, als sie dieses meditative Filmstück über Tod, Vergebung und Gewalt gesehen haben?« Dieses Zitat »This great evil, where does it come from?« hat mich sehr berührt und ich hatte das große Bedürfnis, daraus Musik zu machen und es einfließen zu lassen.

Eine andere Filmreferenz vor »Graf Grim« kennen viele schon von den Ärzten und ihrem Song »Der Graf«. Kanntest du den schon vorher?
Ich kannte den Song nicht, ich schwöre. Den hat Testo mir dann gezeigt, der bei den Ärzten viel mehr in der Materie ist. Dann auch noch auf einem Song, der »Der Graf« heißt. Ich habe einfach nur »Bela Lugosi Dracula Scene 1« gesucht und dachte »Das ist ja genial, diese Idee hat noch keiner gehabt. Das ist das beste, wie gut das passt. Krass, dass ich wieder, das Genie, das ich bin, darauf komme.« Und dann große Traurigkeit. Die werden es vielleicht sogar richtig gekannt haben, wenn sich Teile der Band schon nach Bela Lugosi benennen. Aber das ist die Postmoderne, ich habe einfach was bei YouTube eingegeben.

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