Kings Of HipHop: Rick Rubin // Feature

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2007 spielt Rubin das letzte King Level durch. Die Grammy-Verleihung im Februar läutet die nächste Rubin-Ära ein. Mit den Chili Peppers, Justin Timberlake und den Dixie Chicks ist er für drei der fünf Alben des Jahres nominiert. Und gewinnt dazu, wie 2009 dann nochmal, die Trophäe als Produzent des Jahres. Columbia beruft ihn zum Vizepräsident mit besonderen Privilegien und dem Auftrag, die gesamte Musikindustrie im digitalen Zeitalter vor ihrem freien Fall zu bewahren. Auf seine Forderungen, nie ein Büro zu betreten, nie Anzug zu tragen und nie bei Meetings erscheinen zu müssen, wird eingegangen. Ebenso bringt er den Major-Ableger dazu, für die Umwelt auf die Plastikverpackungen bei der CD-Herstellung zu verzichten.

Der Industrievisionär träumt damals bereits von Musik-Abo-Modellen, die den heutigen Streaming-Plattformen entsprechen. Seine Idee eines »Word Of Mouth«-Departments gleicht einer frühen Troll-Army: Als Promo Tool schwärmen Marketingmitarbeiter in Chat Rooms aus, um einen künstlichen Online-Buzz für Columbia-Acts zu kreieren. Auch seine A&R-Ambitionen sind bemerkenswert: Er signt das Disco-Rock-Trio The Gossip, verantwortet als Executive Adeles Major-Marsch mit »21« und mit »Til The Casket Drop« von The Clipse immerhin ein anständiges Rapalbum. Der Raubtierkapitalismus des Sony-Ablegers lässt sich aber nur schlecht mit der spirituellen Achtsamkeit von Rubin vereinbaren. 2012 geht man getrennte Wege.

IAM A GOD

Es sind nur zwei Wochen bis zur Veröffentlichung von »Yeezus«, als Kanye im Mai 2013 in Malibu einreitet. Rubin denkt, dass West ihm sein fertiges Album vorspielen will. Dabei hat der nur eine grobe Vision, was er mit den dreieinhalb Stunden Rohmaterial, die quasi nur aus überladenen Industrial-Instrumentals bestehen, vorhat. Kanye bittet um Rubins Rotstift, seine Reduktions-Tools: »Lösch alles, was unnötig ist.« Rick Rubin streicht ein Mortal-Kombat-, ein Beatles- und Einstürzende-Neubauten-Sample, diverse Field Recordings, atonale Klavierspuren und weitere Absurditäten aus den Tracks. Und kürzt in einigen Nacht-und-Nebel-Aktionen, wie sie seinem besonnenen Wesen eigentlich widersprechen, »Yeezus« zu Wests radikalstem und minimalistischstem Album runter. Wie schon auf »Radio« prangt der Zusatz »Reduced by Rick Rubin« auf dem (Anti-)Artwork. Das Noise-Meisterwerk erscheint über Def Jam und schließt für Rubin einen Schaffenszirkel.

Bereits 2011 erbaut er sein privates Paradies. Er kauft die Shangri-La-Ranch an der Küste von Malibu, in dessen Garten ein alter Tourbus von Bob Dylan zum Aufnahmestudio umfunktioniert wurde. Nach zwanzig Jahren als Veganer hat Rick in den letzten Jahren auf Basis einer Fisch- und Proteindiät achtzig Kilo abgenommen, trainiert zweimal die Woche mit Unterwassergewichten und der Big-Wave-Surflegende Laird Hamilton. Mittlerweile hält er es bis zu zwölf Minuten in seinem Eisbad aus. Man beachte seine Ice Bucket Challenge, aus der er ein Kunstwerk machte. In beiger Khaki-Hose und weißem Shirt strahlt der immer barfüßige Rick Rubin heute die Ruhe in Person aus, meditiert täglich und hängt mit seinem besten Kumpel und Nachbar Owen Wilson ab.

In der Oase am Zuma Beach fühlen sich Künstler geborgen und haben keine Scheu, sich möglichst nackt zu zeigen. In langen Gesprächen arbeitet Rubin die Stärken heraus und lässt seine Klienten die Klassiker studieren. Die Intuition, mit der Rubin einwirkt und auch Egomanen zu emotionalen Höchstleistungen treibt, ist in der Musikwelt beispiellos und scheint im Alter noch versierter geworden zu sein.

Mit Mitte fünfzig und einem absoluten Gehör für Hits, bleibt er der gefragteste Zuhörer und Produzent der Branche. Wie sehr er noch immer den Puls der Zeit fühlt, zeigt 2016 seine LucasFilms-Auftragsarbeit »Star Wars Headspace«, für die er Soundeffekte aus der Filmreihe von Flying Lotus, Shlohmo und Bonobo zu einem Future-Beats-Projekt remixen lässt, oder seine Arbeiten für GoldLink und James Blake. Immer wieder erschließen sich neue Generationen seinen unerschöpflichen Katalog. Nach über drei Jahrzehnten strahlt die Aura des Zauberlehrlings ungebrochen: Sie thront wie ein heiliger Geist über der Musikindustrie.

Text: Carlos Steurer
Foto: Bryan Sheffield

Dieses Feature erschien erstmals in JUICE #185. Aktuelle und ältere Ausgaben könnt ihr versandkostenfrei im Onlineshop bestellen.

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