Kings Of HipHop: Rick Rubin // Feature

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Foto: Bryan Sheffield

In den frühen Achtzigern gab er der Kultur erstmals eine Song- und Label-Struktur. Er erfand den Image-Rapper, baute Def Jam zum Style-Imperium auf und produzierte die ersten Genre-Klassiker für die Beastie Boys, Run DMC und LL Cool J. Auf dem Zenit stieg er aus, meditierte sich zum Zen-Meister aller (!) Genres und brachte gescheiterte Genies zurück zu ihrer Essenz. Rick Rubin ist Rap-Originator der ersten Stunde und der einflussreichste Pop-Guru der letzten drei Dekaden. Mehr King geht nicht.

Die jüngere Generation hat Rick Rubin nicht unbedingt als Gründungsvater abgespeichert; denkt man bei dem Namen eher an Chart-Blockbuster für die globale Pop-Elite, die – von AC/DC bis ZZ Top, von Adele über Ed Sheeran bis Lady Gaga – Schlange steht, um das Ohr des Altmeisters zu leihen. Mehr als mit geschlossenen Augen den Bart zu kraulen und Feedback aus Fan-Perspektive zu geben, macht Rubin gar nicht mehr, der weder ein Instrument spielen, noch eine Mixing-Konsole bedienen kann. Tatsächlich ist der 55-Jährige zum Business Punk mutiert, der sich auf einigen hundert Millionen verkauften Einheiten – darunter 19 (!) Nummer-Eins-Alben in den USA – ausruhen kann und nur noch selten als progressives Genie aufblitzt. Das letzte Eminem-Album, auf dem Rubin »I Love Rock’n’Roll« als Sample ausgräbt, ist der Tiefpunkt dieser Entwicklung.

Und doch steht unter den weit über 150 Alben jedem »Revival« ein »Yeezus« gegenüber. Das macht Rubin, trotz barfüßigem Eso-Swagger, vielleicht zum sympathischsten – für Dr. Dre: »besten ever« –, ganz bestimmt aber zum wichtigsten Produzenten, den diese Kultur hervorgebracht hat. Seine mystische Evolution vom Pop-Provokateur zum Karriereretter zum Corporate Darling lässt sich in drei Epochen einteilen. Die erste, für Rap relevante, in der Rick Rubin mit einer gebrauchten Roland-808 das Genre auf links krempelte, beginnt im Winter 1983, in Zimmer 712 im Studentenwohnheim der NYU.

BRING THE NOISE

Frederick Jay, wie Rick mit bürgerlichem Namen heißt, ist das Cool Kid auf dem Campus. Nach vier Semestern Philosophie wechselt er auf die Kunstschule, studiert Film und Fernsehen, spielt als Gitarrist in den Artcore-Punkbands Hose und The Pricks und deejayt auf den Unipartys. Die fünf Quadratmeter seines Zimmers funktioniert der Wrestling-Fan zu einem Mini-Studio um. Hier entwirft Rubin das ikonische Def-Jam-Logo mit dem Technics-Tonarm und veröffentlicht die »Hose«-EP als erste 7-Inch über das Ein-Mann-Label. Nächtliche Ruhestörungen, die auch schon mal zu eingetretenen Türen führen, legitimiert der fast-Jurastudent vor dem Uni-Gericht: »Punk rock and hiphop are my art form. They necessitate volume! There is no such thing as acoustic punk rock or acoustic hiphop.« Einleuchtende Worte von einem Produzenten, der später den sogenannten »loudness war« zu verantworten hat – die im Rap übliche Komprimierung der Tonspur, die Rubin auch in der Rockwelt etablierte.

Ricks aktive Muckerkarriere endet früh und abrupt. Inmitten eines Auftritts gerät die Band in eine Schlägerei mit dem Publikum und löst sich auf. Rubin interessiert sich ohnehin mehr für den Klang und den Look seiner Projekte als für die technischen Details und das Rampenlicht. Die eher unpolitische Ostküsten-Punk-Rebellion hat damals ihren Peak bereits erreicht. HipHop breitet sich aus der Bronx über die Five Boroughs auf Block Partys und U-Bahnen aus und übernimmt bald die Dancefloors in den teuren Clubs. Eine Kulturrevolution bahnt sich an, bei der Rubin zum Schlüsselspieler wird.

Die wilden Achtziger in New York City. In den interkulturellen Discotheken in Downtown treffen die Kreativkreise aus Uptown aufeinander: B-Boys auf New-Wave-Avantgardisten, Punks auf Graffitisprüher, Basquiat, Keith Haring und Andy Warhol auf Fab 5 Freddy und David Bowie. Jeden Dienstag besucht der 20-jährige Rick die »Wheels Of Steel«-Party im Reggae-Club Negril auf der Second Avenue und sieht dort zum ersten Mal Rapper live performen. Die Energie der Treacherous Three und Furious Five erinnert ihn an die Dead Kennedys und Ramones. Was dem jungen Genre noch nicht gelingt: Die Kraft von der Bühne auf Vinyl zu pressen. Die Auftritte in den Clubs sind impulsiv, die Breaks mit Scratches und Rock-Riffs gemixt. Ganz anders als die ersten Rap-Singles und Alben, die möglichst glattgebügelt quasi Disco- und R’n’B-Crossover-Versuche sind. Beeinflusst von den minimalistischen Beat-Skeletten der Run-DMC-Debütsingle »It’s like that/Sucker MCs«, will Rubin die berstende Live-Energie auch auf Tonträger einfangen.

Frederick Jay wächst im wohlbehüteten Long Beach, New York, auf und kultiviert sein Nerdtum früh. Der Vater ein Schuhgroßhändler, die Mutter Hausfrau, kümmern sich rührend um das Einzelkind und arbeiten sich als jüdische Familie mit polnischen Wurzeln bis in die obere Mittelklasse hoch. Rick interessiert sich für Zauberei, hängt in den Magic Shops in Manhattan und meistens mit deutlich älteren Freunden ab. Mit 14 beginnt er, auf Empfehlung seines Orthopäden mit Transzendentaler Meditation gegen Nackenschmerzen, was ihn zu einem fokussierten Zuhörer werden lässt. Nachdem er die British Invasion Bands verschlungen hat – die Beatles hält er für den ultimativen Gottesbeweis –, wühlt er sich durch die R’n’B-Abteilung. Bei seinem ersten James-Brown-Konzert, für das er extra nach Boston fährt, ist er der einzige Weiße im Publikum. Dieses Außenseiterdasein, vor allem aber sein politisch unkorrekter White-Trash-Humor in einer schwarzen Subkultur, wird ihn bis in die frühen Neunziger charakterisieren.

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