Da wir »Watch The Throne« in unserer neuen Ausgabe #138 aufgrund schlechten Timings nicht berücksichtigen konnten, unterzogen wir in den letzten zwei Wochen die »Deluxe Edition« einer täglichen Track-by-Track-Rezension. Wir verzichteten dabei bewusst auf die Nennung inoffizieller Links zu den jeweiligen Songs. »Watch The Throne« ist bei iTunes ganz einfach zu erstehen oder eben in den Weiten des Internets anderweitig zu finden. Heute endet die Chose mit der Review des letzten Songs: »The Joy«.
Der 29. Oktober 2010. Kanye West beglückt bereits seit mehreren Wochen seine mit Spannung auf das fünfte Solo-Album wartenden Fans jeden Freitag mit musikgewordenen Verrücktheiten – einige sollten auf seinem überwältigenden Opus magnum »My Beautiful Dark Twisted Fantasy« landen, andere nur seinen Stand als Superstar mit so popkulturellem wie tief in der HipHop-Szene geerdeten Weitblick zementieren. »The Joy« kommt zu einer Zeit, als man sich bereits das Backpacker-Manifest »Good Ass Job« mit den Madlib-Beats, den »The Blueprint«-Momenten und dem Nas-Feature abgeschmickt hatte. Aus dem »Rap Camp«, der Zusammenkunft von alten Helden und neuen Fackelträgern, zu der Kanye auf Hawaii geladen hatte, sollte eben doch viel mehr werden als nur die Befriedigung der BoomBap-Jünger, die in Kanye trotz »808s & Heartbreaks« immer noch den »College Dropout«-Helden sahen. Es wurde vielmehr daraus. Das wissen wir jetzt.
»The Joy« sorgte im Oktober 2010 dennoch für große Freude. Es hatte den Pete Rock-Beat, den »no electro«-rappenden Kanye, das Curtis Mayfield-Sample, den von seiner Kindheit in Brooklyn erzählenden Jay-Z, diese Bassline für die Seele – es was unfickbare Gänsehaut-Musik. »The Joy« hatte all das, was HipHop zeitlos-gut macht. Ohne Diskussionen über Plug-Ins, Inhalte, falsche Referenzen, Styling-Fragen oder Hostilitäten. »The Joy« ist ein großartiger Song. Deswegen kann er auch Monate später auf der Verkaufsversion eines großartigen Albums landen. Noch mehr: Dass der Track jetzt als letzter Song auf der Deluxe Version von »Watch The Throne« enthalten ist, ist nur konsequent.
So musikalisch eindimensional »The Joy« auch ist, umreißt der Track dennoch wunderbar das multidimensionale Gewaltwerk »Watch The Throne«. Inhaltlich nehmen Kanye und Jay-Z hier all das vorweg, was an dieser Stelle in den vergangenen zwei Wochen lang diskutiert wurde: Die großen Gesten, die großen Schweinereien, die großen Fragen, der große Schmuck, die große Vergangenheit, die große Maschinerie, die großen Momente und das große Ganze. Wie auf dem gesamten Album liegt all das natürlich nicht offen auf dem Präsentierteller, es braucht den Blick zwischen die Zeilen.
»I do it for the forefathers and the street authors/ That are now A&Rs in the cheap office/Rappers that never got signed but they keep offers.« Kanye macht Musik für die alten Helden, die es geschafft haben, aber auch für all die strugglenden Künstler, die es nur über einen ollen 9 to 5-Job als A&R in die Musikindustrie geschafft haben. Kanye ist auf dem Weg eine gestandene Legende im Spiel zu werden, aber er bleibt trotzdem ein »Working Class Hero«. Trotz der Models (die sich ihm anbiedern und sich ins Gesicht spritzen lassen wollen), der teuren Klamotten und der zum Cabrio umfunktionierenden Maybachs. Aber nicht nur das. Kanye kennt auch Leute von der Straße. »I never understood planned parenthood. Cause I never met nobody plan to be a parent in the hood.« Eine clevere (wenngleich natürlich Kanye-typisch simplifizierte) Schlussfolgerung, die erneut unterstreichen soll, dass Ye das normale Leben mit den ganzen echten Problemen noch kennt. Sowieso die Kinder-Frage – ein zentrales Thema auf »Watch The Throne«. So schlimm kann ein eigener Spross nicht sein. Kumpel Don C ist gerade Vater geworden und es ist »not so bad«. Da plagt den christlich herangewachsenen Kanye doch glatt das Gewissen: »But I still hear the ghosts of the kids I never had.«
Und wieder Curtis: »The joy of children laughing around you/ These are all the makings of you.«
Die Nachwuchsdebatte ist abgehakt. Zeit für eine Yeezy-Absurdität: »No electro, no metro, a little retro, ah, perfecto.« Ist natürlich totaler Quatsch. Für »The Joy« mag die Aufzählung stimmen, »Watch The Throne« und der Künstler Kanye West ist sowas von »electro« und »metro«, wie es nur geht. Trotzdem bleibt die Frage – »Is he gon‘ be dope again?« – natürlich rein rhetorisch. Kanye, der sich auf Slum Villages »Selfish« mal »the new version of Pete Rock« nannte, zerlegt den Felsenpeter-Beat wie ein ganz Großer. Er weiß es natürlich auch. Und wie. »This beat deserves Hennessy, a bad bitch/ And a bag of weed – the Holy Trinity. In the mirror where I see my only enemy/ Your life’s cursed, well mine’s an obscenity.« Jigga ging es ja auf »Welcome To The Jungle« genauso. Die zwei sehen Ihresgleichen also nur, wenn sie in den Spiegel schauen.
Genau wie Kanye in seinen Strophen macht auch Pete Rock aus dem Naheliegenden etwas Großartiges. Das gesampelte »The Makings Of You« von Curtis Mayfield ist ein Sample-Sureshot und keine Digger-Offenbarung aus den Tiefen von Keller-Crates. Zweifellos wunderschön, aber keine Herausforderung für einen Meister an der SP-12 wie Pete Rock. Das zweite Sample ist noch durchgenudelter: »Different Strokes« von Syl Johnson verwendeten bereit BDP für ihr »Criminal Minded«, Public Enemy für »Fight The Power«, Eric B. & Rakim für »You Know I Got Soul«, der Wu-Tang Clan für »Shame On A Ni##a« und dutzende weitere mehr oder weniger begabte HipHop-Produzenten der letzten 20 Jahre. Doch Pete Rock holt aus dem Track etwas Magisches heraus. Eine kleine Randnotiz, die zwischen dem wunderbar behäbigen BoomBap kaum auffällt. Er sampelt ein schrilles Damen-Lachen so, dass es sich anhört wie die Sirenen, die Dilla zwischen seine Instrumentals packte. Kann man die True School-Riege glücklicher machen? Und Curtis singt: »These are all the makings of you.«
Auftritt Jay-Z: »This is my momma shit. I used to hear this/ Through the walls in the hood when I was back in my pajama shit. Afros and marijuana sticks, seeds and the ganja had it/ Popping like the sample that I’m rhyming with.« Jigga macht den lyrischen Powermove. Er manövriert das Boot, das Kanye zum Ende seiner zweiten Strophe wieder weit in die Beweihräucherungs-Gewässer fuhr, dahin, wo »Watch The Throne« auch als Gesamtwerk zu positionieren ist: Black superhero music! Jay-Z und Kanye West als Musterbeispiele des Aufstiegs. Helden einer Generation. Aufgestiegen aus den Projects (für Kanye eben gleichbedeutend mit der langweiligen Mittelklasse), um Großes zu schaffen. »We victorious, they’ll never take the joy from us.« Sie haben es geschafft: #winning! Sie sind ganz oben. Und es fühlt sich verdammt gut an!
Text: Alex Engelen