Kanye West & Jay-Z Review #4

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WatchTheThrone4

 

Da wir »Watch The Throne« in unserer neuen Ausgabe #138 aufgrund schlechten Timings nicht berücksichtigen konnten, unterziehen wir die 16 Tracks der »Deluxe Edition« einer täglichen Track-by-Track-Rezension. Pünktlich zur Veröffentlichung des Videos von Spike Jonze zur zweiten Single »Otis« gibt es heute die Review des Tracks.

 

Jay-Z & Kanye West „OTIS“ from OFIVE.TV on Vimeo.

 

Wenn man den Thron lang genug anstarrt, starrt der Thron irgendwann zurück. Oder so ähnlich. Will sagen: Was für die Untiefen der menschlichen Seele funktioniert, könnte sich doch umgekehrt auch für Exzellenz in progress bewahrheiten? Imagine all the people, die „Watch The Throne“ dank Nicht-Leak seit Tagen quasi gemeinsam heftig rotieren lassen (und das sind Twitter, Facebook, Tumblr zufolge eben ALLE), kommen geläutert, musikalisch und geschmäcklerisch offen und Erfolgs-Aura ummantelt wieder raus. Schön wäre das, denn das Großprojekt von HipHop-Forbes-Verdiener #1 und #3 ist gerade mal vier Skip-Punkte tief und schon gab’s was zu lernen.

 

Als da wären: Ein Opener muss nicht zwangsweise ballern, sondern vielmehr subtil die bevorstehende Großartigkeit verkünden. Track 2 darf dann jeden Ansatz von
Understatement hysterisch überwerfen und alles in die Mond- bzw. Marsrakete packen,
was zwischen drei Beyoncé-Hooks Platz hat. Naja, und »Niggas in Paris« macht alles, was Diddys Euro-Album halt nicht kann/konnte/je können wird.

 

Soweit, so Machtdemonstration. Und dann kommt »Otis« und singt »Try A Little Tenderness«.

 

»Sounds so soulful, don’t you agree?«. Ja sicher, Jigga, aber wenn das Sample jetzt bis zur Unkenntlichkeit zerhackt und überfrachtet wird… Oh. Okay? Punch! »Mna-mna-mna, mhh.« Punch! Reduziert ist gar kein Ausdruck, zwischen den Anschlägen meint man sogar einen Sekundenbruchteil Stille zu hören, was sich – James Blake zum Trotz – immer noch wie der letzte Tabubruch anfühlt. Außerhalb des Loops gibt es keine Drums, die Chops stehen völlig für sich und rocken wie Sau. Alle sechs Takte nimmt das Sample erneut an Fahrt auf und wird jäh beendet. Dass Yeezy beim back-to-back ohne Chorus im Vergleich mit Hova den deutlich Kürzeren hat/zieht, ist eh klar. Mit Champagne/Pain-Wortspielen braucht man Carter dem Älteren nicht kommen, schon gar nicht, wenn der den Swag nachdrücklich erfunden hat und so sehr nach Wohlstand aussieht, dass er die Paparazzi selbst auf sich ansetzt. Produziert hat Kanye ausnahmsweise allein und viel größer hätte der Kontrast zwischen Single #1 – der Lex Luger-Produktion »Ham« – und Single #2 kaum ausfallen können. Da ist sie wieder, die viel gerühmte Zitatkunst.

 

Was sich zunächst also anfühlt wie eine Handreichung an die Realkeeper von der »Donut-Gestapo« (D. Bortot), entpuppt sich als Hommage daran, wie eine klassische Stimme einen ganzen Song tragen kann. »Otis« ist dabei nach demselben Muster gestrickt wie »Gold Digger« – der historische Stellenwert des Samples wird als Herausforderung begriffen, zerhackt, ohne die komplette Essenz aufzugeben, und so zur perfekt bouncenden Unterlage. Das hat mit (er schon wieder) Puffys »I’ll Be Missing You“-90er Rip-offs natürlich nichts mehr zu tun, auch wenn Kanye für solche Fails ebenfalls immer zu haben war (»Touch The Sky» etwa, »Stronger», und, leider, auch zu einem späteren Zeitpunkt auf der vorliegenden Platte.).

 

Somit ist »Otis« zu gleichen Teilen die sicherste Bank wie die vielleicht größte Rick James-erei auf »Watch The Throne« – wir können alles, in jede Richtung. Und wenn es sein muss, klären wir nicht nur das Sample, wir schreiben Otis Redding als Feature-Gast dazu, als hätte der das eh gewollt. Ganz nebenbei führt »Otis« einen Spirit ein, der den Unterschied zu vergleichbaren Groß-Kollabos wie Royce & Eminems »Hell: The Sequel« überdeutlich werden lässt: Das hier hätte alles nicht sein müssen, Jay & Ye haben auch so gut zu tun. Aber das Projekt »Watch The Throne« hat ganz offensichtlich unheimlich Bock gemacht. Da hätte es nicht einmal einen Spike Jonze fürs Video gebraucht. Gab es aber trotzdem. Weil der halt auch Bock drauf hatte. Und dann setzt der Regisseur, der schon Pharcydes »Drop« und Beastie Boys‘ »Sabotage« drehte, diese beiden Multimillionäre (34 und 42 Jahre alt!) so in Szene, dass man ihnen einfach glauben muss, dass sie so richtig viel Spaß haben auf dem Thron.

 

On to the next one.

 

Text: Julian Brimmers

 

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