Kanye West & Jay-Z Review #6

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Da wir »Watch The Throne« in unserer neuen Ausgabe #138 aufgrund schlechten Timings nicht berücksichtigen konnten, unterziehen wir die 16 Tracks der »Deluxe Edition« einer täglichen Track-by-Track-Rezension. Wir verzichten dabei bewusst auf die Nennung inoffizieller Links zu den jeweiligen Songs. »Watch The Throne« ist bei iTunes ganz einfach zu erstehen oder eben in den Weiten des Internets anderweitig zu finden. Hier die Review zu »New Day«, dem sechsten Song auf »Watch The Throne«.

 

»Me and the RZA connect.«

 

Zwischen »Incarcerated Scarfaces« und »New Day« liegen 16 Jahre. Bis auf den einleitenden Satz – seinerzeit von Raekwon, heute von Kanye vorgetragen – haben die beiden Songs wenig gemeinsam. Nur der RZA war beide Male am Werk, Robert Diggs, der gefallene Produzentenengel, der damals – als er es nach eigenem Empfinden noch gar nicht richtig konnte – mindestens fünf bahnbrechende Klassiker produziert, nun aber seit fast zehn Jahren nichts übertrieben Spannendes mehr zustande gebracht hat, obwohl er mittlerweile ein echtes As in Musiktheorie und Kompositionslehre ist.

 

So unfassbar aufregend ist auch »New Day« auf musikalischer Ebene nicht. RZA hat ein Sample aus »Feeling Good« von Nina Simone durch den Wolf gedreht. Das geht halt immer. »It’s a new dawn, new day, new life for me«, singt die Jazz-Ikone in diesem Broadway-Klassiker, der auch bereits von Will.I.Am für den Mary J Blige-Song »About You« von 2006 gesamplet wurde. Dass zwischen Kanye und RZA eine gewisse Chemie herrscht, zeigten schon die beiden Credits des Wu-Großwesirs auf »My Beautiful Dark Twisted Fantasy«. Dem Vernehmen nach soll RZA die Fackel mental weitergegeben haben, nachdem er seinerzeit Kanyes Beats für »The Blueprint« gehört hatte. Schön zu sehen, dass der Thronfolger seinem Vorgänger und Wegbereiter ebenfalls den gebührenden Respekt zollt.

 

Während also das Instrumental erhaben und handwerklich solide, aber für »WTT«-Verhältnisse beinahe unspektakulär und wenig innovativ vor sich hinplätschert, liegt das wahre Geheimnis des Tracks in seinem Inhalt. »New Day« ist ein Konzeptsong, in dem Kanye und Jay ihre Stimme in Richtung ihrer ungeborenen Kinder erheben wie einst Xavier Naidoo und Curse. Wie die beiden jeweils konkret mit dem Thema umgehen, offenbart einiges – über ihren Charakter, ihre Selbstwahrnehmung und auch die Frage, ob sie ernsthaft mit dem Gedanken spielen, eine Familie zu gründen.

 

So geht es in Kanyes Strophe zwar vordergründig darum, welche schlimmen Erfahrungen er seinem Kind gerne ersparen würde. In letzter Konsequenz dreht er sich in jeder einzelnen der 16 Zeilen um das für ihn Wichtigste auf der Welt: Sich selbst. Im Prinzip missbraucht der Egomane das Song-Konzept, um sich einmal mehr zum missverstandenen Musikmärtyrer zu stilisieren. Sein Sohn solle ein netter Mensch werden, den die Leute mögen, vielleicht sogar ein Republikaner, damit alle verstehen, dass er weiße Menschen liebt. Er solle sich nicht im nationalen Fernsehen zum Affen machen wie sein werter Herr Papa, »I just want him to have an easy life, not like Yeezy life.« Und nicht zuletzt solle er sein privates Glück doch bitte nicht im Stripclub suchen, denn dort gebe es nun mal keine Liebe, was er selbst leider auf die harte Tour herausfinden musste. Soweit, so nachvollziehbar – und gleichzeitig hat Kanye eigentlich nichts gesagt, außer dass sein eigenes Superstarleben schon unglaublich hart und schwierig ist. Als treu sorgenden Vater kann man ihn sich jetzt beim besten Willen nicht vorstellen.

 

Dann kommt Jay.

 

Auch er spricht in seiner Strophe über sich selbst, setzt sich jedoch im Gegensatz zum acht Jahre jüngeren Kanye sehr wohl mit dem eigentlichen Thema auseinander. Es wird deutlich, dass er sowohl aufgrund seiner Charakterstruktur als auch aufgrund seiner tatsächlichen Lebenssituation viel eher dafür gemacht sein dürfte, in naher Zukunft Kinder in die Welt zu setzen. Klar, wird seine Frau doch in einigen Wochen 30 und steckt damit im besten gebärfähigen Alter, während Kanye die echte Seelenverwandte bis heute nicht gefunden hat (dass er sie an der falschen Stelle gesucht hat, wissen wir jetzt von ihm selbst). Jay hingegen geriert sich in seiner Strophe als halbweise Tony-Soprano-Vaterfigur, die dem ungeborenen Sohn – dass es eine Tochter werden könnte, schließt er von Vornherein aus – einmal jene Werte vermitteln wird, die ihn selbst an die Spitze gebracht haben (»look a man dead in his eyes/so he know you talk truth when you speak it, give your word, keep it«). Auch wenn er weiß, dass ein Kind berühmter Eltern niemals ein normales Leben führen können wird, spürt man bei ihm den ehrlichen, genuinen Wunsch, ein »Mini-Me« aufwachsen zu sehen.

 

Genug der Hausfrauenpsychologie. In schonungsloser Ehrlichkeit spricht Jay plötzlich die Unwahrscheinlichkeit eines heilen Familienglücks auf Lebenszeit an: »And if the day comes I only see him on the weekend/I just pray we was in love on the night that we conceived him.« Der 41-jährige Multimillionär schließt mit der Erinnerung an die Unzulänglichkeiten des eigenen, abwesenden Vaters: »Cause my dad left me and I promise never repeat him.« So einfach und gleichzeitig so tief. Eine Wahnsinnsstrophe. Ein Wahnsinnssong.

 

»Breeze driftin‘ on by.«

 

On to the next one.

 

Text: Stephan Szillus

 

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