Heaven & Helsinki: Am Ende wird Lakritz gekauft // HipHop ʻRound The World

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Biniyam & Gracias & Jumpa

Finnland ist ein Land, in dem man auf Flughafentoiletten Vögel zwitschern hört. Hier leben nur knapp fünfeinhalb Millionen Einwohner. Die Musikszene ist trotzdem unglaublich vielseitig – sagt zumindest Music Finland, eine gemeinschaftliche Initiative der finnischen Musikindustrie, die sich die Förderung lokaler Musikkultur im Ausland auf die Fahne geschrieben hat. Ende April landete ich deshalb in Helsinki – ich sollte die dortige HipHop-Szene kennenlernen.

Ensimmäinen päivä

Die Reise beginnt im Süden Helsinkis, im ehemaligen Arbeiterviertel Punavuori. Heute befinden sich hier, wo die Kriminalitätsrate einst bedenklich hoch war, Kreativbüros und Restaurants noch und nöcher – ihr kennt die Story. Ich steige aus dem Wagen und werde von einem gut gelaunten Kerl mit kurzen blonden Haaren empfangen. Er heißt Sami und arbeitet für Music Finland. Ich schätze ihn auf Anfang vierzig. Er bezahlt mein Taxi und heißt mich bei Fried Music willkommen – ursprünglich ausschließlich ein Tonstudio, das sich in jüngerer Zeit zum Label mit angeschlossener Publishing-Sparte gemausert hat. In den Räumlichkeiten sieht es nach Geld aus, an der Wand hängen Gold- und Platinplatten von den Kostüm-Metal-Muckern Lordi und Sunrise Avenue. Wenige Minuten nach uns trifft Redrama ein.

Redrama heißt eigentlich Lasse Mellberg, ist finnischer HipHop-Pionier und ein Kind der Rawkus-Ära. »Es gab damals nur diesen einen Plattenladen in Helsinki, in dem du gute HipHop-Platten kaufen konntest«, erzählt er. Ende der Neunziger orientierte sich Redrama also logischerweise an Mos Def, Talib Kweli und Company Flow. Er rappte auf Englisch, war sogar einigermaßen erfolgreich. Heute allerdings ist Redrama von Rawkus denkbar weit weg. Er ist so erfolgreich wie man eben sein kann in einem Land, in dem man mit 20.000 verkauften Alben Platin geht – allerdings auf Popstar-Basis. Unlängst saß er in der Jury von »The Voice Of Finland«, einer seiner erfolgreichsten Songs war 2013 ein Song namens »Clouds«: Eine astreine Popschnulze, auf der AJ von den Backstreet Boys die Hook singt. Klingt nicht sehr vergnüglich, allerdings macht die Sachlage schnell klar: Trotz bewusst massenkompati­bler Musik kann Redrama nicht reich sein. Er selbst sagt, er lebe den Luxus, reiner Berufsmusiker zu sein. Neben der Musik ­verdient der technisch sehr gute Rapper nur an einer regelmäßigen Radiosendung, in der er wöchentlich seine Lieblingssongs zwischen Rap und Pop abfeuert. HipHop-Künstlern in Finnland muss es, denke ich, richtig dreckig gehen, wenn selbst ein Popstar gucken muss, wo er bleibt.

Während wir noch reden, treten zwei Typen aus einem der Studioräume. Sie bleiben für einen Moment stehen und unterhalten sich mit ­Redrama. Ich verstehe selbstverständlich kein Wort, aber das Gesprochene kommt mir vor wie ein Kauderwelsch aus Schwedisch und Russisch. Finnisch ist eine harte Sprache, entsprechend schwer scheint es mir, in dieser Sprache »cool« zu klingen. Logisch ist es daher auch, dass (außer Sunrise Avenue) aktuell kaum ein finnischer Musiker im Ausland Erfolg hat. Dann bleibt mein Blick an den Füßen von einem der beiden Typen kleben: Der trägt keine Schuhe, sondern nur Socken mit Marihuana-Pflänzlein drauf. Der Blick wandert weiter nach oben, vorbei an einem zwei Nummern zu großen Eishockeytrikot, hin zum Kopf, auf dem ein Fischerhut sitzt. Links und rechts ragt jeweils ein geflochtenes, blondes Pippi-Langstrumpf-Zöpfchen heraus. Der bunt gekleidete Vogel ist mutmaßlich Finnlands aktuell kontroversester Rapper. Dazu gleich mehr.

Der andere wiederum ist, wie mir Redrama etwas später erzählt, eine Hälfte des aktuell erfolgreichsten Rap-Duos des Landes. JVG (gesprochen: Je-We-Gö) nennen sich die beiden 27-Jährigen, namentlich Joakim Brand und Ville Galle. Bis dato gehen drei Nummer-Eins-Alben und drei Nummer-Eins-Singles auf ihr Konto. Ihr letzter großer Hit ist ein Song namens »Huominen On Huomenna«, im Video dazu tragen sie schön bunte Streetwear spazieren, feiern am Strand und rappen etwas von »Whiskey Cola, Mister Lover Lover«. Die Hook singt Anna Abreu, ehemalige Castingshow-Teilnehmerin und ebenfalls sehr erfolgreich. Aus der Pers­pek­tive einer Fremdsprache betrachtet, liefern JVG anscheinend den knallbunten Soundtrack für finnische Jugendliche: nah dran an aktuellen Soundtrends aus Amerika – stylish, spaßig, einfach zu konsumieren. Aber keine Sorge: Es wird besser!

 

Womit wir bei Tippa T wären. Der spricht bei Fried Music kein Wort, was ihn natürlich umso interessanter macht, vor allem, weil Redrama zu berichten weiß: »Der ist sehr umstritten gerade.« Ein kontroverser Künstler ist Tippa T vor allem deswegen, weil er offen mit dem Konsum diverser illegaler Substanzen kokettiert, wie ich später herausfinde. Gangstarap, so erzählt man mir, existiert in Finnland zwar, ist kommerziell aber nicht relevant. Tippa T hingegen ist der aktuell gehypteste MC Finnlands. Die Gründe dafür sind nachvollziehbar: Seine Songtitel sind Banane (»Retardix«, »Hakunamatata«, »Puffaadokaa«), seine Rapskills formidabel, sein Beatpicking ist geschmackssicher an US-Trends angelehnt (»Mehu« zum Beispiel ist eine astreine DJ-Mustard-Adaption) und sein Modegeschmack diskutabel (rosa gefärbte Haare, Science-Fiction-Sonnenbrillen). Tippa T hat alles, was ein Star braucht. Möchte man sich diesen Charakter vorstellen, denke man sich einen Zwitter zwischen Yung Lean und Riff Raff. So weit, so groß. Aber: Es geht noch besser!

Nur Minuten, nachdem ich mein Interview mit Redrama (netter, reflektierter Typ, ungeile Musik), beendet habe, steht mein nächster Termin an. Die Finnen geben sich Mühe! Dieses Mal holt mich einer der Angestellten des Indielabels Cocoa Music ab. Ihrer Website zufolge, hat sich die Plattenfirma zum Ziel gesetzt, »the new breed of multi-media artists« zu unterstützen. Im Klartext heißt das, dass Cocoa Music den physischen Tonträger längst aufgegeben hat. Dafür ist der Soundcloud-­Account des Labels gut gepflegt und die Musikvideos der Künstler machen einiges her. Das Geschäftsmodell des Labels setzt komplett auf digitale Downloads und Streams. Zwar sind die Skandinavier den Zentraleuropäern in dieser Sicht ein paar Jahre voraus, dennoch ist es quasi unmöglich, ausschließlich von Spotify-Ausschüttungen und Ähnlichem zu leben, wenn man ein aufstrebender finnischer Künstler ist. Deshalb ist die Musik für die meisten der Cocoa-Künstler (fürs erste) eher ein Nebenjob – und auch die Firma finanziert ihre sehr gute Labelaufbauarbeit ebenso wenig über die Musik. Eigentlich ist Cocoa eine der führenden Werbeagenturen des Landes und dadurch auch In-House in der Lage, gute Musikvideos für günstiges Geld zu drehen.

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Mit dem Labelmitarbeiter geht’s in ein Restaurant, ein angesagter Laden mit Burgergerichten auf der Speisekarte, die zwanzig Euro kosten. Biniyam isst nichts, aber vorstellen sollte man ihn trotzdem: Er ist 19 Jahre alt, hat Eltern äthio­pischer und deutscher Herkunft, ist in Helsinki geboren und rappt und singt auf Englisch. Seine Musik hat ihn bereits auf internationale Blogs gebracht, dabei hat er erst eine EP veröffent­licht. Im Gegensatz zu Tippa T bezieht sich Biniyam nicht so sehr auf den aktuellen US-Mainstream, sondern vielmehr auf das musikalische Erbe eines Kanye Wests. Die Produktionen spielen mit Vocalsamples und setzen mehr auf Atmosphäre denn auf Turnup-Tauglichkeit. Damit ist er im finnischen Rap aktuell eher ein Außenseiter. Das ist für Biniyam allerdings kein Problem, schließlich schielt er ohnehin stärker auf den internationalen Markt, wie er im Gespräch durchblicken lässt. Damit ist er bei Cocoa Music in guter Gesellschaft. Im Gegensatz zu PME Records, dem Label von Tippa T und JVG, legt Cocoa den Fokus eindeutig auf englischsprachige und international ausgerichtete Künstler. Auf Rap beschränkt sich das Label nicht, zu Biniyams Labelmates zählt unter anderen das weibliche Indie-Duo LCMDF und die Popsängerin Ronya. Der einzige HipHop-Act ist Biniyam dennoch nicht: Neben ihm sind auch die beiden Rapper Gracias und Noah Kin, ebenfalls ein Blog-Geheimtipp, auf Cocoa ­gesignt. ­Insbesondere in Sachen Eigenständigkeit und Sounddesign haben alle drei Rapper des Labels dem Großteil der deutschen Rapperkaste einiges voraus.

Toinen päivä

Die Fahrt mit der Fähre dauert knapp 15 Minuten. Am Morgen war ich in der Hotellobby mit Olson, Errdeka, Jumpa, Pascal »Kalli« Reinhardt und einer Dame von Music Finland verabredet, nun sitzen wir hier. Unser Ziel ist eine kleine, Helsinki vorgelagerte Insel, von der aus die Stadt einst gegen Feinde verteidigt werden sollte. Heute ist die Insel ein beliebtes Ausflugsziel und beherbergt außerdem ein modernes Tonstudio mit mehreren Aufnahmeräumen. Die beiden Rapper und die beiden Produzenten sind hier, weil als Teil des interkulturellen Austauschs nicht nur dieser Artikel, sondern auch Musik entstehen soll. Sony ATV lieferte die Vorschläge, und wer sagt denn auch nein, wenn man zu einer Auslandsreise eingeladen wird? Eigentlich hätte auch Disarstar mitfliegen sollen, der wurde aber kurzfristig krank. Als Ersatz kommt der gute Kaas.

Vom Anleger sind es nur wenige Schritte bis zum Studio. Olson erzählt mir, dass er schon vor ein paar Tagen angekommen sei. Nach einem tendenziell eher unbehaglichen Dinner mit Music Finland und einigen finnischen Rappern ging es am nächsten Tag ins Studio, wo die deutschen Rapper und Produzenten auf ihre finnischen Gegenparts trafen. Der Plan: Finnische Beatmaker produzieren für deutsche Rapper und umgekehrt. Offensichtlich funktionierte das mal mehr, mal weniger gut. Während Olson bereits an einer Skizze werkelt, hat Errdeka einen Produzenten abbekommen, mit dem es nicht so recht klicken mag. Er selbst will sich aktuell mehr zurück in Richtung battlelastiger Samplekisten bewegen und arbeitet mit Hochdruck gemeinsam mit Max Mostley an seinem neuen Album; der ihm zugeteilte Produzent wiederum kann und will nur Trap und sonst nichts. Am stärksten begeistert sind Kalli und Jumpa. Insbesondere der bereits vorgestellte Gracias hat es den beiden angetan.

 

Während sich an diesem zweiten Studiotag langsam aber sicher die Arbeitsgruppen herauskristallisieren, setze ich mich in die Küche, wo ein paar finnische Musikmenschen herumsitzen. Der eine stellt sich als Mitarbeiter von PME Records vor. Spontan zeigt er mir auf seinem Smartphone die Künstler aus dem Labelroster. Neben JVG ist da zum Beispiel eine junge Rapperin namens Sini Sabotage, die musikalisch ein wenig an Iggy Azalea erinnert, und ein junger Afrofinne namens Pajafella, der in seinen Musikvideos eine 3D-Brille trägt und mit Vorliebe auf Cloud-Rap-Beats über Kush rappt. Zum Abschluss spielt der PME-Labelmensch mir noch die kommende Single von Tippa T vor, ein bretthartes Stück Trapmusik, das an Kaaris erinnert. Wüsste ich es nicht besser, würde ich mir Tippa T in diesem Moment als breit gebauten Zwei-Meter-Riesen vorstellen – und ganz vielleicht in der Folgenacht ein wenig schlechter schlafen. »The song is about him being the boss man of Europe«, sagt der Labelmensch.

Später beim Abendessen (Rentier!) erzähle ich Olson und Errdeka von dem Stück. Die wiederum wissen vom Kennenlerndinner eine anschauliche Tippa-T-Anekdote zu erzählen: »Wir sollten aufstehen und uns vorstellen. Und was macht der? Steht auf, sagt: ‚Hi, I’m Tippa T and I’m a drug addict‘ – und setzt sich wieder«, berichtet Olson. Derweil ist auch Kaas in Helsinki eingetroffen. Von allen Rappern hat er sich am schnellsten an die Finnen gewöhnt, beziehungsweise einfach direkt angefangen zu schreiben – über einen Trapbeat: »Ich glaub, ich mag Trap eigentlich gar nicht. Aber ich hatte einfach Bock, drauf zu scheißen und direkt loszuschreiben, weischt?«, erzählt er. Olson zieht ebenfalls ein positives Fazit: »Ich hatte ganz vergessen, wie viel Spaß es macht, einfach mal drauf los zu rappen« – und grinst. Nach dem Essen sputen wir zurück zur letzten Fähre. Die einen gehen ins Hotel, die anderen zu einer Warner-Music-Party in Helsinkis Zentrum.

Wer mal auf einer Musikindustrieparty in Berlin war, der ist trotzdem noch nicht darauf vorbereitet, was einen in diesem semischicken Tanzschuppen erwartet: Während der Gin Tonic fertig gemischt aus dem Hahn ins Glas sprudelt, tummeln sich dort alle halbwegs erfolgreichen finnischen Künstler. Angeblich sei jeder zweite der Anwesenden Musiker, wie man uns sagt. Das macht allerdings weder die Stimmung, noch die Musik besser. Als Liveact säuselt ein angeblich namhafter finnischer Ex-Rapper ein paar poppige Country-Schnulzen ins Mikrofon, während die versammelte Musikindustrie das tut, was sie am besten kann: saufen. Die Schlangen vor den wenigen Toiletten sind für einen solchen Anlass ziemlich kurz, aber an der Bar wird ordentlich geordert. Der Tief- und der Höhepunkt im Schnellüberblick: Sini Sabotage fällt an der Bar stehend einfach um, Kaas versucht mich dazu zu überreden, mit ihm die Tanzfläche zu stürmen. Dort läuft erst »All Day« und direkt danach die Backstreet Boys. Wenig später endet die Nacht mit einem Besuch in einem namhaften Schnellrestaurant.

Näkemiin!

Der nächste Vormittag. Bis zum Flieger bleiben nur noch wenige Stunden, die ich eigentlich mit Sini Sabotage verbringen sollte. Doch die ist aus unbekanntem Grund für ihr Label nicht ­erreichbar. Stattdessen hat Pajafella ­kurzfristig Zeit. Auf der zentralen Flaniermeile der offensichtlich wohlhabenden Stadt setzen wir uns in ein Café. Pajafella ist nicht nur passionier­ter Pothead, sondern auch ein verdammt sympathischer Kerl. Seine Erfolgsaussichten sieht er realistisch, außerdem ist er dankbar für die Chance, die ihm PME Records vor wenigen Monaten eingeräumt hat. Wenn alles gut läuft, so erzählt er, kann er in einem Jahr von der Musik leben, zumindest eine Zeit lang. Seine vernebelte Rapmusik würde zwar nicht so recht in den mainstreamlastigen Rapmarkt passen, und wegen seiner finnischen Lyrics stehen ihm, im Gegensatz zu Biniyam und Noah Kin, die Türen im Ausland nicht offen, aber das mache nichts. Die Zeichen stehen trotzdem gut: In ­einigen Wochen geht er mit Tippa T auf Tour, Ende des Jahres soll sein Debütalbum ­erscheinen. Obwohl Pajafella noch ein Newcomer ist und kommerziell bisher keine große Rolle spielt, ist seine Präsenz in diesem Artikel wichtig für das Mosaik namens HipHop in Finnand: Darin stehen auf der einen Seite jene angesagten jungen Künstler, die Musik in erster Linie über Blogs konsumieren und offener für neue Sounds sind, als man das aus Deutschland gewohnt ist. Backpack und Gangstarap spielen anno 2015 kaum eine Rolle. Der ganze Rest versteht sich offensichtlich als Berufs­musiker – und als solcher muss man in Finnland anscheinend Kompromisse eingehen, oder nach neuen Modellen suchen, um sein Künstlerleben zu finanzieren. Auch damit sind die Finnen, die keine teuren Limited Boxen kennen und Tonträger als relevante Einnahmequelle längst aufgegeben haben, einen Schritt weiter als wir.

Da Pajafella und ich noch etwas Zeit zu ­vertrödeln haben, wandern wir ziellos durch Helsinki. Der Rapper listet seine musikalischen Idole auf (unter anderem I Love Makonnen, Young Thug und der Produzent Metro Boomin), erzählt davon, wie er sich als Jugendlicher keine Turntables leisten konnte, trifft an der Straßenecke einen Kumpel und fragt mich nach einem Selfie für Instagram. Ganz am Ende kaufen wir am Hauptbahnhof Lakritz.

 

Fotos: Uwa Iduozee

Dieses Feature erschien in JUICE #169 als Teil unserer Serie »HipHop ʻRound The World« (hier versandkostenfrei nachbestellen). Alle weiteren Art im Rahmen von #HHRTW erschienenen Features und Interviews findest du hier.

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