Haze: »Codein wird gesoffen als wäre es nix« // Interview

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Drums, Bassline, Sample, Rap: die Ingredienzen für HipHop der klassischen Sorte sind überschaubar. Wie’s schmeckt, kommt auf den Koch an – und auf die Qualität der Zutaten. Haze beherrscht sein Handwerk in jeglicher Hinsicht. Sein neues Album »Die Zwielicht LP« ist eine Symbiose aus Feinschmeckerküche und rustikaler Hausmannskost.

Egal ob Rucksackträger oder Packpusher – seit Haze vor gut vier Jahren mit »In der Luft« zum ersten Mal überregional sein süßliches Odeur versprühte, kann sich Deutschrap auf ihn einigen. »Boombap-Badener« oder »Konsens-Kroate« könnte man ihn um der Alliteration willen taufen. Tatsächlich schätzen Fans und Kollegen gleichermaßen die Fertigkeiten des mittlerweile 27-Jährigen, der unbeirrt vom grassierenden 808- und Sirupwahn weiter mit der Lunte im Mund an seinem Nineties-Approach feilt. Diese fast stoische Gleichgültigkeit gegenüber Trends und aktuellen Gepflogenheiten, mit der Haze seine Zeilen zwischen Drums und Sample nagelt, ist eine der großen Stärken seines im Februar erscheinenden zweiten Albums.

Wann hast du erste Texte geschrieben?
In der sechsten Klasse, auf Englisch. Ein Diss gegen unsere Parallelklasse. Ein Jahr später hab ich »Steig ein« von Sido gehört und gemerkt, dass auch guter deutscher Rap existiert. Seitdem verfolge ich meinen Traum.

Was bedeutet HipHop für dich?

Den Moment einzufangen, etwas aus dem Nichts zu erschaffen, ohne Instrumente … einfach nur ein Sample zu nehmen und daraus etwas zu bauen. Das hat für mich auch einen sehr starken Bezug zur Rockmusik der Siebziger und Achtziger aus dem ehemaligen Jugoslawien. Das waren Bauern vom Balkan – da gibt es Orte, in denen herrschen Zustände wie in der Dritten Welt. Trotzdem musste sich deren Musik nicht hinter der amerikanischen verstecken.

Dein Debütmixtape »Blues ausm Block« erschien 2012. Damals warst du noch in der Findungsphase in Sachen Sound.
Die Songs sind entstanden ohne groß nachzudenken: Freebeats gepickt und losgeschrieben. Die neue Platte sollte auch andere Aspekte von mir zeigen, sie ist düster geworden – was auch einigen Umständen der letzten Jahre geschuldet ist. Ich habe zudem mehrere Umzüge hinter mir: Stuttgart, Karlsruhe, Freiburg, jetzt wieder ­Karlsruhe. Ich bin Vater geworden, habe jetzt Verantwortung. Das alles verarbeite ich auf dem Album. Wenn die Platte im Februar rauskommt, es aufgehört hat zu schneien und dieser eklige Regen anfängt, fängt das die Stimmung des Albums perfekt ein.

Du bist ursprünglich zum Studieren von Karlsruhe nach Stuttgart gezogen, oder?
Ich hatte eine Privatuni gefunden, die den Studiengang Musikproduktion und -manage­ment anbietet. Der sollte 25.000 Euro kosten. Dieses Geld hatte ich nur zur Hälfte, den Rest musste ich abstottern. Als ich ein paar Monate nicht zahlen konnte, flog ich raus. Ich hatte aber keinen Bock, das Studium mit Zeitarbeit zu finanzieren, also bin ich zurück nach Karlsruhe. Ich habe damals gemerkt, dass meine Eltern darunter leiden, über was ich rappe. Ich wollte sie nicht weiter belasten, wollte aber die Musik ernstnehmen. Also erst mal keine Nebenjobs, kein neues Studium. Ich will meinen Abschluss irgendwann nachholen, wenn ich das Geld und die Zeit dafür habe. Bildung ist alles – ich möchte meinem Sohn ein Vorbild sein.

Wie ging es in ­Karlsruhe weiter?
Ich hab mir eine Kamera geschnappt und das Video zu »Erfolg« gedreht. Kurze Zeit später kam der Anruf von Hadi [El-Dor, ehem. Manager von Haze; Anm. d. Verf.]. Wir wollten Alte Schule Records gemeinsam aufziehen, bis sich herausgestellt hat, dass sich das Geschäftliche nicht mit dem Persönlichen vereinbaren ließ – und das ist keine Floskel, ich mag Hadi wirklich als Menschen. Also bin ich nach Freiburg und habe dort »Guten Abend, HipHop« aufgenommen.

Wie kam es zu dem Umzug?
Eigentlich wollten wir dort ein bisschen Urlaub machen. Aber Freiburg ist eine wunderschöne Stadt: geiles Weed, es scheint immer die Sonne, mein Hund konnte ohne Leine rumlaufen. Wir sind dort hängengeblieben. Dann wurde meine Frau schwanger, kurze Zeit später wurde bei uns eingebrochen. Wir wohnten im Erdgeschoss, also sind die einfach eingestiegen, als ich kurz eingenickt war. Ich wollte auf einen der beiden Einbrecher losgehen, da kam schon mein Hund und hat ihm den Arm zerfleddert. Das war reiner Instinkt, ich habe Mala [Hazes Pitbull-Weibchen; Anm. d. Vef.] das nicht beigebracht. Aber sie hat gemerkt, dass das Feinde waren.

Außerdem hattest du einen schweren Autounfall. Was genau ist da passiert?
Da ist uns jemand auf der Autobahn mit über hundert Sachen hinten reingebrettert – Totalschaden. Ich war im ersten Moment heilfroh, dass uns nichts passiert war – meine Frau saß auf der Rückbank und war schwanger. Mein Hund ist kurz abgehauen, weil er verwirrt war. Nach fünf Tagen hab ich im Bauch ein Ziehen bemerkt – als Raucher bin ich ja konstant betäubt. Im Krankenhaus wurde dann ein Milzriss festgestellt: zweieinhalb Liter Blut im Magen. Die meinten dann: Gut, dass du heute gekommen bist. Wir müssen dich notoperieren, sonst bist du tot. (lacht) Es war wirklich verdammt knapp.

»wenn die Boombap-Welle in fünf oder zehn Jahren zurückkommt, wird das Album als Klassiker gelten«

Wie ging es danach weiter?
Kurz danach wurde uns die Wohnung gekündigt, weil sich Anwohner wegen Grasgeruch beschwert hatten. Sobald die rausbekommen hatten, dass ich Haze bin, kamen deswegen Briefe. Also haben wir unsere Sachen gepackt und sind nach Karlsruhe zurück – ich wollte eh, dass mein Sohn in Karlsruhe zur Welt kommt. Erst, als ich zurück war, wieder meine alten Leute um mich hatte, konnte ich »Die Zwielicht LP« schreiben.

Diese »alten Leute« – meinst du das im positiven oder im negativen Sinne?
Die Leute sind natürlich auch gereift. Aber ich erkenne, wer verfault ist. Nach meiner Rückkehr habe ich viele nicht wiedererkannt, so abgecrackt waren die. Es kam mir vor, als hätte mich der liebe Gott genommen und an einen Ort gesetzt, wo ich mit all dem nicht konfrontiert bin. Dann hat er mir einen Sohn geschenkt und gesagt: Schau dir das aus einer anderen Perspektive an. Heute habe ich eine Handvoll Leute um mich, auch einige von früher. Gleichzeitig bin ich häufig mit Menschen in Kontakt, die ich über die Musik kennengelernt habe. Ich brauche ein kreatives Umfeld. Wenn ich um 10 Uhr morgens einen Kumpel treffe, der mir erzählt, dass er sich jetzt Koks holt, ist meine Kreativität für den Tag dahin.

Klingt nach genug Material für das zweite Album.
Ich wollte mir Zeit lassen, das Erlebte verarbeiten. Bei mir ging es über die letzten Jahre Schlag auf Schlag: Hadi kennengelernt, dann Ramin, bei Chapter One unterschrieben, mit RAF Camora auf Tour gewesen, in alle Richtungen connectet. Jetzt bin ich mit allen möglichen Leuten im Rapgame cool. Ich habe das Gefühl, dass die Leute meine Mucke peilen und Respekt davor haben. Aber dann lass mich auch chillen, lass mich mein Kind auf die Welt kommen sehen. Und dann schreib ich euch die baba Platte darüber.

Fühlst du dich angekommen?
Ich sag’s dir so: die Leute, die so tun, als würde ich nicht existieren, haben richtig Schiss vor mir.

Wer tut so?
Ich nenn keine Namen, aber: Wenn du Rapper bist, peilst du ja, wie gut ein anderer MC ist und wie viel Potenzial der noch hat. Gib mir mal ein richtig fettes Studio und ne Woche Zeit … weißt du, was ich dann mache?! Damit wir uns nicht falsch verstehen: Mit der »Zwielicht LP« bin ich so zufrieden wie noch nie. Klar, die Platte hat ein paar Schönheitsfehler, aber ich komme immer näher dran. Es ist kein Album zum Rumskippen geworden – du legst die Nadel auf und fasst sie nicht mehr an, bis eine Seite zu Ende ist. Ich betrachte ein Album immer als Ganzes. Damit fickt man doch den Kopf des Hörers, wenn das alles völlig zusammenhangslos klingt.

«Ich betrachte ein Album als Ganzes. Man fickt den Kopf des Hörers, wenn alles völlig zusammenhangslos klingt.«

Trotzdem gibt es viele Künstler, die ein paar Tracks zusammenschmeißen, um es als Album verkaufen zu können und zufrieden sind, wenn sie einen Hit landen.
Man kann das machen und sich trotzdem dabei treu bleiben. »Keep it real« heißt ja nicht, dass du weiter irgendwo einbrechen musst, obwohl du schon Geld mit Musik verdienst. Da geht’s nur darum zu wissen, woher man kommt. Wenn das allerdings nur passiert, um einem Trend zu entsprechen, muss man sich nicht beschweren, wenn jemand später zu dir »Sellout« sagt. Man sollte als Künstler einfach frei von Zwängen und Erwartungen arbeiten. Fest steht: Kein Punkt oder Komma, kein Adlib oder Delay auf meinem Album ist Zufall. Selbst die Fehler nicht.

Was, wenn der erhoffte Erfolg ausbleibt?
Alles verläuft in Zyklen – wenn die Boombap-Welle in fünf oder zehn Jahren zurückkommt, wird das Album als Klassiker gelten. Aber generell gilt: Wenn das Ding floppt, setz ich mich hin und schreib ein neues Album. Ich zieh das durch, bis ich tot bin.

Ziel ist also, auf Dauer mit Musik deinen Lebensunterhalt verdienen zu können?
So Gott will. Wenn ich nebenher jobben muss, mach ich das. Nebenher ticken will ich nicht, wegen meinem Kleinen. Aber das hängt letzten Endes von der Situation ab. Eigentlich möchte ich mit Alte Schule Records ein Plattenlabel machen, das nicht nur mich absichert, sondern auch meinen Künstlern Švaba Ortak und Eazyono eine Möglichkeit bietet, ihre Musik zu veröffentlichen.

Du veröffentlichst parallel zum Album eine Doku. Im Intro des Films heißt es: »Du musst dich entscheiden zwischen Hype oder Kultur, Geld oder Kunst, Tugend oder Ruhm.« Was meinst du damit?
Dass ich locker einen Hit mit einer Autotune-Hook schreiben könnte, der dreimal so viele Klicks hätte wie meine sonstigen Videos. Ich könnte danach allerdings nicht mehr in den Spiegel gucken.

»Ich könnte Locker einen Hit mit einer Autotune-Hook schreiben, der dreimal so viele Klicks hätte wie meine sonstigen Videos.«

Was bedeutet das für deine Musik?
Ich will nichts verherrlichen. Kinderpsychen sind formbar wie Knete. Die schauen sich das an und finden es cool. Du lebst denen einen Lifestyle vor, der für sie unerreichbar bleibt. Ich weiß nicht, Bruder … Koks ist so normal geworden wie Kippen. Codein wird gesoffen als wär es nix. Es fehlt nur noch, dass sich jemand auf der Bühne eine Spritze setzt. Die Rockstars in den Siebzigern hatten keine 13- bis 16-Jährigen als Fanbase. Die Hörer waren Freigeister, die Mitte 20 waren und sich bewusst dafür entschieden haben, LSD zu nehmen. Man sollte seine Verantwortung ernst nehmen. Rapper, die »gute« Musik machen, sind Legenden geworden: NAS, 2Pac. Das muss alles einen Sinn ergeben – natürlich rappe ich auch mal eine Zeile mit ein bisschen weniger Inhalt, wenn der Reim dadurch besser klingt. Aber ich würde nie in einem Text lügen – scheiß­egal, wie geil das kommen würde.

Apropos Texte: In deinen Videos sieht man immer wieder deine Reim­bücher und Textzettel, die bis auf den letzten Zentimeter vollgeschrieben sind.
Ich habe immer nur Stift und Papier benutzt. Bei meinen Eltern liegen noch die ganzen alten Blöcke, durch die ich nachvollziehen kann, wie sich Rapstil und Schreibprozess entwickelt haben. Auf diesen Blättern fehlt oft jegliche Ordnung. Ein Part von einem Song folgt auf die Hook von einem anderen und so weiter. Man muss ein bisschen blättern, aber es gibt viel zu sehen.

Nimmst du diese Zettel mit in die Booth?
Das kommt vor, aber ich versuche immer, alles auswendig zu können. Wenn ich den Text verinnerlicht habe, kann ich mich beim Einrappen auf andere Sachen konzentrieren. Meistens klappt es im Studio beim ersten Take. Spätestens beim dritten Take sitzt alles. Sonst wäre es nicht möglich gewesen, das Album in drei Tagen aufzunehmen.

Die Zeile »Zurück aus der Schattenwelt, Welfenstraße, Blockbau/Seitdem ich denken kann, nennen wir das Moskau« aus »Es geht los« ist eine Referenz an dein Heimatviertel, die Karlsruher Südweststadt.
Mit »Moskau« ist ein bestimmtes Haus gemeint, in dem heute viele Russen, Armenier und Tschetschenen wohnen. In den Neunzigern lebten dort sehr viele Jugos – ich selbst nicht, aber ich war trotzdem immer dort. Viele der Bewohner sind nach dem Krieg wieder zurück in die Heimat. Das ist ein Sozialbau, aber die Gegend ist mittlerweile total schön, da hat eine deutsch-französische Kita aufgemacht, der Spielplatz wurde renoviert. Trotzdem kommen noch Leichen aus dem Keller, um aus der Wasserpumpe am Spielplatz zu trinken. Ich hab dort schon so viele Videos gedreht, das ist einfach meine Hood – Welfenstraßa. In Karlsruhe gibt es kaum soziale Brennpunkte. In der Südweststadt wohnen viele Akademiker neben irgendwelchen Asis – und die kommen miteinander aus. Es gibt eben diese hübsche Fassade, die aufrechterhalten werden muss, wegen dem Bundesgerichtshof und so. Aber egal ob in der Fußball- oder Motorradszene, anderswo weiß man, dass Karlsruhe nicht ohne ist. Und die Rapszene kriegt’s auch langsam mit.

In dem vorhin angesprochenen Intro fällt auch der Satz: »Ich bewege mich zwischen Dummheit und Bildung, fernab meiner Heimat zwischen Fremde und Ungewissheit« – ist Karlsruhe nicht deine Heimat?
Natürlich, aber ich bin Kroate und irgendwann will ich wieder nach Kroatien ziehen. Das ist der Traum eines jeden Ausländers: irgendwann in die Heimat ­zurückzukehren. Und je früher du dir das ermöglichen kannst, desto angesehener bist du, wenn du zurückkommst. Und dann am Strand Oliven essen und Joints rauchen. Das mag für viele Deutsche nicht nachvollziehbar sein: ich bin gut integriert, hab Abitur gemacht, spreche super Deutsch. Aber es ist ein Hin und Her – und ich weiß, ich gehöre hier nicht hin. Mein Herz zerreißt, wenn ich mal wieder in Kroatien war und dann erneut weg muss. Ich werde kein Ruhe haben, bis ich’s so weit gebracht habe, dass ich problemlos in Kroatien leben kann, ohne dass ich oder meine Frau je wieder arbeiten müssen.

Und dort sagt niemand »Schwabo« [abwertende Bezeichnung für Deutschsprachige im ehem. Jugoslawien; Anm. d. Verf.] zu dir?
Schwachsinn … mich hat mal einer für nen Kripo gehalten und wollte mir kein Weed verkaufen, weil ich ihm zu gut Kroatisch sprach. Bei meinen Eltern am Esstisch durfte kein Deutsch gesprochen werden. Nicht weil sie irgendwie asozial drauf sind oder so. Aber man muss einfach wissen, woher man kommt. Wer das nicht weiß, hat sich selbst verloren.

Dieses Feature erschien erstmals in JUICE #184 (hier versandkostenfrei nachbestellen).

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