»Alle Grenzen sind nur im eigenen Kopf existent« // The Cool Kids im Interview

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The-Cool-Kids

Man schrieb das Jahr 2008. Barack Obama ­wurde zum 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten von ­Amerika gewählt, Ethan und Joel Coen erhielten einen längst ­überfälligen Oscar für »No Country For Old Men«, der ­französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy nahm sich Model-slash-Musikerin Carla Bruni zur Frau und der ­Kuckuck wurde zum Vogel des Jahres. Doch auch für Antoine »Mikey Rocks« Reed und Evan »Chuck Inglish« Ingersoll sollte 2008 ein schicksalreiches Jahr darstellen. Sie waren aufgrund ihres ultracoolen Videos zu »Black Mags« der größte Internet-­Hype des HipHop-Jahres, und mit ihrer hoch gelobten Debüt-EP »The Bake Sale« avancierten sie ­endgültig zu Kritikerlieblingen.

Überhaupt, dieses Internet: kaum wegzudenken auf Partys, die einzig und allein durch die Beschallung durch YouTube-Videos funktionierten. Ohne die drei großen Ws wäre auch kaum an ein Aufeinandertreffen der beiden Künstler zu denken gewesen. Von Illinois nach Michigan – ja, das sind schon ein paar Meter. Aber MySpace (ihr wisst schon, dieses Social Network-Portal vor Facebook und Google+) schuf Abhilfe und MC Mikey Rocks entdeckte 2005 über eben diesen Weg die Produktionskünste von Chuck Inglish. Da darf man dem heute so verhassten und tatsächlich zugrunde gewirtschafteten MySpace mal kurz danke sagen, schließlich ergab sich durch dieses virtuelle und bald darauf auch persönliche Zusammentreffen eine wunderbare Gruppendynamik, die sich fortan unter dem Banner The Cool Kids entfalten sollte.

Drei Jahre, ein von Diplo gemischtes Mixtape und eine Kurzehe mit DJ A-Trak später, veröffentlichte man »The Bake Sale«. Eine EP mit diesem Sound, der irgendwie nicht vollends neu, aber eben auch nicht altbacken und abgenutzt klang. Diese 808-Drums, gepaart mit teils störrisch anmutenden, im Sampling der HipHop-Historie Danksagung aussprechenden Soundschnipseln. Dieser typische Cool Kids-Sound, der sowohl EPMD und alten Rick Rubin-Produktionen die Hand schüttelte, aber dennoch frisch und anders klang. Dazu diese beiden Typen in Skinny Jeans und Starter Caps, die ihr limitiertes Schuhwerk mit Vorliebe auf BMX-­Pedalen präsentierten, während die Chicks zwar nicht weniger angemacht wurden als in herkömmlichen Rap-Lyrics zur damaligen Zeit, dabei aber tatsächlich mehr nach »hübsch« denn nach »zweieurofuffzich« aussahen. Man konnte also auch mal darüber sprechen, warum man mit dem Fahrrad statt dem BMW unterwegs ist und warum man auch trotz fehlender Milch im Kühlschrank cooler war als die anderen.

Und dann war es plötzlich da. Dieses Genre. Diese Kategorisierung. Diese Einordnung. 2008, du bekamst ein neues HipHop-Genre verpasst. Tada: »Hipster Rap«. Und während sich die Blogger und Fanzine-Schreiberlinge über diesen knackig-feschen Begriff freuten und man endlich benennen konnte, was man da eigentlich genau hörte, fand das eben genau diese eine Gruppe keine fünf Meter lustig. Sprach man Chuck und Mikey damals auf diese Genre-Neuerfindung an, so erntete man nicht selten entweder patzig genervte Antworten oder gar komplettes Schweigen. Sie wollten einfach keine Hipster-Rapper sein. Limitiertes Schuhwerk, enge Hosen und Karohemden – okay. Über Fahrräder, Gameboys und den morgendlichen Gang zum Bäcker rappen – okay. Runtergeschraubte Beats, harte Drums, Eigenständigkeit, hier und da mal einen Referenzpunkt aus den guten, alten Tagen setzen – okay. Aber bitte nicht diese Schublade!

Und auch 2011 hat sich daran nicht viel geändert. »Weirdo Rap« hat »Hipster Rap« längst als Lieblingsgenre der »Pitchfork«- und »Fader«-Schreiber abgelöst. Statt raren Sneakern sind nun Kochmützen der heiße Scheiß. Ein guter Zeitpunkt, um dem ungeliebten Begriff endgültig den Todesstoß zu verpassen. »Ich rege mich nicht mehr darüber auf, aber ‘Hipster Rap’ ist einfach kein Genre«, brummelt Chuck Inglish. »Es ist doch vollkommen egal, was du für Klamotten trägst – damit begründest du keine Musikrichtung. Wir haben uns nie hingestellt und behauptet, wir wären Hipster. Wir tragen enge Hosen und stehen auf limitierte Sneaker, aber macht uns das direkt zu Hipstern und unsere Musik zu Hipster Rap? Man sollte Musik nicht immer kategorisieren wollen.«

Chuck spricht ruhig und bedächtig, Mikey macht durch ein hörbares Knacken in der Telefonleitung klar, dass er sich mal eben vollends aus diesem Gespräch entfernt hat. Nur, um zur nächsten Frage wieder mit von der Partie zu sein. Es hat sich also nicht viel geändert, bei diesem »Hipster Rap«-Ding. Wenn man nach Kanye Wests »Stronger« mit in die Schublade gesteckt wurde, fand man das höchstens im stillen Kämmerlein cool, zwischen hoch gestapelten Nike SB-Kartons und der Plattensammlung aus dem Ed Banger-Hause. Öffentlich wurde zumindest nicht darüber geredet. Oder man fand es halt wirklich scheiße.

Nachdem »The Bake Sale« also wie eine Bombe eingeschlagen war, die Blogosphäre sich täglich neu über den Sound der Cool Kids freute und sich eine heute sogar noch stärker gehypte Gruppierung namens Odd Future als Fans und Anhänger outete, ließ man vollmundig verlautbaren, dass nun bald das Album folgen wird. Der Titel: »When Fish Ride Bicycles«. Man freute sich, klatschte in die Hände und kaufte sich »NBA 2K8« für die Konsole, denn schließlich konnte man dort zu »88« ein paar frische Fade-Aways in den Korb hieven. Problem nur: Das Album erschien einfach nicht. Die Jahre zogen ins Land, 2009 folgte das erstklassige Mixtape »Gone Fishing«, 2010 das ebenfalls hervorragende »Tacklebox«. Die Diskografie blieb fehlerfrei, nur eben das »große Album« – auf das man ja im HipHop-Kontext tendenziell immer noch wartet – es kam und kam einfach nicht.

Schuld war, das weiß man heute, weder fehlende Arbeitsmoral, noch die ­mangelnde Kreativität. Wieder mal war es die böse Musikindustrie, die den Künstlern bei ihren Plänen im Weg stand. Das Chicagoer Label C.A.K.E., das zu Anfang noch als gute Basis erschien, wollte die Kids nach einem ­internen Streit nicht gehen lassen. Man zog vor Gericht und setzte sich in diesem Zuge dem Umstand aus, dass das fertig ­produzierte Debütalbum vorerst komplett eingefroren wurde. Als »record label jail« bezeichnete Chuck Inglish via Twitter die Situation und beschrieb in nur drei Worten sowohl Ohnmacht als auch Wut darüber. Gegenüber dem »Chicago Reader« gab er zu Protokoll: »Wir steckten in einem schlechten Deal und mussten uns da rausklagen. Es gab meines Wissens noch nie einen wirklich klassischen, legendären Künstler, der sich im Guten von seinem Label getrennt hätte. Jede Band kam irgendwann an den Punkt und sagte: Fick mein Label. Prince hasste sein Label so sehr, dass er seinen Namen in ein Symbol geändert und den Scheiß auf seine Wange geschmiert hat. Bei uns war es nicht anders. Wir hatten Kohle, wir waren pleite, wir waren sauer. Aber immer zusammen.« Zweieinhalb Jahre stritt man sich, dabei hätte zum ersten Album doch alles anders laufen sollen. Hätte, hätte, Fahrradkette.

Ihr habt euren Hype ja zuerst über das Internet und die Blogs bekommen. Erst danach habt ihr bei einem Label unterschrieben und musstet feststellen, dass dies nicht der richtige Weg für euch war. Verliert man da den Glauben an die Musikindustrie?
Chuck Inglish: Die Majors sind verrückt. Ich meine, ich will nicht alles verteufeln und man weiß ja auch nie, was die Zukunft bringt, aber so, wie es jetzt gerade ist, erscheint es für uns richtig. Wir mussten damals entscheiden, ob wir unabhängig sein oder eben mit einem Major zusammenarbeiten wollen. Wir haben unseren Weg gewählt und daraus lernt man einfach. Man kann sich nur weiterentwickeln, wenn man auch bereit ist, Entscheidungen zu treffen.

Jetzt habt ihr »When Fish Ride Bicycles« über die Musiksparte eines Limonadenherstellers veröffentlicht. Green Label Sound gehört ja zu Mountain Dew, was wiederum zu Pepsi gehört.
Chuck Inglish: Es ist cool, denn dadurch, dass ihr Business eigentlich ein ganz anderes ist, wollen sie unsere Musik nicht kontrollieren. Sie machen keine Musik, sie machen Getränke. Mountain Dew, also Green Label Sound, haben uns komplette Freiheit gelassen, unser Ding zu machen und sich in keiner Weise in unseren kreativen Prozess eingemischt.
Mikey Rocks: Sie stehen hinter uns und bieten uns einfach eine perfekte Basis für das Album. Daher sind wir sehr zufrieden, denn wir bekommen genügend Aufmerksamkeit, aber eben nicht nur auf Grund des Labelnamens, sondern aufgrund unserer Musik. Es ist eher so, dass das Label von uns profitiert und sie dadurch den Marktwert von Mountain Dew steigern können. Und wir brauchen dem Label nicht die Rechte an unseren Masterbändern zu geben. Die gehören jetzt uns.

Wo liegt denn aus eurer Sicht der eklatanteste Unterschied zwischen »The Bake Sale« und »When Fish Ride Bicycles«?
Chuck Inglish: Wir haben viel mehr Erfahrungen gemacht. Wir sind durch viel durchgegangen. Sowohl als Menschen, als auch als Künstler. Wir sind erwachsener geworden, sicherer in dem, was wir machen und haben uns entwickelt. Wir lieben »The Bake Sale« immer noch. Die Platte war jung, frech, unbeschwert und einfach genau das, was wir in der Zeit machen wollten. Aber natürlich haben wir uns entwickelt und würden heute nicht mehr so eine Platte machen. Ich mag die EP trotzdem immer noch sehr gerne.
Mikey Rocks: Ich sehe das genauso. Wir sind heute einfach ganz woanders, aber das ist ja auch der normale Prozess. Der Sound war sehr frisch, wir hatten unseren Spaß und ich blicke gerne auf die Zeit zurück. Es war schon eine richtungsweisende EP, wenn man sich anschaut, wohin sich der Sound entwickelt hat. Oder anders gesprochen: Klar mögen wir immer noch Starter Caps und Turnschuhe, aber wir sind nun mal keine 20 respektive 23 Jahre jungen Typen mehr, die unbeschwert mit der Kunstform ihre Tage und Nächte füllen können. Wir kennen das Spiel, wir kennen das Business mittlerweile – und wir hassen den Scheiß. Dennoch ist man sich darüber bewusst, dass »The Bake Sale« eine wichtige und innovative Platte war, die ihrer Zeit sogar ein gutes Stück vorauseilte. Und das, obwohl man sich ja irgendwie auch sehr stark auf den klassischen Sound der achtziger Jahre bezog: Die ersten Def Jam-Maxis, T La Rock & Jazzy Jay, LL Cool J, Original Concept, Duke Bootee, Rick Rubin und Marley Marl, aber auch die Zwischenwelten von Electro Funk und frühem Miami Bass spielten als Referenzpunkte eine Rolle. Auf »Gone Fishing« kamen Bezüge zum Eastcoast-Underground-Rap der mittleren Neunziger von Company Flow hinzu (»The Light Company«). Wie dem auch sei, Türen geöffnet haben Chuck und Mikey allemal. Kein Wunder, dass neben Kumpels wie Asher Roth und Chip Tha Ripper nun auch A-Ligisten wie ­Ghostface Killah, Bun B, The Neptunes oder Travis Barker ihren Respekt erweisen.

Im Gegensatz zu dem komplett ­selbstproduzierten »The Bake Sale« sind auf »When Fish Ride ­Bicycles« einige Beats von Travis ­Barker und den Neptunes.
Chuck Inglish: Das war eine tolle Erfahrung. Wir respektieren Travis, Pharrell und Chad für das, was sie machen. Es war weniger ein arbeitstechnisches Aufeinandertreffen, sondern eher eine homogene Zusammenarbeit von Künstlern, die sich auch menschlich gut verstehen. Wir sind glücklich, dass sie ein Teil des Projekts sind, da wir einfach mit den Besten zusammenarbeiten wollten. Wir hatten also verschiedene Ideen, trafen uns und arbeiteten so lange an den Skizzen, bis am Ende dann »Sour Apples« mit Travis, »Get Right« und »Summer Jam« mit den Neptunes dabei rausgekommen sind. Es hat sich wirklich gut angefühlt, mit diesen talentierten und, ja, auch sehr bekannten Menschen zusammenzuarbeiten.

Gab es noch andere Künstler, mit denen ihr zusammenarbeiten wolltet?
Chuck Inglish: Nein. Abseits von den Künstlern, die drauf sind, wollten wir niemanden mehr dabei haben. Wir wollten uns lieber auf uns selbst konzentrieren und die Platte nicht überladen. Es sollte ja kein Sampler werden. Außerdem ist es mir auch lästig, bei anderen Künstlern anzufragen, Mails zu verschicken und bei Managements anzurufen. Lieber sollten diejenigen, die gerne mit uns arbeiten wollen, uns finden.

Chuck und Mikey haben auf »When Fish Ride Bicycles« wenig neu und anders gemacht als auf den Vorgänger-Mixtapes. Vielmehr scheinen sie stringent an der Ausdefinierung ihres ganz eigenen Sounds zu arbeiten, für den sie bekannt geworden sind. Ausbrechen, wie wild experimentieren oder sich zwanghaft neu erfinden – ist alles nicht drin. Und auch nicht erforderlich. Alles beim Alten, aber im positiven Sinne: Braggadocio-Rap über alltägliche Frauengeschichten, Angebereien mit Vintage-Jerseys aus der NBA-Saison 1992. Plus Chucks Beats, die weiterhin zwischen Referenzen an die späten Achtziger und ausgewachsenem Future-Shit oszillieren. Eben alles beim Alten. Irgendwie auch ein paar Jahre zu spät, aber irgendwie auch egal. Wummernde 808s, funky Basslines und minimalistische Melodien gehen immer. Die neue Beastie Boys-Platte hat Chuck Inglish trotzdem nicht gehört. »Auch sonst habe ich nicht viel andere Musik in letzter Zeit gehört. Ich habe mich sehr auf mein Business konzentriert, sehr viel produziert und auch schon das nächste Cool Kids-Album ‘Shark Week’ angefangen, das 2012 erscheinen soll. Da, wieder: Ein Release-Termin. 2000-und-was? Am besten nicht merken, gerne aber hoffen. Schließlich scheint es, als wäre in der Vision dieser beiden Interview-Muffel immer noch gehörig Luft nach oben ­vorhanden.

Die wichtigste Frage bleibt am Ende ­allerdings noch zu ­beantworten: ­Warum genau sollte ein Fisch ­eigentlich Fahrrad fahren?
Chuck Inglish: Weil die Menschen denken, dass Fische so etwas können. Und sie können es auch! Es ist als Sinnbild gemeint, für uns und unser Verständnis von Kunst. Wenn man wirklich an etwas glaubt und dafür auch bereit ist, hart zu arbeiten und viel zu tun, dann ist einfach alles möglich. Alle Grenzen sind nur im eigenen Kopf existent.

Hätten wir das auch geklärt.

Text: Amadeus Thüner

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