»Wir haben die Entwicklung von HipHop doch selbst in der Hand« // Alchemist & Just Blaze im Interview

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Durchforscht man die Diskografien von ­Alchemist und Just Blaze, könnte der Eindruck entstehen, dass es sich um grundverschiedene Typen handelt. Hier der Chartstürmer an der Seite von Jay-Z, The Game und Mariah Carey, dort der Untergrundliebling zwischen Mobb Deep, Slaughterhouse und Dilated Peoples. Doch am Ende überwiegen die Gemeinsamkeiten: Beide setzen überwiegend auf Samples, beide packen für aufstrebende MCs gerne mal ihre stärksten Beats aus, beide sind waschechte Rap-Nerds. Vor Augen geführt wurde uns ihr eindrucksvoller Katalog im Rahmen ihrer Soundclash-Tour in Zürich, bei dem die Producer-Giganten in freundschaftlicher Manier mit ihren besten Beats wetteiferten.

Wie entstand die Idee zu dieser ­Soundclash-Tour?
Alchemist: Ich habe Glückskekse gekauft und auf dem Zettel standen die Buchstaben “JB”.
Just Blaze: Er schickte mir daraufhin eine ­telepathische Nachricht, und hier sind wir.

Als ihr den Soundclash zum ersten Mal in Atlanta durchgeführt habt, bemängelten manche, dass Just die Tracks spielt, während Alc nur auf die ­Instrumentals zurückgreift.
Just Blaze: Diese Leute haben nicht verstanden, worum es geht. Wir spielen bei jeder Show ein anderes Set und versuchen einfach, unseren Spaß zu haben. Man darf diese Veranstaltung auch nicht als Battle verstehen. Es ist eine Show. Und es gibt keine Eifersucht – das ist etwas für Mädchen.

“The Blueprint” gilt als das Album, das die Samples zurück in den Mainstream gebracht hat. Hat sich das inzwischen wieder verändert?
Just Blaze: Nicht wirklich. Es gibt ­immer noch viele Songs im Radio, die auf Samples basieren.
Alchemist: “Best I Ever Had” von Drake zum Beispiel.
Just Blaze: “Live Your Life” von T.I. ebenfalls. Und “A Milli” von Lil Wayne basiert auf einem A Tribe Called Quest-Sample. Wir samplen eben auch ­andere Sachen als James Brown, und die Samples werden heute einfach ­anders verwendet.

Du hast den Track “Live Your Life” erwähnt, der auf dem Eurodance-Hit “Dragostea Din Tei” basiert. Wie bist du auf dieses furchtbare Stück Musik gestoßen?
Just Blaze: Wir sind DJs und ­Produzenten, wir kennen die Musik und setzen uns damit auseinander.
Alchemist: Was aussieht wie ­Ohren, ist eigentlich ein Radar.
Just Blaze: Und dieser Radar ist immer auf der Suche nach neuer Musik von überall auf der Welt.

Magst du das Original?
Just Blaze: Schon. Es ist natürlich sehr cheesy, aber gut produziert. Ohne die Harmonien hätte ich den Hit für T.I. nicht produzieren können.
Alchemist: Der Chorus ist wahnsinnig eingängig. Der Song war nicht ohne Grund ein Hit.
Just Blaze: Du hasst diesen Song nur, weil du ihn millionenfach gehört hast. Aber der Song ist sehr eingängig, auch wenn er jetzt nicht meinen persönlichen Geschmack trifft.
Alchemist: Just hat den Teil des Songs verwendet, der ihn inspiriert hat und daraus einen harten Track gemacht, zu dem wir alle abgehen können. Das zeigt doch, dass man alles samplen kann.
Just Blaze: Ich habe einen Song genommen, den viele hassen, und daraus einen Track gemacht, den alle lieben. Das ist das Schöne an HipHop.

Man sagt, dass du zukünftig auch House-Musik produzieren willst.
Just Blaze: Ich mache ein ­bisschen von beidem. Heute rocke ich hier mit Alchemist und morgen hänge ich ­vielleicht mit A-Trak ab. Musik ist ­Musik. Ich würde auch mit Kenny ­Rogers arbeiten, wenn dabei ein guter Song entstehen würde.

Gibt es etwas, das ihr nicht ­samplen würdet, beispielsweise aus Respekt vor dem Künstler?

Just Blaze: Im Gegenteil: Ich sample jemanden, weil ich ihn respektiere. ­Solange es gut klingt und die Leute Spaß haben, gibt es keine Grenzen.
Alchemist: Ich könnte dich jetzt aufnehmen, während du uns Fragen stellst und deine Stimme in einen Beat integrieren. Man weiß nie.

Was haltet ihr von der Entwicklung, dass HipHop immer elektronischer wird und sich in Richtung Club- und Dance-Musik bewegt?
Just Blaze: Wir benutzen alle den Computer oder die MPC, also ist doch eigentlich alles elektronische Musik. Kaum einer sitzt noch am Schlagzeug und spielt selbst die Drums ein. “Planet Rock” war einer der wichtigsten Songs für HipHop – und das ist ein sehr ­elektronischer Song.
Alchemist: Wir haben die Entwicklung von HipHop doch selbst in der Hand. Du fragst uns nur deshalb nach irgendwelchen House-Loops, weil Just gerade einen verwendet hat. Das zeigt den Einfluss, den wir haben. Diesen Einfluss können wir nutzen, um HipHop dahin zu führen, wo wir hinwollen.
Just Blaze: Nach uns werden andere kommen, die das Spiel beeinflussen. Genauso, wie es vor uns ­Künstler gab, die der Musik ihren Stempel ­aufgedruckt haben.

Früher brauchte man riesige ­Studios und viel Hardware-Equipment. Heute kann man fast alles auf seinem Laptop machen. Wie steht ihr zu dieser Entwicklung?
Just Blaze: Technologie entwickelt sich eben weiter. DJs mussten ­früher 20 Plattenkisten rumschleppen, heute verwenden sie einfach Traktor oder Serato. Es muss Fortschritt und ­Veränderung geben.
Alchemist: Man darf neue Technologien nicht bekämpfen, man muss sie zu nutzen wissen. Just ist ein Tech-Master, er kann mit jeder Maschine umgehen. Wenn eine neue Technologie erscheint, kannst du darauf wetten, dass er schon weiß, wie man damit umgeht. Ich brauche immer etwas ­länger, um mich daran zu gewöhnen.

Welches ist denn eure bevorzugte Maschine im Studio?
Alchemist: Diese kleine Nische ­irgendwo hinten in meinem Gehirn, wo all der Grasrauch hingelangt.
Just Blaze: Ich denke, das wichtigste Tool sind deine Ohren. Man kann mit Fruity Loops oder mit 20 MPCs ­arbeiten – wenn deine Ohren nichts taugen, spielt das keine Rolle.
Alchemist: Es geht nicht um die Maschine, sondern darum, wer sie bedient.

Ihr seid beide auf die eine oder ­andere Art am neuen Eminem-­Album “Recovery” beteiligt.
Just Blaze: Unsere Zusammenarbeit war gut, schnell und einfach. Wir haben sieben Tracks aufgenommen, von denen wohl drei oder vier aufs Album kommenr.
Alchemist: Ich habe es leider wieder nicht geschafft, einen Beat zu platzieren. Irgendwann, irgendwann…
Just Blaze: Dafür darfst du mit ihm auf Tour gehen.
Alchemist: Genau, ich bin der, der auf “Play” drückt und die Beats von Just Blaze spielt. Damit muss ich leben.

An welchen Projekten arbeitet ihr momentan?

Alchemist: Ich habe mit Oh No zwei Gangrene-Alben aufgenommen, das erste sollte bald bei Decon erscheinen. Und wenn Evidence sein Solo­album “Cats & Dogs” veröffentlicht hat, ­machen wir uns an unser gemeinsames Step Brothers-Album.
Just Blaze: Ich arbeite im Moment intensiv am Album von Jay Electronica, das auch bei Decon erscheinen wird. Ich werde einer der Executive Producer der Platte sein. Außerdem arbeite ich am Album von T.I., mit Jeezy habe ich einen Track gemacht, Rick Ross muss ich auch noch einige Beats schicken.
Alchemist: Ich hoffe, dass Jay und Just zusammen ein Album in der klassischen MC-Producer-Konstellation aufnehmen. Als Fan will ich so ein Album hören! Der Erfolg von “Exhibit C” hat gezeigt, dass die Welt diese Art von Musik doch will. Dass so ein Track heute noch ein Radiohit in New York werden kann, hat meinen Kopf gefickt. Das war ein verfluchter Waldbrand.

Text: Fabian Merlo

Foto: Lukas Mäder

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