Eine Dekade im Rückblick #4: Deutschrap und politische Inhalte // Titelstory

-

Dieses Jahrzehnt war vermutlich das spannendste, das Deutschrap bis dato erleben durfte: Die musikalische Diversifizierung der Szene, die rekordverdächtigen Erfolge, die wichtige und hoffentlich nachhaltige Etablierung von vielen weiblichen Künstlerinnen. Ohne Frage: Es war eine gute Zeit – und eine, die Maßstäbe für die Zukunft setzt.

Keine Frage: Rap war aus rein objektiver Sicht ein ungemein geeignetes Stilmittel für eine hohe Dichte an Aussagen – schon immer. Schließlich bietet kein anderes Musikgenre so viel Raum für Wörter und deshalb auch Meinungen. Songs von Advanced Chemistry, den Absoluten Beginnern, Anarchist Academy oder den Brothers Keepers beweisen, dass Rap auf Deutsch schon früh eine Projektionsfläche für politisch-progressive Inhalte bot. 

Von dieser Leitlinie schien zu Beginn der nun endenden Dekade nicht mehr viel übrig gewesen zu sein. Massenkompatibler Rap hatte sich schon zu Beginn der 2000er zunehmend von ehemaligen politischen Ansprüchen verabschiedet und seinen Fokus auf egozentrische und hedonistische Themenwelten umgelenkt. Lange Zeit schien die Szene in weiten Teilen herzlich wenig übrig zu haben für eine kritische Auseinandersetzung mit kapitalistischen Verwertungskreisläufen oder einer Aufarbeitung sexistischer oder homophober Klischees. Doch während es viele prominente Vertreter des Genres verschliefen, achtsam und analytisch auf maßgebliche realpolitische Entwicklungen (wie etwa das Erstarken rechtskonservativer Parteien in den Parlamenten) einzugehen, entwickelten sich zwischen 2010 und 2019 neue Nischenbewegungen und, darin inbegriffen, innovative Formen von politikbewusstem Befindlichkeits-Rap. 

In einer Zeit, die es zugegebenermaßen sowieso fast unmöglich macht, »unpolitisch« zu sein, sind emanzipatorische Inhalte wieder zu einem festen Bestandteil des deutschsprachigen HipHop-Kosmos avanciert. 2019 ist gesellschaftskritischer Rap in Deutschland so präsent, so relevant und vor allem so vielseitig wie noch nie. Feministische Akteurinnen wie Sookee und Ebow oder das antirassistische Movement um BSMG haben neue Schwerpunkte gesetzt und Türen aufgetreten. Gleichzeitig stellten Artists à la K.I.Z, Audio88, Yassin, Edgar Wasser oder Fatoni eindrucksvoll unter Beweis, dass Ironie, Doppeldeutigkeit und stilbewusste Verschleierung durchaus nützliche Werkzeuge bei der Platzierung politischer Thesen in einer breiten Öffentlichkeit sein können. Doch nicht nur sie haben es geschafft, gesellschaftskritische Musik ohne bitteren Propaganda-Beigeschmack unter das Hip-Hop-Publikum zu mischen: Auch Disarstar oder PTK taten es, wenn auch auf eine etwas ernstere aber nicht minder erfolgreiche Art. Und während Waving The Guns oder Pöbel MC ein für alle Mal bewiesen, dass sich komplexer politischer Sprechgesang und Battlerap-Neigungen keineswegs gegenseitig ausschließen müssen, glänzten besonders Zugezogen Maskulin, die Antilopen Gang, Goldroger, Irie Révoltés und Veedel Kaztro mit allerhand kluger und authentischer Zeitgeist-Begutachtungen. 

Parallel dazu gärte es im Untergrund: Ende 2012 schloss sich eine Gruppe von mehr als zwanzig Menschen, darunter die Band Neonschwarz, zum selbsternannten »Zeckenrap«-Kollektiv »TickTickBoom« zusammen. Auch sie trugen antifaschistische und emanzipatorische Positionen in die Szene und zeigten einmal mehr auf, warum linker Rap so wichtig ist: Er sensibilisiert. Und er vertritt fortschrittliche Standpunkte, noch bevor sie eines Tages zum Mainstream werden.

Text: Alex Barbian
Illustration: Henrike Ott

Hier geht es weiter zu Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5, Teil 6 und Teil 7.

Dieses Feature erschien zuerst in JUICE 195.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein