Dr. phil. Reyhan Sahin: »Das islamistische Wertesystem ist nicht mit den Werten von HipHop vereinbar.«

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HipHop hat ein neues Imageproblem. Nachdem die populären Medien die Subkultur in der Vergangenheit für die Verrohung der Jugend und steigende Kriminalität verantwortlich gemacht haben, ist nun gewalttätiger Islamismus an der Reihe. Zeitungen wie die Bild, die Frankfurter Allgemeine und die Zeit ließen es sich nicht nehmen, den Werdegang eines Deso Dogg vom Gangsta-Rapper zum islamistischen Kämpfer zu beschreiben und dabei eine direkte Verbindung zwischen Rap und religiösem Fanatismus herzustellen. In Bezug auf einen der Attentäter von Paris reichte schon der Hinweis aus, dass dieser sich zehn Jahre vor seiner furchtbaren Tat mal im Rappen versucht hatte. Daraus spricht eher das Bedürfnis nach einfachen Erklärungen als wirkliches Verständnis einer Subkultur, die zur Zeit einflussreicher als jede andere ist – und somit Millionen von Menschen prägt und beeinflusst. Natürlich sind diese Einflüsse teilweise problematisch. Eine so grobe Vereinfachung hilft aber niemandem weiter. Grund genug, mal genauer hinzuschauen und sich mit der Verbindung zwischen Islam und Rap auseinanderzusetzen.
 
Heute positionieren sich Rapper in Deutschland offensiv, wenn es etwa um ihre Nationalität und ihre Religion geht. Warum ist das so? Und wie hängt ein religiöses Bekenntnis mit ­Imagepolitik zusammen? Über dieses schwierige und ­vorurteilsbehaftete Thema sprachen wir mit Dr. phil. Reyhan Sahin. Sahin – besser bekannt als Lady Bitch Ray – ist Sprachwissenschaftlerin und beschäftigt sich unter anderem mit religiösen Zeichen und der Symbolik von HipHop.
 
Ehrlichkeit, Stolz, Aufrichtigkeit, Respekt, Realness, Conciousness und Fairness sind deiner Aussage nach Werte, die sowohl in der muslimischen Gemeinde, als auch im HipHop eine Rolle spielen. Das sind alles Werte, die ein gutes Zusammen­leben fördern. Gibt es auch problematische Werte, die religiös geprägt sind und auf die HipHop-Kultur übertragen werden?
Es muss grundlegend klargestellt werden, dass es die muslimische Gemeinde genauso wenig gibt wie den HipHop. Es sind immer bestimmte Individuen und/oder Communities, die eine Religion oder Subkultur auf eine bestimmte Weise interpretieren und ausleben. In jüngster Zeit wird in den großen europäischen Medien eine Verbindung zwischen Islamismus und Rap hergestellt. Berufen wird sich dabei auf Menschen, die vor ihrer islamistischen Karriere mit Rap in Berührung kamen. Diese Schlussfolgerung ist jedoch an den Haaren herbeigezogen, weil die HipHop-­Kultur keine Gewalt verherrlicht, im Gegenteil: Gewalt soll im HipHop ja in Kreativität umgewandelt werden. Nur, weil manche Menschen religiöse Werte und HipHop für ihre Zwecke missbrauchen, heißt das nicht, dass HipHop als solches mit Islamismus in Verbindung zu bringen ist. Es sind nicht die religiösen Werte, die problematisch sind, sondern das, was Individuen daraus machen.
 
Der Islam ist für viele migrantische Jugendliche in den Großstädten eine Identifikationsmöglichkeit – ebenso wie Gangsta-Rap. Überspitzt gefragt: Wie passt der rappende Drogendealer in die Moschee?
Es muss zunächst einmal grundlegend unterschieden werden, von welcher Art von muslimischen Rappern wir sprechen. Sprechen wir von denjenigen, die aus einer muslimischen Familie stammen wie etwa Azad, Kool Savas und Alpa Gun, und die von Geburt an muslimisch sind? Oder von denjenigen, die zum Islam konvertiert sind wie Kollegah, Lady Scar und Manuellsen? Diese Rapper stehen allesamt für friedliche und tolerante Werte. Das wird nur selten beachtet. Und dann muss natürlich auch noch überprüft werden, ob sich diejenigen, die von Geburt an Muslime sind, bewusst zum orthodoxen Islam bekennen oder nicht. Denn nicht alle, die aus einem muslimischen Milieu stammen, sind auch bekennende Muslime. Mittlerweile gibt es auch orthodox-muslimische Rapper wie Ammar 114. Der rappt in seinen Songs über Barmherzigkeit, Frieden, die Liebe zu Gott, und vermeidet Kraftausdrücke. Ähnliche Ziele verfolgen auch die Mitglieder des sogenannten i,slam – das ist islamischer Slam Poetry mit sozialkritischen Inhalten. Es ist aber ein Fakt, dass sich Jugendliche arabischer und türkischer Herkunft – die überwiegend in Arbeitervierteln oder sogenannten Kanaken-Ghettos aufgewachsen sind – eher mit Rap identifizieren als mit anderen Musikrichtungen. Die auffällig-stylish gekleideten kopftuchtragenden Musliminnen aus meiner Studie zum Beispiel, die in ärmeren Arbeitervierteln leben, neigten ebenso dazu, Rap zu hören. Deshalb liegen Rap und muslimisch sozialisierte junge Erwachsene ganz nah beieinander.
 
Ein offensiv ausgelebtes Christentum gilt unter Jugendlichen in Großstädten nicht unbedingt als cool – der Islam schon eher. Was hat das mit Rap zu tun?
Wenn der Fokus auf fundamentalistische Christen gerichtet wäre, die sich in Syrien in die Luft sprengen, wäre das Christentum für einige Jugendliche genauso cool. Jedoch liegt der mediale Fokus derzeit auf dem Islam, der leider oftmals mit Extremismus und Terrorismus in Verbindung gebracht wird. Junge Menschen wollen cool sein und ahmen diese islamistischen Bilder und Sprache nach. Sie wollen kriminell und gefährlich wirken und sich von der Masse abgrenzen. Wenn es früher cool war, Koks zu nehmen, ist es also heutzutage cool, ein Dschihadist oder Märtyrer zu sein. Es reicht nicht mehr aus, zu rappen, dass man Drogen verkauft und Nutten fickt. Das spiegelt sich mittlerweile auch in der Sprache auf dem Schulhof wider.
 
In einem Artikel der Zeit wird von einer »zunächst abstrus erscheinenden soziologischen Tatsache« gesprochen, wenn es um den Zusammenhang von Dschihadismus und Gangsta-Rap geht. Auch in anderen Zeitungen werden zum Thema meistens drei Beispiele angeführt: Djihadi John aus dem UK, Deso Dogg aus Deutschland und der Umstand, dass einer der Attentäter in Paris mal gerappt hat. Reicht das deiner Meinung nach aus, um einen Zusammenhang zwischen Rap und Islamismus herzustellen?
Ich finde diesen Zusammenhang ­unsinnig. Nur, weil es zwei bis drei radikalisierte Islamisten gibt, die irgendwann mal mit Rap zu tun hatten, heißt das nicht, dass Rap nun die Grundlage für militanten Islamismus bietet. Außerdem gibt es auch genügend Rapper, die zum Islam konvertiert sind und friedliche Ziele verfolgen, hierzu gehören zum Beispiel Mos Def, Queen Latifah, Busta Rhymes oder RZA. HipHop steht für einen kreativen Protest, den man durch eine bestimmte Haltung und einen Lifestyle ausdrückt. Dazu gehören keine gewalttätigen Attentate. Das widerspricht eindeutig der HipHop-Ethik. Es muss jedoch auch angemerkt werden, dass Rapper teilweise von islamistischer Seite rekrutiert werden, weil sie als Sprachrohr von jungen Menschen fungieren und diese deshalb gut erreichen.
 
Du hast dich viel mit der Symbolik von Rap und HipHop beschäftigt – lässt sich die HipHop-Kultur überhaupt mit einem islamistischen Weltbild verbinden?
Das islamistische Wertesystem ist definitiv nicht mit den Werten von HipHop vereinbar, sondern eher das muslimische. In beiden Milieus werden humanistische Werte wie Ehrlichkeit, Respekt und Nächstenliebe geteilt. In beiden Milieus wird eine eigene Sprache gebraucht, ein eigenes Wertesystem verfolgt und ein eigener Habitus gepflegt. Sowohl der Islam als auch HipHop werden in Deutschland im Regelfall von marginalisierten Gruppen wie Schwarzen oder Menschen mit arabischer Herkunft angenommen.
 
Abseits von islamistischen Inhalten bekennen sich viele Rapper in Deutschland zum Islam – vor allem im Subgenre Gangsta-Rap. Wie bewertest du den Einfluss von religiösen Symboliken auf die Rapkultur?
Es gibt viele Rapper in Deutschland, die aus muslimischen Familien stammen. Nicht alle von ihnen thematisieren ihre Religion in ihren Texten. Neben den oben erwähnten Gangsta-Rappern gibt es ja auch Rapper wie Kool Savas, der zwar sein Album »Märtyrer« nennt, das Ganze aber textlich in keinster Weise islamistisch verarbeitet. Da werden religiöse Symboliken positiv verwendet. Eigentlich sollten solche positiv-religiösen Werte auch eine positive Wirkung auf das negative Frauenbild im Deutschrap haben – haben sie aber de facto nur wenig! Die Frau wird immer noch mit der Bitch, in diesem Verständnis mit Nutte, gleichgesetzt und degradiert. Das ist meines Erachtens ein eindeutiger Widerspruch.
 
Warum das offensive Bekenntnis zum Islam, warum die Verwendung der Symboliken? Welche Rolle spielt dieses Thema in der Imagepolitik?
Es ist heutzutage cool, ein Schwarzkopf und Moslem zu sein, weil man sich dadurch abgrenzen kann und durch die medialen Darstellungen der letzten Jahre sowie 9/11 viele Menschen abschreckt. Das schafft ein gefährliches Bad-Boy-Image und macht es attraktiv für viele Rapper. Viele Gangsta-Rapper in Deutschland fühlen sich von der Brisanz und Gefahr des Islamismus angezogen – und nicht vom Islam! Wenn Massiv in jedem zweiten Satz »Elhamdulillah« sagt und Bushido nach den Charlie-Hebdo-Attentaten ein Bild von sich mit einem Pullover mit der Aufschrift »Paris« auf Facebook postet, dann sind weiße Mittelschichtjungs schockiert und die Bild schreibt darüber. Auch die Frau in einer Yves-Saint-Laurent-Burka im Musikclip des Songs »Saudi Arabi Money Rich« von Haftbefehl gehört zu solchen Schockmitteln, die unsere Bad Boys – gemeinsam mit ihren Beratern von Plattenfirmen – bewusst inszenieren.
 
Bushido hat die offensichtliche Unvereinbarkeit von einem muslimisch frommen Leben und seinen Inhalten unter Verweis auf die allgemeinen Widersprüche des Lebens kleingeredet. Um was für eine Art der Religiosität geht es eigentlich?
Bushido bedient sich – wie einige andere Gangsta-Rapper in Deutschland auch – bewusst einer islamistischen Symbolik. Er rappt über Taliban und Al-Qaida, trägt einen langen Bart und zeigt sich mit einem Turban auf seinem Album-Cover. Er behauptet, dass er in die Al-Nur-Moschee geht. Das soll Leuten Angst machen. In Wahrheit jedoch, das könnte man behaupten, ist er ein weltlich lebender Unternehmer aus der oberen Mittelschicht. Wir müssen also unterscheiden zwischen dem, was die Leute sagen und ausdrücken, und dem, was die Leute wirklich sind. Wenn man die Mehrheit der orthodoxen Muslime fragen würde, ob sie Bushido für einen Muslim halten, würden diese das vehement verneinen.
 
Text: Vincent Lindig
Illustration: Henriette Rietz
 
Dieses Interview ist erschienen in JUICE #166 (hier versandkostenfrei nachbestellen)
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