Die besten 20 Instrumental-Alben // Liste

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16 Flying Lotus – Los Angeles (Warp, 2008)

Es ist aus heutiger Sicht kaum mehr nachvollziehbar, dass es mal eine Zeit vor »Los Angeles« gab. Dabei war es kaum abzusehen, dass ausgerechnet dieser kiffende Klugscheißer aus dem San Fernando Valley mal den ­ideologischen Anführer eines weltweiten Nerd-Rudels geben würde. Sein Debüt »1983«, zwei Jahre zuvor bei Plug Research veröffentlicht, war eine eher unspektakuläre, fast schon spießige Fingerübung in Sachen instrumentaler HipHop-Beats. Seit dem Warp-Signing scheinen Steven Ellison jedoch übernatürliche Kräfte gewachsen zu sein. Der Großneffe von Alice Coltrane schichtet hier kunstvoll verfremdete Sounds über verstolperten MPC-Wahnsinn, die so entstandenen Stücke überschreiten selten die Drei-Minuten-Marke, noch seltener tauchen Vokalisten auf, etwa der singende Yogalehrer Gonjasufi oder Laura Darlington, die Ehefrau des kalifornischen Experimentalmusikers Daedelus. »Los Angeles« ist vor allem jedoch eine Ode an die geliebte Heimatstadt, da drüben auf der anderen Seite der Hills. Mal hektisch-jazzige, mal stoisch-stampfende Drums spiegeln das Lebenstempo der Megacity, darüber liegt stets ein erhabener Schleier aus Synthies und ätherischen Vocals, denn schließlich besitzt hier jeder normale Mensch eine Medical Card. Aber es ist ebenso der Soundtrack für die späten Stunden in Santa Monica, wenn die Tagestouristen die Rückreise angetreten haben und in der Abendsonne nun endlich die Einheimischen auf der Promenade flanieren: locals only. Es fällt schwer, diese Platte zu hören und nicht in Schwärmereien abzudriften, so verdammt gut ist sie. HipHop war für Steven Ellison nicht mehr Formatvorgabe, sondern allenfalls die Abschussrampe in einen Orbit, in dem Sun Ra, Richard D. James und Dilla ein- und dasselbe Orchester ­dirigierten. Kein Album, sondern eine Bewegung.
Stephan Szillus

17 Brenk – Gumbo (Supercity, 2008)

HipHop kann so langweilig sein – wenn Rapper »nah’mean« sagen, Radio-DJs »Exclusive« brüllen, Party-DJs mit »Big L, rest in peace« jugglen, Lokal­patriotismus, Dilla-Gedächtnis-Drums, Prog-Rock-Samples und ein Premo-Shout-out für das neueste unwichtigste Mixtape der Welt. Aber dann gibt es Typen wie Brenk. Typen, die HipHop mit Klischees machen, dabei aber eben alles stimmt. Brenk sagt »Oida« und du hältst die Luft an, er erzählt dir von einem Marv-Won-Battle und du glaubst ihm, dass du einen echten HipHop-Moment verpennt hast. Du hörst einen Beat von »Gumbo« und checkst einfach nicht, wie er Dilla, Quik, Organized Noise, Large Pro, Pete Rock, Premo und Pimp C in diese anderthalb Minuten quetschen konnte. Das 16er Blech wird zum Sizzurp und sein Zimmer im Kaisermühlener Elternhaus zu einem magischen HipHop-Ort wie der Keller von Rico Wade. Brenk ist Bodenständigkeit und Bravado, Scheiß-drauf und Hau-drauf, »You Gots To Chill« und »Time 4 Sum Aksion«. Klar, »Gumbo« funktioniert durch die angelernten »Donuts«-Hörgewohnheiten so gut, aber um einen DJ Premier, MC Eiht, Guilty Simpson oder DJ House Shoes zu überzeugen, musst du schon aus einem ganz anderen Holz geschnitzt sein. Mit dicken Eiern ein ­Instrumental »Strip Club« nennen, dabei Kuhglocken läuten und Sirenen erklingen lassen. Oder Gefängnisketten-Snares ­benutzen (»Raw Shhh«), Drums zerfleddern und dann mit jovialen Sonnenaufgangs-Akkorden gen Glückseligkeit schicken ­(»Cavemans Sunrise«) oder ernsthaft als Wiener bei der Klamottenwahl über Gang-Farben nachdenken. Sich den Künstlernamen auf den Arm tätowieren lassen und Michael Jackson unpeinlichst für ein Liebeslied samplen (»Hey Love«). Instrumental-Alben mit 40 Tracks machen und furztrockene Bassläufe mit E-Gitarren-Licks und Hildegard Knef verquicken (»Don’t Stop«). Oder eine ganze Armee zu Bumm und Tschack und ganz fiesen Streichern auflaufen lassen (»M.O.T.U.«). Das Beste daran bleibt Brenks unprätentiöses Geheimrezept für die Beat-Magie: »Wenig schlafen, viel Bier, viele Platten.« Brenk versteht es halt. Er macht HipHop und ist wahrscheinlich ­Europas ­bester Produzent. Ihr macht HipHop und seid wahrscheinlich »ole woam«.
Alex Engelen

18 Hudson Mohawke – Butter (Warp, 2009)

Als das ehemalige DJ-Wunderkind Hudson Mohawke 2008 sein Debütalbum »Butter« veröffentlichte, waren die Reaktionen in Fachkreisen etwas weniger euphorisch als es noch bei seinen vorherigen EPs »Oops« und »Polyfolk Dance«. Doch der schottische Sound-Revolutionär brachte mit seiner ersten LP über die britische Indie-Electro-­Instanz Warp den Produktionswahnsinn einer neuen Generation auf den Punkt. Die Glasgow-L.A.-Achse der Kollektive LuckyMe und Brainfeeder war gerade Schritt für Schritt zu einer Triebfeder geworden, die den zusehends langweiliger gewordenen HipHop-Sound an neue Grenzen trieb. »Butter« ist in dieser Entwicklung ein Meilenstein, weil es den Sound der Schlafzimmerproduzenten in die Clubs brachte. Allein schon deshalb ist diese LP vielleicht das wichtigste Album, das ein HipHop-Beatmaker aus ­Europa bis heute veröffentlicht hat. Mit ­»Butter« gab HudMo nebenbei allen Schubladendenkern ein weiteres Rätsel auf. Deutlichstes Zeichen hierfür: Bis heute hat sich kein eindeutiger Begriff für das Offbeat-Synthie-Flächen-Bass-Gemisch gefunden. Wonky, Aqua Crunk – you name it. Songs wie »ZOo00OOm«, »Rising 5«, »FUSE« oder »Gluetooth« wurden in Sachen Rhythmik einerseits zur Blaupause für nachfolgende Produzenten aus aller Welt, andererseits war HudMos Plastik-Soundentwurf so eigen, dass ihn nie das Schicksal seines ­Buddys Flying Lotus ereilte und ihm die totale ­Plagiatisierung erspart blieb. Vier Jahre nach Release ist Hudson Mohawke der umtriebige Popstar einer scheuen Gattung und produziert für Kanye West. Auf einen Nachfolger von »Butter« warten wir bis heute.
Julian Gupta

19 Teebs – Ardour (Brainfeeder, 2010)

Es gibt eine kurze Video-Doku auf ­strangeloop.tv, in der Mtendere »Teebs« Mandowa auf seinem Skateboard im abendlichen Zwielicht eine dieser typischen breiten Vorortstraßen von L.A. hinunterrollt. Danach hockt er in einer zum Atelier umfunktionierten Garage und pinselt mit konzentriertem Blick zähflüssige Farbe auf eine am Boden liegende Leinwand. Die Bilder fangen die Stimmung von Teebs’ Debütalbum »Ardour« perfekt ein: Es klingt, als hätte der Chillwave von Toro Y Moi ein solides HipHop-Fundament eingeflößt bekommen. Kaleidoskopische Sounds schwirren über gebrochenen Drums umher, es sind kleine instrumentale Tagträume von unglaublicher Wärme und Klarheit, die Teebs hier erschafft. Ob das HipHop ist? Natürlich fühlt sich Teebs von den Einflüssen eher bei Boards Of Canada als bei Pete Rock zu Hause. Madlib und Dilla haben sie zwar alle gefressen, Samiyam ist dennoch der aufrechtere Trueschooler aus dem Brainfeeder-Camp und ganz eindeutig mit Premo statt Promethazin aufgewachsen. Aber seine Beats sind immer ein bisschen störrischer, verkopfter und, ja, deshalb auch langweiliger als die völlig losgelösten Entwürfe seines Hippie-Kumpels, ehemaligen Mitbewohners und zu diesem Zeitpunkt 23-jährigen Hobbymalers aus Chino Hills. »Ardour« ist natürlich eine direkte Folge aus »Los Angeles«, allerdings komponiert von einem Zugezogenen von der Ostküste, der eigentlich den Tod seines Vaters (Arthur = »Ardour«) verarbeiten wollte. Man kann jetzt mit Begriffen wie »Post-HipHop« hantieren, man kann auch seinen »Wind Loop« mit dem Buckwild-Instrumental von Biggies »I Got A Story To Tell« vergleichen und gewisse Ähnlichkeiten im Drumset entdecken. In ­erster Linie jedoch ist es Teebs gelungen, mit den kargen Produktionsmitteln des HipHop eine tiefgründige, schüchterne Platte aufzunehmen, die dem urbanen Beton­mythos des Rap eine romantische Sehnsucht nach wilder, ursprünglicher Natur entgegensetzt.
Stephan Szillus

20 Clams Casino – Instrumental Mixtape (self-released, 2010)

Clams Casinos Loseblattsammlung an Mediationsmusik mit Eiern aus Stahl dürfte in dieser Liste eigentlich nicht auftauchen. Wenn die 20 wichtigsten Instrumental-Alben der HipHop-Geschichte etwas zusammenhält, dann bibliothekarischer Sachverstand, detaillierte Referenzmuster und geballte Nerdiness. Cam, Krush, Shadow, Dilla: Die Klassensprecher unter den Sample-Strebern haben dank tiefgreifender Knowledge Musik erschaffen, die so reichhaltig ist, dass sie keine Rapper mehr braucht. Aber wie wunderbar, wenn mal wieder nichts zusammenpassen will. Denn so wurde aus dem später sogar gemastert für umme downloadbaren »Instrumental Mixtape« nicht nur ein dopes Album, sondern gleich ein ganzes Stück Zeitgeist. Ein blutjunger Dipset-Fan aus New Jersey, wie er unscheinbarer kaum sein könnte, schickt der gleichaltrigen Garde an besten, neuen MCs (und Soulja Boy) übers Internet ein paar Beats. Lil B, Main ­Attrakionz, A$AP Rocky und Mac Miller bedanken sich mit den größten Hits des jeweiligen Quartals. Vor allem Clams’ unbekümmerter Umgang mit Samples hat dabei entscheidend zur ganzen Mythologie beigetragen. Ja, er ist Chiropraktiker, aber nein, er hört privat keine indischen Chants und Imogen Heap kannte er nicht, als er ihr »Just For Now« zu »I’m God« und »Bass« umbaute. Generell hat er keinen Bock auf staubige Kisten und »Wax Poetics«. Clams Casino tippt Schlagwörter bei LimeWire ein und samplet dann eben »grün«, »gigantic« etc. Viel geiler kann auf Traditionen rotzen kaum ausfallen. Mood Music ist das dank all der Drones, der Pop-Melodien und zerrissenen Vocal-Fetzen trotzdem. Und wer bei der subtil gesetzten Synthie-Line von »Motivation« nicht übel Lust bekommt, einen Säbelzahntiger zu erdolchen, der hat da was grundlegend missverstanden mit dem ­Testosteron. 2011 war Clams Casino minus Rap HipHops unverhoffteste Avantgarde. Nicht, dass er es drauf angelegt hätte.
Julian Brimmers

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