Die besten 20 Instrumental-Alben // Liste

-

06 DJ Spooky That Subliminal Kid – Songs Of A Dead Dreamer (Asphodel, 1996)

Anfang der Neunziger hob ein großes Raunen und Dröhnen an. Je nach persönlichem Zustand war man der Cyberspace-Euphorie oder -Phobie verfallen und verband damit große Erwartungen oder noch größere Ängste. Dieser Zeitgeist gerann im New York jener Zeit zu Illbient: der deformierten, vom Großstadt-Smog keuchenden und vom Kiffen paranoid gewordenen Mutation von Ambient. Dub-Bässe, schleppende HipHop-Beats, Musik aus den grollenden Eingeweiden der Stadt. Mittendrin der 1970 geborene Paul D. Miller alias DJ Spooky mit seinem wichtigtuerischen Mittelinitial im bürgerlichen Namen und seinem von William S. Burroughs geborgten DJ-Namen. Ein Dampfplauderer. Aber auch eine produktive Theorieschleuder, ein Gedanken-in-Gang-Setzer, hyperbelesen, mit Uniabschlüssen in Philosophie und französischer Literatur. Sein Debütalbum beginnt mit mutierenden Polizeisirenen und endet mit gechoppten Jungle-Breaks, dazwischen nimmt es den Hörer mit auf eine Reise durch den vollgestopften Kopf ihres Erschaffers. Am Wegesrand finden sich Kirmes-Drehorgeln, Ragga-Fetzen und Jean-Jacques Perreys »E.V.A.«. In den wellenförmigen Tracks, die endlos ineinander übergehen, blitzen immer wieder große Ideen auf, wunderschöne Momente. Doch stets sind sie schnell wieder verschwunden, weil die Stücke laufend die Richtung wechseln vor lauter Aussagen, die gemacht werden müssen. Denn »Songs Of A Dead Dreamer« legt es sehr darauf an, ein »Werk« zu sein. Alles ist Referenz und Zitat. Jeder Sound ist ominös, prätentiös, aufgeladen mit Gedanken. Es gibt bedeutungsschwangere Tracktitel wie »Dance Of The Morlocks« (eine Referenz an H.G. Wells) oder »Nihilismus Dub«, aufge­plusterte Liner Notes mit Theorie-Sampling von Plato bis Deleuze. Das alles ist durchaus reizvoll, weil es zum Denken verleitet. Aber letztlich blieb DJ Spooky als Theoretiker und Propagandist immer wichtiger denn als Musiker. Als Manifest gehört diese Platte jedoch zu den besten ihrer Zeit.
Florian Sievers

07 Dr. Octagon – Instrumentalyst (Octagon Beats) (Bulk/Mo’ Wax, 1997)

Auf einmal ging wieder alles: einmal verrückt sein, anders denken, gegen den Strom schwimmen. Man brauchte sich ’97 nur jenseits der Hype-Williams-Glitzeranzugwelt umzuschauen: Indie-Rapper verkauften zehntausende Whitelabels, Turntablism-Meisterschaften fanden in monströsen Mehrzweckhallen statt, progressive DJs mischten auf ihren Mixtapes abstrakten HipHop mit Illbient, düsterem Drum & Bass und Aphex Twin. Dazu las man Kodwo Eshun, der Sätze schrieb wie: »Wenn man Dr. Octagon zuhört, erfährt man die Überholtheit des HipHop-Protektionismus.« Und weiter: »Die Platte verwandelt dich in einen Menschen des 40. Jahrhunderts.« Die hier zum Ausdruck kommende Neuerfindung von Kool Keith – aka Dr. Octagon – nach dem wenig ruhmreichen Ende der Ultramag­netic MCs verdankte er seinen Freunden Godfather Don und Bobbito Garcia, aber auch den vorwärts gedachten Beats von Dan »The Automator« Nakamura. Dessen Studio The Glue Factory war ein Thinktank in seiner ­Heimatstadt San Francisco, in dem auch das Solesides-Camp um DJ Shadow ein- und ausging. Die ersten (von Kutmasta Kurt produzierten) Octagon-Tracks hatte Automator von Kool Keith über einen DJ-Verteiler bekommen, für das Album »Dr. Octagonecologyst« designte ihm Nakamura daraufhin schrägen LoFi-HipHop aus obskuren SciFi-Filmsamples, Electrofunk-Synthies, Hardrock-Gitarren und jeder Menge anderer »In Sounds From Way Out«. Die, wie die »Instrumentalyst«-Version zeigt, auch ganz prima alleine funktionierten, ganz ohne die grotesken Geschichten des zeitreisenden Quacksalbers vom Jupiter. Stattdessen sprach DJ Q-Bert mit seinen Händen: »Creating rap music ’cause I never dug disco.«
Stephan Szillus

08 Company Flow – Little Johnny From The Hospitul (Rawkus, 1999)

Pötzlich steht diese Falle im Raum. Sie sagt: »Ich bin ein komplexes und ziemlich abgefucktes Stück Musik. Los, analysiere mich.« Nichts leichter als das. Gründe, den Metaebenen-Furor rauszuholen, bringt das zweite und gleichzeitig letzte Company-Flow-Album pfundweise. Einfach mal elaborieren, warum »Suzy Pulled A Pistol On Henry« eine brillante »Funcrusher Plus«-Referenz ist. Erklären, warum diese Vocal-Sample-basierte Rache­fantasie des missbrauchten Mädchens mit Cartoon-Sound-Unterlegungen und seltsam humorvollem Lounge-Beat halt die beste Musikmontage des Jahres 1999 ist. Den New Yorker Kellerstudio-Mythos bemühen, die Anti-Kommerz-Haltung glorifizieren. Behaupten, dass dieses Album keine Rapper braucht und genau deshalb die konsequenteste Anti-Haltung innehat, die ein Rap-Album haben kann. Ergänzen, dass das Rap in Reinform ist, man müsse nur verstehen wollen. Mal wieder Recht haben. Den Connaisseur mimen und sagen, dass natürlich hier noch nicht alles so glänze wie bei den späteren El-Producto-Meisterwerken der Cannibal-Ox-Ära, darin aber der Charme dieses Lo-Fi-Sample-Wahnsinns liege. Das Ganze zur Kunst verklären, somit nichts mehr erklären müssen, und damit wieder Recht behalten (vgl. OFWKTA 2011). All das hat in der Betrachtung von »Little Johnny Fom The Hospitul« seine notwendige Berechtigung. All das weiß jeder, auch die Falle. Und natürlich tappen wir. Alle. Immer. Wieder. Denn Alben wie diese sind nicht einfach so da, um angehört zu werden. Alben wie diese verlangen, und schreien auch manchmal ziemlich laut, nach Interpretationen, Gedankengängen, Lösungsansätzen. Du sollst gefälligst mal zuhören! Nicht, dass du das noch verlernst, Junge! »Little Johnny From The Hospitul« ist ein Stück schwarzes Loch. Verwirrend, da es niemand so richtig versteht. Riesengroß, mit einer unheimlichen Anziehungskraft ausgestattet. Und. Die Falle. Schnappt. Zu. Weil du es auch wolltest.
Daniel Köhler

09 Prefuse 73 – Vocal Studies + Uprock Narratives (Warp, 2001)

Guillermo Scott Herren bekam die Eklektik in die Wiege gelegt – der Vater Katalane, die Mutter irisch-kubanisch, geboren in Miami mit einem Geburtsnamen fast wie der eines der wichtigsten Künstler afroamerikanischer Musikgeschichte, aufgewachsen in Atlanta, per Suzuki-­Methode das Violinespielen spielerisch forcierend nahegebracht. Als junger DJ schraubt er für Dirty-South-Rapper Beats, zieht schließlich nach New York und bleibt auf Psychedelic Funk hängen, zaubert aus Samplern, Instrumenten und Effektgeräten elektronische Musik, landet beim britischen Pionier-Label Warp und macht eine instrumentale HipHop-Platte. Knacken die Synapsen? Insert »Vocal Studies + Uprock Narratives«! Wenn es zum Prefuse-73-Debüt kurz nach der Jahrtausendwende bereits Tumblr-Blogger gegeben hätte, dann hätten die das »Post-HipHop« genannt. Sample-Zerhackungswahnsinn, ADS-Frickelei, Avant­garde-Melodien, Schizo-Scratches, Breakbeat-Fickung, Vocal-­Sample-Esperanto, Töne, Drums, Lärm – Prefuse 73 packte auf 50 Minuten alles aus. Ein kleiner Schock für Kritiker, die diesen experimentellen HipHop ernsthaft in die IDM-Schublade quetschten – Intelligent Dance Music, thefuck?! Dabei wollte Scott Herren lediglich Rap wie einst Mantronix machen. Sich aber nicht, wie so viele Pop verach­tende Wichtigtuer, gekünstelt von Klischees abwenden, sondern nur die Musik sprechen lassen. »What I didn’t want to do was record rappers rapping over a beat, I was really looking for something that was a little more classic«, hieß es auf »Back In Time«. Konkret: Drum-getriebene Mood Music mit etlichen Überraschungen. Gemacht von einem Kerl, der unter dem Alias Savath Y Savalas »Folk Songs for Trains, Trees and Honey« veröffentlichte und im Laufe seiner Karriere über 20 Alben unter mindestens neun Pseudonymen aus dem Ärmel schüttelte. 2001, als man nicht eben mal ungestraft Bon Iver ins Studio einladen, Grizzly Bear hören oder V-Necks sporten konnte, war dieser fanatische Beat-Choppismus der Inbegriff von Alternative HipHop. (Die Kollaboration von Aesop Rock und MF Doom dazu noch ein wahrgewordener Backpacker-Feuchtraum.) Prefuse 73 würde die Medaille immer noch zum Kotzen finden.
Alex Engelen

10 Pete Rock – PeteStrumentals (BBE, 2001)

Als das britische Geschmäckler-Label BBE seine »Beat Generation«-Reihe mit »Welcome To Detroit« von Jay Dee eröffnete, läutete es damit unbewusst eine neue Zeitrechnung ein. Die zweite Episode sollte ein weiterer Quantensprung werden: ein Instrumental-Album eines der legendärsten New Yorker HipHop-Produzenten aller Zeiten. Leider sind auch Ikonen wie Pete Rock nicht zwingend die mental stabilsten Zeitgenossen, so ließ er sich durch die eigene Begeisterung über »Welcome To Detroit« dazu verleiten, eine zweite Version von »PeteStrumentals« mit Rappern wie The UN, Freddie Foxxx, Nature und CL Smooth aufzunehmen. Besser hätte er es bei der ersten Fassung belassen, denn bis auf den UN-Beitrag »Cake«, eine frühe Sternstunde von Roc Marciano, konnten die Altherren-MCs der Platte nichts Visionäres hinzufügen. Stattdessen waren es die repetitiven, zurückgelehnt-stoischen Instrumentals, die progressive wie altmodische HipHop-Heads gleichermaßen beeindrucken sollten. So etwa den Wahlberliner Samon Kawamura, der laut eigener Aussage erst nach »PeteStrumentals« wusste, dass sein Herz für instrumentalen HipHop schlägt. Hier finden sich keine ausgeklügelten Kompositionen oder Arrangements, sondern im Mittelpunkt steht der endlose Loop. Pete Rock empfahl sich hiermit als Referenz-Producer und ideologischer Pate für eine neue Generation von Beatmakern, für die Rapper oder Sänger nicht mehr zwingende Elemente eines Songs, sondern nur noch eine von vielen möglichen Instrumentierungen darstellten. Dabei hatte der Vinylfetischist und -sammler für die hier versammelten Instrumentals nicht mal besonders tief in seinen Crates gegraben (James Brown, Minnie Riperton, Average White Band), andererseits verhalf er durch seine beiden Sample-Verwendungen auf »The Boss« und »What You Waiting For« der beinahe vergessenen Jazz-Harfenistin Dorothy Ashby zu spätem Ruhm in der weltweiten Digger-Szene.
Stephan Szillus

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein