»Cloud-Rap« und das mit dem Swag: Eintagsfliegen summen nicht lang

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Yung-Hurn-Nein

Schon bevor Marcus Staiger sich in der letzten JUICE-Ausgabe zu seinen Problemen mit Cloud-Rap bekannte, durchlebte ich meine eigene kleine Sinnkrise in Bezug auf dieses noch verschwommene Subgenre und seine Mechanismen – allerdings mit anderem Ausgang. Deswegen soll das hier auch keine direkte Replik sein, sondern einfach der Versuch einer Einordnung und zugleich, Spoiler-Alarm, eine Verteidigung: HipHop braucht das.

Kurzer Rückblick: vorbehaltloser Fan von Money Boy, dem Torch des Swag-Rap, war ich zwar nie, habe ihn aber in den letzten Jahren oft vehement verteidigt – der Vielfalt und der Unterhaltung zuliebe, und weil sich in seinem musikalischen Fahrwasser eine ganz neue Szene entwickelte. Dazu zählt irgendwie auch Crack Ignaz, den ich für sein Debütalbum dieses Jahr voller Überzeugung zum »König des Sommers« ernannte (siehe JUICE #169). Jedem, der halbwegs zuhörte, erzählte ich, mit »Kirsch« sei das Thema »Swag-Based-was-auch-immer-Rap« auf künstlerischer Ebene durchgespielt. Als dann im September das »Grape Tape« von LGoony erschien, war ich davon vollkommen genervt. LGoony, neben Ignaz der mit Abstand talentierteste deutschsprachige Protagonist dieser Musik, kostete mich ein paar Tage meines Lebens mit seinen neuen Geschichten über in den Sky gestacktes Money, goldene Uzis und dergleichen. Ich wollte mich aus der Redundanzhölle dieser winzigen Themenwelt verabschieden, gerade weil die wenigen Charakterbrüche auf dem »Grape Tape« so deutlich zeigten, wie schlau und reflektiert dieser Dude ist, welche Reserven er hat. Es kam anders. Wenig später konnte ich jede Hook mitsingen, hatte meine Lieblings­punchlines drauf und war komplett an Bord. Goony ist immer noch wahnsinnig unterhaltsam, und er hat – bitte mal »Mondlicht« hören – sicherlich einen weiteren Horizont als der durchschnittliche Real-Rap-Verfechter.

Was ist jetzt also mit Real Rap? Wir müssen uns von der überheblichen Vorstellung verabschieden, dass alles, was den derzeitigen Rap-Status-Quo missachtet und unterwandert, nur eine Blase sei. Dabei hilft die Erinnerung an ähnliche Phänomene, die immer erst mal wie kackdreiste Regelmissachtung wirkten. Die grenzbanale Sorglosigkeit eines Cro, die brachiale Konsequenz, mit der Aggro Berlin auf der Bildfläche auftauchte, oder die noch recht respektvolle, aber bestimmte Art, mit der die »Klasse von 95« Deutschraps Emanzipation vom Regelheft der Alten Schule einforderte – nur drei Beispiele aus den letzten zwanzig Jahren, die als Beleg dafür taugen, dass das Neue im Rap nachhaltige Veränderung schaffen kann, ohne liebgewonnene Tradition ungeschehen zu machen. So wie Royal Bunker den Rap aus Stuttgart und Hamburg nicht wirklich zerstört hat, ist auch Cloud-Rap nicht das Ende von, tja, woran auch immer man sich heute festhält.

Über Geld und Luxusautos zu rappen, muss nicht unbedingt eine inhaltliche Einschränkung sein. Es ist auch eine Befreiung. Über Geld sprach man im mittelständisch geprägten Deutschrap lange nicht, weil man sich selbst nicht das Recht zusprach. Protzen, das taten lange nur die respektlosen Schmuddelkinder der Szene. Dabei war das plakative Abfeiern von Materialismus als Stilmittel auch bei amerikanischen Vorbildern schon früh ein beliebtes Thema, das gar nicht so ernstgenommen werden musste. Wenn Special Ed also 1989 von seinen zwanzig Autos, 74 Motorrollern (!) und der eigenen Insel berichten konnte, wieso sollte der junge Goony heute keine Fünf-Euro-Scheine in der Papiertonne entsorgen und Bugattis in allen Farben sammeln dürfen?

Rap ist die vielseitigste Ausdrucksform unserer Zeit, und gerade Battlerap ist ein thematischer Allesfresser. Es ist völlig egal, ob es sich dabei um Rap im engeren Sinne, sinnbildlich um die Größe des Gemächts dreht oder es eben um Stacks, Autos oder irgendein glänzendes Edelmetall geht – das Thema ist nur ein Werkzeug. Und jedes Thema ist nur so blöd und langweilig, wie man es umsetzt. Durchschnitt und Ausschuss gibt es in jedem Subgenre jeder Ära. Aber auch 15 Jahre nach M.O.R. finden Rapper noch kreative Wege, die eigene Überlegenheit zu formulieren.

Es ist nachvollziehbar, dass so etwas Steiles wie deutscher Swag-Rap erst mal als Novelty-Ding einsortiert wird. Dipset auf Deutsch ging ja auch nicht lange gut. Aber »Dreh den Swag auf« als Urknall des hiesigen Swag-Rap ist halt trotzdem schon fünf Jahre alt – Eintagsfliegen summen nicht so lang. Rap hat, das zeigt die Geschichte, eine erstaunlich gute Selbstreinigungskraft. Auch »Ice Ice Baby« oder »Die da!?!« wirkten mal wie das Ende der Kultur. Ignorante Druffis entsorgen sich nach ihrem Zenit irgendwann ganz automatisch, miese Liveshows und fragwürdige Social Skills kann man nicht ewig als Swag verkaufen, und auch die meisten Yolo-Jugendlichen und hippen Partyveranstalter werden irgendwann eine neue, noch verrücktere Sau durchs digitale Dorf treiben wollen. Am Ende bleibt übrig, wer kreativ ist und sich Mühe gibt. Keinen Fick geben zu wollen, befreit einen nicht davon, dope sein zu müssen, um dauerhaften Eindruck zu hinterlassen. LGoony, Crack Ignaz oder Yung Hurn haben das als Vertreter ihrer Generation offenbar verstanden.

Rap hat immer wieder davon profitiert, sich zu öffnen und sich lockerzumachen. Es ist Unsinn, Rap zu irgendeinem Zeitpunkt als ausgewachsen zu betrachten. Er braucht neben all der Ernsthaftigkeit unbedingt Bewegung und Freiheit, um nicht stehenzubleiben – und das geht nicht, ohne ein paar alte Regeln zu brechen. Keine Angst, niemand will nur noch »König der Alpen« oder »Opernsänger« hören. Aber es kann auch niemand ernsthaft wollen, dass nur auf Parkplätzen gecyphert wird.

Text: Ralf Theil

Dieser Text ist erschienen als Teil unseres Jahresrückblicks 2015 in JUICE #172. (Back Issues hier versandkostenfrei nachbestellen)Cover_172_RZ.indd

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