Battle of the Ear: Stormzy – Gang Signs & Prayer // Review

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(#Merky Records / Rykodisc / Warner Music)

PRO

Wertung: Fünf Kronen

Michael Omari plagen Schuldgefühle. Seien es die Sorgen, die er seiner Mum in der Adoleszenz bereitete, die Depression, die der Anfangzwanziger in den Straßen von Croydon nicht zur Sprache brachte oder der Kummer ums potenziell gespaltene Debüt-Feedback – Stormzy schreitet Weihrauch-schwenkend ins Game. »Gang Signs & Prayer« macht den Titel zum Programm, kontert Grime mit Gospel und ist durchzogen von Geständnissen. Vierzehn Jahre nachdem Dizzee Playstation-Loops auf dem Indie-Riesen XL platzierte, hat Grime mehrfach die Frequenz gewechselt und das Piratenradio für lukrative Geschäfte hinter sich gelassen. Umso inniger begrüßten Fans, was Skepta 2014 mit »That’s Not Me« lostrat und zuletzt auch millionenschwere Protagonisten wie Wiley und Giggs zelebrierten: die Rückkehr zu Simplizität und Aggressivität. Nur Stormzy macht keine falschen Hoffnungen. Mit Produzent Fraser T Smith hat der Südlondoner eine Allzweckwaffe an der Seite, die bereits Verbrechen von Adele bis Sam Smith zu verantworten hat. In der Welt von Fraser spielt nicht einmal Fruity Loops noch eine Rolle. Dass diese Kollabo zu einem so stimmigen Album wie »GSAP« führt, ist die Überraschung schlechthin. Anfangen tut alles, wie erwartet: »First Things First« ist der angriffslustige Opener, im Weiteren werden »Netflix Bad Boys« enttarnt und in Eskiboy-Tradition Minusgrade beschworen. Dann die Finte: Auf kitschige Rhodes-Chords holt der Nicht-mehr-nur-Rapper zum Gesangsgebet aus und schnipst Finger mit Nao und Kehlani, bevor die nächste ignorante Line auf UK-Plastik-Strei­chern landet. Das überlebensgroße Adidas-­Maskottchen will sich einfach nicht kleiner machen als es ist – und macht auf ruhigem Geplätscher eine so lässige Figur, dass man sich im Tracksuit auf dem Sofa wähnt. Keine Grime-Persona hat je mit solcher Souveränität Stormzys musikalischen Bogen geschlagen – erst recht keine, die vor zwei Jahren noch mit einem Freestyle aus dem Park in die Charts kletterte.

Text: Wenzel Burmeier

CONTRA

Wertung: Drei Kronen

Schon der Albumtitel ist ein Wink mit dem Zaunpfahl: Den Status des Genre-Prinzen zum Trotz, will Stormzys Debüt kein reines Grime-Album sein. Anstatt nur die Finger zu krümmen, um die Loyalität zur eigenen Bande zu untermauern, werden die Hände andächtig zum tiefsinnigen Zwiegespräch mit dem Allmächtigen gefaltet. Die Faustregel »harte Schale, weicher Kern« gilt somit auch im Falle des 23-jährigen Michael Omari aus Thornton Heath – und sie manifestiert sich auf »Gang Signs & Prayer« in regelmäßigen Abständen. Aber: Kennen und lieben gelernt haben wir diesen Typen, weil er die Top Ten der UK-Singlecharts mit einem Freestyle im Drei-Streifen-Jogger knacken konnte. Trotz »Fire In The Park« nimmt man dem selbsternannten »big man with a beard« auch die Messdiener-Attitüde zeitweise ab. Herzerweichend, wie er in »Blinded By Your Grace, Pt. I« seine stark limitierten Sangeskünste präsentiert. Von der Heimorgel begleitet referiert er über seine Dankbarkeit und Hingebung zum Heiland, nur, um zwei Minuten später auf »Big For Your Boots« wieder metaphorische Wasteman-Leichen in den Kofferraum zu stopfen. Es sind die typischen Widersprüche, die sich im Schaffen jedes großen MCs finden. Auf Dauer jedoch beißt sich das Wechselspiel aus »Coloring Book« und »Konnichiwa«, weil die Berührungspunkte fehlen. Wirklich schwierig wird es, wenn Kehlani auf »Cigarettes & Cush« zu säuseln anfängt, das vor Schmalz triefende »Velvet« eingeschoben wird oder die Mutti-Hymne »100 Bags« vor sich hindudelt. Derart zweitklassige Frauenquoten-Kompromisse wirken auf dem häufig verschobenen Erstling deplatziert. Was »GSAP« doch nicht zum GAU macht: Ein starkes Intro und ein mit »Lay Me Bare« noch stärkeres Outro, in dem Stormzy enttäuscht und wütend seinen Vater anklagt und offen über seine Depression rappt. Dass er der beste Rapper seiner Generation im Vereinigten Königreich ist, wissen wir seit der »WickedSkengMan«-Reihe und den starken Vorab-Singles, von denen nur »Boots« und »Shut Up« übrig geblieben sind. Am Ende wird so aus dem Zaunpfahl eine Messlatte, die sich Stormzy selbst zu hoch gelegt hat.

Text: Jakob Paur

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