Chance The Rapper – Coloring Book // Review

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chance the rapper coloring book

(self published)

»Someday Chicago will be free«, sagt Chance The Rapper kurz vor Ende seines imposanten »Coloring Book« optimistisch. Vorher sprudelten die warmen Farben, zwischendrin vernebelte ein mattes Grün die Sicht. Nur nach Dunkelheit suchte man vergebens. Frei sein, da ist sich Chance sicher, werden er und seine Freunde mithilfe von Gott. Während viele im dahinsiechenden Chiraq im Glauben an die Macht der Waffe zugrunde gehen, folgt Chance dem Glauben an die Musik, die Religion und seine neugeborene Tochter. Auch deswegen ist »Coloring Book« mehr Gospel- als Rap-Album geworden. Eines, das überflutet wird von mehrstimmigen Gesängen starker Stimmen im Delirium – allen voran die von Chance selbst. Es hätte schiefgehen können, das Projekt des musikalischen Malbuches, wäre es zur Neuzeit-Bibel verkommen oder zu missionarisch geworden. Doch stattdessen verpackt er seine Ansichten subtil für alle Interessierten, rückt einem aber selten auf die Pelle. Lieber gönnt er sich Pausen, lässt von Kanye über Justin Bieber bis Lil Wayne den Krösus-Freundeskreis fragmentarisch zu Wort kommen, sie manchmal auch nur Bridges einsingen, und verschwindet dann gänzlich hinter offensiven Chören. Das Buch ist ein groß gedachtes Mixtape mit Fanfaren, Kopfhoch-Floskeln und viel Pathos, den sich Chance erlauben kann. Durch Drums, die nach Beginn des Gottesdienstes noch immer zwischen den Bankreihen herumtrampeln, wird das Konservative ohnehin aufgebrochen. Lahm wird es nie, nur manchmal überfordernd – denn das Album ist so beladen mit Eindrücken, dass es unter dem Gewicht der Instrumente, Stimmen und Themen zusammenzubrechen droht. Doch dann kommen plötzlich die krächzenden Weirdos Lil Yachty und Young Thug auf dem Motorboot angerast und erzählen einem von ihrer Affinität zu Mixtapes. Oder Chance trifft sich zur »Smokebreak« mit Future und bringt die Leichtigkeit zurück, die bei all der choralen Kirchenatmosphäre nicht verloren gehen soll. Am Ende kippt die Stimmung nicht, Chance bringt das Buch mit einem mantrahaften Epilog zum würdigen Ende: »I don’t make Songs for free, I make songs for freedom«, sagt er auf »Blessings«. Inhaltlich und musikalisch hat Chance mit dieser Einstellung plötzlich das konsequentere Gospel-Update als sein Ziehvater Kanye geliefert. Ob er damit unfreiwillig an dessen Gottesstatus kratzt? Frei nach dem zweiten Gebot: Du sollst den Namen des Herrn nicht missbrauchen. Oh Lord!

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