Es gibt sie zuhauf, die Straßenrapper, deren künstlerisches Schaffen so dünn ist, dass man sie irgendwann zwischen erstem Mixtape und Debütalbum durchschaut hat. Heruntergebrochen bedeutet das: griffiges Image, humorvolle Videoblogs, Pausenhof-Gefronte in den Sozialen Medien, stets gefolgt von der Aufforderung: »Hol dir meine Box, Bruda!«. Zum Geschwister im Geiste wird man nur dann ernannt, wenn man die 30, 40 oder gar 50 Euronen für die Deluxe-Edition brav per Lastschrift einziehen lässt. »Bestellt vor, wo ihr nur könnt! Ajaiai!«, hieß es auch bei Olexesh, als dieser kurz vor Heiligabend, nur knapp neun Monate nach Veröffentlichung seines Debüts, den Vorverkauf für »Masta« einleitete. Jedoch sucht man beim Darmstädter vergebens nach Promobeef und Rumgehampel in Handycam-Blogs. Seit man Olexij Kosarev zum ersten Mal auf dem Gepäckträger eines rostigen Damenrads durch seinen Heimatbezirk Kranichstein rollen sah, überzeugte er weder durch komödiantisches Talent noch Streitsucht. Gründe, Olexesh zu feiern, gab es de facto einen einzigen: sein Können am Mic. Und an dem hat er nach »Nu Eta Da« weiter gefeilt. Die rohe Energie, die die Tracks auf »Authentic Athletic« und »Nu Eta Da« trug, ist auf »Masta« präsent wie eh und je. Neu hingegen ist eine Mischung aus Schnelligkeit und Präzision, mit der hierzulande fast nur Savas mithalten kann. Kaum verwunderlich also, dass Deutschraps Ivan Drago den knapp acht Jahre älteren Sparringspartner Sido auf »Schwitze im Bugatti« nicht nur sprichwörtlich alt aussehen lässt. Bis auf die üblichen Azzlackz gibt sich dementsprechend niemand gegenüber dem Rasiermesserflow des gebürtigen Ukrainers die Blöße. Klassisches Storytelling sucht man indes weiterhin vergebens. Stattdessen wird in der Kneipe Pfützenwasser bestellt, auf dem Weg zum Club begegnet man »hackedichten ‚Resident Evil‘-Sluts« (»8 Spuren«), in der Spielo verzockt man mit zittrigen Händen und geweiteten Pupillen das Kindergeld am Novoliner (»Avtomat«), ehe wenige Minuten später im Knasthof Schamhaare und Fußnägel ins Paper gerollt werden (»So läuft das bei uns«). Man muss diese kurzen, immer wieder abreißenden Erzählstränge nicht nachvollziehen können, um davon vollends fasziniert zu sein. Sein rohes Talent dürfte jedenfalls Sorge tragen, dass man Olexesh auch auf absehbare Zeit nicht durchschaut.
Vorheriger ArtikelTink – Ratchet Commandments // Video
Nächster ArtikelFashawn – The Ecology // Review
grim104 – Imperium // Review
»Imperium« ist eine große Reflektion über Veränderung und Vergänglichkeit aus der Perspektive einer Person, die sich selbst kaum kennt.
Kendrick Lamar – Mr. Morale & The Big Steppers // Review
Kein Erlöser, sondern nur ein fehlerbehafteter Mensch. Kendrick Lamar hat sein letztes Album bei TDE veröffentlicht.
Haiyti – Mieses Leben // Review
Haiyti dropt ihr Album »Mieses Leben« als Überraschung und stellt den Rest der Szene mit ihrem Output in den Schatten.
Disarstar – Deutscher Oktober // Review
Disarstar spricht auf »Deutscher Oktober« ohne sichtbaren Hang zur Selbstverstellung. Politischer Deutschrap war selten so ehrlich und gut.