Rap ist Competition, so lautet eine immer wieder mal zitierte HipHop-Weisheit. In der Regel wird diese Sentenz immer dann herangezogen, wenn man einem Außenstehenden das Konzept »Battle« erklären muss, weil der sich wundert, warum Rapper denn oft so fies zueinander sind. Besagte Competition findet jedoch nicht nur auf die Konkurrenz bezogen statt, sondern hat durchaus auch eine intrinsische Komponente: Die künstlerischen Fähigkeiten, der innere Schweinehund, die eigene Motivation – auch hier gilt es, sich durchzusetzen, die richtige Balance zwischen Geduld und Ehrgeiz zu finden, immer weiter an sich zu arbeiten. Unterhält man sich mit Olexesh, spürt man ganz deutlich, dass er diesen sportlichen Ansatz komplett verinnerlicht hat: Er will es wissen. Und sein Debütalbum »Nu Eta Da« soll ihm nun den Weg nach oben freimachen. »›Nu Eta Da‹ bedeutet so viel wie ›Das ist es‹, ›That’s it‹. Ich bleibe authentisch, habe aber viel an der meiner Technik gearbeitet, damit ich auch ein paar Klassen weiter oben mitspielen kann«, bestätigt er seine Ambition.
Dabei ist Olexesh nicht einfach ein weiterer Straßenrapper mit den üblichen Themen, dessen einzige innovative Facette die ukrainische Herkunft und ein entsprechend beeinflusstes Rap-Vokabular darstellt. Hört man mal genauer hin, wird einem nämlich auffallen, dass der hektisch gestikulierende junge Mann mit den rasierten Seiten in entscheidenden Punkten anders vorgeht als seine Kollegen. Während andere damit prahlen, wie viel Geld, Autos und Boss-Status sie sich mit nicht näher genannten Straßensachen erwirtschaftet haben, rappt Olexesh lieber darüber, dass er eben all das nicht hat – und wie scheiße es nun mal ist, keine Kohle zu haben. Geht es in seinen Texten um das gute Leben, findet dies vor allem in Konjunktiv und Futur statt. Die finanzielle Sorglosigkeit und der entsprechende soziale Status sind bei Olexesh quasi Traumsequenzen, unsichere Verheißungen einer besseren Zukunft, Absichtserklärungen, es eines Tages zu schaffen. Und da er gleichzeitig mit einer mal bitteren, mal lustigen Detailgenauigkeit einen Lebensstil beschreibt, den jeder sozial benachteiligte junge Mann komplett nachvollziehen kann, bietet er ein Identifikationspotenzial, das viele seiner Kollegen trotz aller Echtheitsbeteuerungen nicht aufbauen können. Welcher Rapper lässt sich schon kostengünstig auf der Hinterachse eines BMX statt in einem BMW durch sein Video kutschieren? Welcher Rapper erzählt schon davon, dass er mit Haareschneiden sein Kippengeld verdient hat? Eben. Realer geht’s eigentlich nicht. »Ich rappe einfach über nur über Dinge, die ich erlebt oder die ich im Kopf habe. Das ist vielleicht wirklich ein Unterschied zu anderen Rappern«, erklärt er. »Was kriminelle Geschichten angeht, war ich zwar immer mittendrin, aber ich hab selber eben nie eine Tonne Ot auf Kombi geholt oder so. Ich hab vieles gesehen, ich hab gesehen, wie die Leute abgehen. Aber ich beschäftige damit lieber in Texten.«
Und dennoch ist es beileibe nicht so, als würde Olexesh das alles glorifizieren. Das sind schlicht und ergreifend die wenig schillernden Voraussetzungen, aus denen er sich nun eine Karriere bastelt – und vergleicht man seine diesbezüglichen Hoffnungen und Anstrengungen mit dem, was er bisher gerissen hat, möchte man seinen Optimismus sofort teilen. Ein Deal bei 385ideal, dem Imprint seiner Kollegen Celo & Abdi, ein Mixtape namens »Authentic Athletic«, ein bemerkenswerter Part auf dem Remix von Haftbefehls »Chabos wissen wer der Babo ist« und eine Reihe ungeschminkter Hood-Videos – und Olexesh war allen Rap-Fans von Straße bis Uni ein Begriff. Die Motivation, die er daraus zieht, hört man im Interview in jedem Satz. Olexesh spricht schnell, er will sein Gegenüber unbedingt davon überzeugen, dass er es ernst meint, dass er hart arbeitet und trotz seines gelungenen Einstands im Game noch lange nicht am Ziel ist. Die Sätze sprudeln nur so aus ihm heraus. »Ich will mich verbessern, ich arbeite viel an Texten und an Flows, ich probiere immer neue Sachen aus, ich will nicht stehenbleiben. Meine Musik muss einfach immer besser werden. Sound, Texte – alles muss stimmen.« Auch dieser sympathische Energieüberfluss sorgte dafür, dass Olexesh weit über das einschlägige Straßenrap-Publikum Fans gefunden hat. Im Gegensatz zu manch anderem seiner Zunft hat er auch keinerlei Probleme in puncto sozialer Kompetenz, im Interview am Telefon gibt er sich ausgesucht höflich, entschuldigt sich artig, weil er nebenher eine Bestellung beim asiatischen Imbiss aufgibt und hat trotz entsprechender Steilvorlagen kein einziges schlechtes Wort für seine Kollegen übrig. Lieber freut er sich darüber, dass er mit 385 so ein gutes Team gefunden hat. »Ich bin auf jeden Fall ein gleichberechtigter Teil der Mannschaft. Und dadurch konnte ich auch sehr wertvolle Erfahrungen sammeln.«
»Nu Eta Da« soll nun all die harte Arbeit in Erfolg ummünzen, und natürlich ist Olexesh ausgesprochen optimistisch. »›Nu Eta Da‹ geht Platin«, tönt er in seiner trotz aller Kifferatmosphäre immer noch erstaunlich energischen Single »Purple Haze«. Und auch wenn Platin hierzulande nicht unbedingt zu den realistischen Aussichten für Straßenrap-Newcomer zählt: Die Attitüde stimmt. Und die Musik auch. Denn im Gegensatz zum Mixtape, das vor allem klassische US-Instrumentals als Grundlage hatte, bestand ein nicht unwesentlicher Teil der Arbeit an »Nu Eta Da« darin, die richtige musikalische Melange für die thematisch vielseitige Platte zu finden. »Diesmal hab ich nicht nur Oldschool-Beats dabei. Da sind auch modernere Sachen drauf, aber eben auch Funk – ich wollte eine breite Palette abdecken und dafür sorgen, dass jeder etwas Cooles auf dem Album findet. Aber vor allem hab ich an meinen Flows gearbeitet: Mal rappe ich schnell, mal ganz entspannt, da ist wirklich alles mit drin.« Wer nun jedoch eine bunte Palette von wilden Experimenten befürchtet, der sei beruhigt. Den roten Faden bildet nach wie vor Olexesh himself. Inklusive »Bratan«-Vokabular, absurden Sprüchen, bitter treffenden Beschreibungen der Hochhausrealität, ehrlichen Emotionen und seinem ureigenen, energischen Optimismus. Die Competition kann kommen. Nu eta da.
Foto: Christoph Spranger
Dieser Artikel ist erschienen in JUICE #157 (hier versandkostenfrei nachbestellen).