Wer hat’z erfunden? Die Geschichte von Schweizer Rap // Feature

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In den Nullerjahren standen die HipHop-Welten aus Deutschland und der Schweiz in regem Kontakt. »Die Backspin hatte einen eigenen Redaktor für die Schweiz, widmete der Szene hierzulande in jeder Ausgabe zwei bis drei Seiten«, erinnert sich Baldy Minder. »Die Chlyklass durfte zudem einige Male beim splash! spielen.« Da das Openair Frauenfeld sich noch nicht auf Urban Music spezialisiert hatte, pilgerten damals noch viele Schweizer Rapfans nach Chemnitz und Gräfenhainichen.

Auch unter den Künstlern gab es immer wieder aufsehenerregende
Kooperationen, darunter etwa das Kollabo-Album von Greis und Curse sowie das Bligg-Feature von Kool Savas. Der King of Rap verfolgte gar das Projekt, einen Schweizer Zweig von Optik Records aufzubauen. Dabei bewies er ein gutes Gespür: Künstler wie Dezmond Dez und Griot, die sich um Savas formierten, gehörten zu prägenden Vertretern der Schweizer Rapszene – auch wenn das Projekt Optik Schweiz nach dem Release des Mixtapes »Wer hatz erfunden?« 2006 im Sande verlief. Savas‘ DJ Sir Jai ist bis heute noch als Produzent für Dezmond Dez und Manillio tätig.

2007 – 2014: Von der Skyline zum Bordstein

War Rap in der Schweiz Mitte der Nullerjahre noch auf dem besten Weg zum führenden Musikgenre, so sah die Lage nach 2007 deutlich anders aus: Das goldene Zeitalter war zu Ende. Was viele befürchtet hatten, trat ein: Stress und Bligg suchten mit ihrer Musik neue Wege. Während Stress einen ähnliche Move machte wie Eminem oder Sido in Deutschland und vermehrt mit Singer/Songwritern und anderen Mainstream-Posterboys zusammenarbeitete, trieb Bligg den Flirt mit den Schweizer Radiosendern auf die Spitze. Sein neuer Sound war eine Mischung aus Rap, Kuhglocken, Alphörnern und »Handörgeli« – eine bis dahin unbekannte und an Kuriosität schwer zu überbietende Symbiose aus Volksmusik und Rap. Unnötig zu erwähnen, dass seine alten Fans sich nicht damit identifizieren konnten. Sein neues Publikum bestand aus Teenagern, Grundschullehrern und Großmüttern. Airplay, TV-Auftritte und gute Verkäufe sicherten ihm eine sorgenfreie Existenz als Künstler. Was bleibt, ist sein Vermächtnis, seine bahnbrechenden Tracks, die dem Game ihren Stempel aufgedrückt haben.

So weit, so normal. Auch in anderen Ländern suchen erfolgreiche Rapper häufig ihr Glück in der Popmusik. Hobbyphilosophen nennen das wohl den »Lauf der Dinge«. Durch den Tod der alten Helden entsteht dann schnell ein Vakuum, ein neuer Spielraum für die nächste Generation. Das Problem: Diese neue Generation wollte in der Schweiz partout nicht ins Game steppen. Bernd Blankenburg ärgerte sich: »Nach Bligg und Stress kam für eine lange Zeit niemand mehr nach, der mit einem ähnlichen Hunger Musik gemacht hat – und den es sich bei Universal zu signen gelohnt hätte. Das war frustrierend.«

Auch die alten Galionsfiguren der Szene verloren den Schneid der Erfolgsjahre. So etwa Baldy und die Chlyklass: »Wir waren gesättigt von den ersten Erfolgen. Es erschienen weiterhin Tonträger, aber darunter befanden sich keine Meilensteine.« Wurzel 5 drehte eine »Letschti Rundi« und löste sich danach auf, andere Chlyklass-Rapper wie Greis und Baze traten lediglich kürzer. Viele einstige Studentenrapper fanden sich im Berufsleben wieder, kümmerten sich um Haus, Hund und Kind. Da es bis heute ein ungemein schwieriges Unterfangen ist, als Schweizer Rapper von der Musik zu leben, entschieden sich die meisten irgendwann für stabile Jobs.

So verlor Schweizer Rap den Bezug zur Jugend: Die Kids in den Schweizer Großstädten konnten sich nicht mit Bauern- und Studentenrap identifizieren. Es fehlten Identifikationsfiguren und Sprachrohre. Auch mit den unterschiedlichen Dialekten, mit der Mundart, hatten viele Rapfans so ihre Mühe. Schweizer Rap galt als peinlich, Songs aus Deutschland und den USA hatten einen höheren Stellenwert. Bands und Künstler wie die Crew Eldorado FM, die die Berner Jugend mit witzigem und intelligentem Sound für Rap begeisterte und politisierte, gab es nur wenige. Bernd Blankenburg sieht den Kern des Problems in der Mutlosigkeit der Künstler: »Ich sah damals ein Mentalitätsproblem: Niemand hatte den Mut, groß zu denken. Alle wollten bloß ihre CDs in den Laden bringen, in ihrer Stadt bekannt werden, hatten aber keine größeren Ambitionen, keine Visionen.«

Eine Ausnahme war der Berner Rapper Tommy Vercetti, der auf seinem Debütalbum »Seiltänzer« auf die großen philosophischen Fragen einging und seinen Hörern die Welt erklärte. Für viele gilt Tommys Debütalbum in Bezug auf Lyrik und Inhalt als das beste Schweizer Rap-Release aller Zeiten. Ihm wie auch den Rappern der Chlyklass fehlte jedoch der Wille, für den kommerziellen Erfolg Kompromisse einzugehen: »Wir hatten große Visionen, wollten aber anders als die Major-Künstler immer unsere Authentizität bewahren und keinen Sellout betreiben«, hält Baldy Minder mit Nachdruck fest.

Erste Erfolge feierte indessen der Gangstarap nach 2010. Rapper aus den Vorstädten, Jungs mit Migrationshintergrund wie Milli54 oder Baba Uslender bekamen via Youtube viel Aufmerksamkeit. Die Formate »Din 16er TV« und »Heb de Latz TV« waren von Aggro TV inspiriert und boten diesen Rappern Plattformen. Diese ersten Erfolge demonstrierten gleichzeitig aber auch, wie sehr die Schweizer Szene dem Ausland hinterherhinkte: Hatten N.W.A Gangstarap bereits Ende der Achtziger in den Staaten großgemacht und Aggro Berlin in Deutschland bereits Mitte der Nullerjahre beachtliche Erfolge gefeiert, wurden Pioniere des Genres in der Schweiz lange missverstanden und belächelt – etwa der Basler Rapper Griot, dessen 2006 erschienenes Album »Strossegold« (Universal) heute als Genre-Klassiker gilt.

Dieselben Probleme hatten Rapper, die Experimente wagten. Viele Künstler befanden sich gegen Ende der Dekade in einer Selbstfindungsphase. Der Chlyklass-Rapper Greis flowte über Dubstep-Beats, die Boys On Pills bauten verschachtelte Rap-Elektro-Songs, das Berner Duo Lo & Leduc arbeitete Reggaeton und karibischen Sound in seine Rap-Instrumentals ein und der Solothurner Rapper Manillio brachte mit »Jede Tag Superstar« ein Newschool-Album avant la lettre heraus. Sie legten damit den Grundstein für spätere Erfolge, kamen mit ihren Innovationen aber leider zu früh. Das, wofür man sie damals belächelte, ist heute im Hype.

Aber: Der Zerfall der Schweizer Rapszene war kein beispielloser Prozess. Auch in Deutschland und den USA gab es Anzeichen einer drohenden Stagnation. Rap befand sich international in einer Phase der Orientierungslosigkeit, doch in den Soundküchen im Dirty South brodelte bereits die zukunftsträchtige Hit-Mixtur.

2014 – 2017: der Wendepunkt

Luzern, ein malerisches Städtchen im Herzen der Schweiz, ein Magnet für japanische und chinesische Touristen, ist nicht gerade für seine besonders aktive Kulturszene bekannt. Doch genau dort, in dieser Postkartenidylle, versetzte ein junger, hungriger MC dem leidenden Patienten einen Stromstoß und rüttelte das ganze Rap-Game auf. Mit seinem Mixtape »Jong & hässig« setzte Mimiks bereits 2012 erste Impulse, mit seinem Debütalbum lieferte er zwei Jahre später gar den Gamechanger: »VodkaZombieRambogang« war ein Quantensprung für die Schweizer Rapszene, ein Album von monolithischem Format. Der Hispano-Schweizer packte eine geballte Mischung aus nihilistischen Partystorys, tiefsitzendem Weltschmerz und existenzieller Generation-Y-Orientierungslosigkeit auf brachiale, treibende Rick-Ross-MGK-Beats. Er brach mit alten Dogmen, überzeugte mit seiner hervorragenden Technik aber auch die eingefleischtesten Oldschooler.

Elia Binelli, Chefredaktor des HipHop-Magazins LYRICS, verfolgte diese Umbrüche mit großem Interesse. Eine neue Ära im Schweizer Rap weckte auch neue Träume in der Medienlandschaft. »Ich bin da so reingerutscht. 2014 hätte ich nie gedacht, dass es uns 2018 immer noch gibt. Retrospektiv betrachtet haben wir zum genau richtigen Zeitpunkt mit dem Magazin angefangen.« Was Binelli mit dem Grafiker Severin Gamper und dem Medienexperten Emanuel Ernst auf die Beine stellte, ist mittlerweile zum größten Schweizer Rap-Medium herangewachsen. Ein viermal pro Jahr erscheinendes Printmagazin, eine Website mit autonomer Redaktion, ein Youtube-Kanal und ein alljährlich stattfindendes Clubfestival mit nationalen Acts bieten Schweizer Rap eine Plattform. Das erste Cover des neugegründeten Magazins porträtierte denn auch den ersten Helden der Generation»Mimiks hat eine neue Freshness ins Game gebracht.« Das Movement erhielt seine benötigte Bluttransfusion und erstarkte neu.

Baldy Minder beobachtete auch international eine Veränderung: »In die frühen Zehnerjahre fällt auch der Trap-Hype in den Staaten. Rap hat sich in dieser Zeit neu erfunden, es gab ein neues Movement.« Baggypants wurden durch Fischerhüte ersetzt, Breakdance-Einlagen durch Moshpits, Marihuana durch Hustensaft und Doubletime-Massaker durch Autotune-Exzesse. Durch die neuen Einflüsse aus den Südstaaten veränderte sich Rap als Kultur weltweit. Die Jugend übernahm das Zepter – auch in D und der Schweiz.

In der Anfangszeit war Mimiks das Nonplusultra. Der Luzerner MC polarisierte, weil viele Kleindenker mit seinem selbstbewussten Auftreten nicht klarkamen. Elia Binelli erinnert sich: »Wenn man sich damals mit jemandem über Schweizer Rap unterhalten hat, ist man über lang oder kurz immer auf Mimiks zu sprechen gekommen. Er war der Maßstab. Nach und nach kamen aber auch neue MCs dazu. Seitdem hat Schweizer Rap einen riesigen Sprung nach vorne gemacht.« Die Erfolge von Mimiks etablierten ein neues Level der Competition. Neue Rapper zogen nach und übertrumpften den ersten King of Newschool sogar.

3 Kommentare

  1. Hey liebes Juice Team,

    wie konntet Ihr denn Gimma bei der Geschichte des Schwiizer Rap vergessen?
    Für mich defintitv ein wichtiger Bestandteil.

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