Wer hat’z erfunden? Die Geschichte von Schweizer Rap // Feature

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»Cash rules everything around me« – nirgendwo werden die toten Präsidenten effektiver gechaset als in der Bankenrepublik Schweiz. Beste Voraussetzungen für Gangsterrap und Moneytalk? Fehlanzeige. Der stereotype Schweizer Bürger zeichnet sich durch Höflichkeit, Understatement und Diskretion aus. Der beschauliche Alltag bietet wenig Stoff, um die großen Geschichten zu schreiben. Dennoch hat HipHop auf Schweizerdeutsch eine lange Tradition, die bis in die Neunzigerjahre zurückreicht. Der stilprägende Sound der Stunde kam jedoch nie aus der kleinen Alpenrepublik. Die in sich geschlossene Szene fris­tete auf dem internationalen Parkett lange ein Schattendasein. 2018 könnte sich das ändern. CH-Rap ist on point wie noch nie zuvor und trumpft mit mehreren Ausnahmekünstlern auf. Ein Ausflug in die Geschichtsbücher und ein Blick in die Kristallkugel.

Prinz Pi ist zu Besuch. Die Tour zu »Im Wes­ten nix Neues« bringt den Deutschrap-Poeten auch in die Schweiz, wo er seit langem eine treue Fangemeinde hat. Im Backstage des Zürcher Clubs Volkshaus entspannt er sich vor der Show und empfängt Pressevertreter für Interviews. Alles wie gewohnt. Doch Pi erlebt an diesem Abend eine Begegnung der besonderen Art. Ihm wird ein Musikvideo von zwei Rappern gezeigt, das ihn zum Staunen bringt: »Ohne Scheiß: Wenn die beiden auf Englisch rappen würden, wäre das in Amerika ein Hit!« Prinz Pi kennt man als äußerst anspruchsvollen ­Musikkritiker. Ab und an bricht er gar einen Streit vom Zaun, weil er die Songs, die ihm vorgespielt werden, schonungslos ehrlich bewertet. Solche Lobeshymnen hört man von ihm entsprechend selten. Die Künstler? Eine Berner Rap-Crew namens S.O.S.

Auch Kool Savas bringt seine Tournee nach »Zürich, Basel, Bern und Biel«, wie er im Track »Rhythmus meines Lebens« rappt. Bevor er weiterfährt ins entfernte Kiel, wird auch ihm ein Song vorgespielt. Der King of Rap ist Feuer und Flamme: »Stopp! Wow, das finde ich sehr, sehr gut. Super Technik! Er rappt auf einem Ami-Level, so wie ich es seit Jahren zu praktizieren versuche. Es ist nicht bloß cool für deutsche Verhältnisse, sondern es ist cool, weil es einfach gut ist. Verstehst du?« Worte des Lobes von einem Mann, der in Deutschland als das Nonplusultra in Sachen Raptechnik gilt. Um wen es sich handelt? Um den Zürcher Rapper Xen.

Trettmann ist gerade in Zürich angekommen. Kurz vor seinem Auftritt rührt er sich einen Tee mit Ingwer und Pfefferminze an – der angekratzten Stimme zuliebe. Der Journalist Moritz Wey hat einen Interviewtermin mit dem Dancehall-Don ausgemacht und bringt ihm einen Song mit. »So sii«, ein gefühlvoller Future-R’n’B-Track des Berner Künstlers Josha Hewitt. Deutschraps Mann der Stunde zeigt dem Journalisten seine Unterarme: »Sieht man’s nicht? Gänsehaut! Das berührt mich.«

Drei zufällig rausgepickte Szenen, die nicht nur exemplarisch aufzeigen, dass Schweizer Rap 2018 auf einem hohen Level angekommen ist – sie zeugen auch davon, dass er in Deutschland und Österreich kaum wahrgenommen wird. Savas, Pi und Trettmann sind alle erstaunt, dass sich Rap aus der Schweiz so gut anhört. Während österreichische Künstler wie RAF Camora die deutschen Hitparaden stürmen, fliegen helvetische Künstler in Germany immer noch unter dem Radar.

Diese Leerstelle ist mitunter freilich einer eminenten Sprachbarriere geschuldet: Die Schweiz ist in 26 Kantone aufgeteilt, in denen trotz engstem Raum die unterschiedlichsten Dialekte gesprochen werden, die für deutsche Hörer häufig nur schwer verständlich sind. Gleichzeitig stützen diese Dialekte den Lokalpatriotismus, den »Kantönligeist«. So mögen Basler beispielsweise kein Zürcherdeutsch, Zürcher kein Luzernerdeutsch und Luzerner wiederum kein Baslerdeutsch. Alle gegen alle. Dass es also ein schwieriges Unterfangen ist, in einem Dialekt zu rappen, den Deutsche und Österreicher nicht verstehen und neunzig Prozent des Zielpublikums nicht cool finden – und damit auch noch erfolgreich zu sein –, bedarf wohl keiner weiteren Erklärung. Allen Widerständen zum Trotz entwickelte sich im so lebensfeindlich scheinenden Biotop Schweiz eine vielfältige und lebendige Rapszene. Der Urknall lässt sich auf das Jahr 1991 datieren.

1991 – 2000: Die Anfänge

Eine Vinylscheibe. A- und B-Seite. 13 Songs, in kleiner Auflage. Wer 1991 die Platte »Fresh Stuff 2« auspackte und die Nadel auf die erste Anspielstation setzte, öffnete die Büchse der Pandora: Der Track »Murder By Dialect« war nichts Geringeres als die Geburtsstunde des Schweizer Raps. Der Basler MC Black Tiger tat etwas, was bis dato undenkbar war: Er rappte seinen Part auf Mundart, auf Schweizerdeutsch. Wie auch in anderen Ländern scheiden sich in der Schweiz die Geister an der Frage, ob »Murder By Dialect« nun der erste Rapsong in der Landessprache war oder nicht – an Symbolkraft sucht Black Tigers Sechzehner jedenfalls seinesgleichen. Es wäre vermessen zu schreiben, dass er damit eine Lawine ins Rollen brachte, aber er setzte sanfte Impulse, die von weiteren Künstlern aufgegriffen wurden. Rapper, DJs und Eventmanager bauten in den folgenden Jahren eine Community auf, veranstalteten Jams, organisierten Partys und boten dem Schweizer Rap damit eine Plattform.

Baldy Minder ist Mitbegründer der Band Wurzel 5, Manager der Rap-Crew Chlyklass und war Veranstalter von Freestyle-Battles. Als Fan und Szene-Insider verfolgt er die Entwicklung des Schweizer HipHops seit Stunde Null. Songs wie »Murder By Dialect« wecken Erinnerungen in ihm: »Anfangs der Neunziger hörte ich die Beastie Boys und Ice Cube, trat mit der HipHop-Welt in Kontakt und taggte. Bald wurde ich neben lokalen Berner Crews auch auf den Zürcher Rapper E.K.R. und Black Tiger aus Basel aufmerksam.«

Mitte der Neunzigerjahre herrschte Goldgräberstimmung. Die Crews, die sich in den Schweizer Großstädten bildeten, stachelten sich gegenseitig an: »Der Konkurrenzkampf war groß. Die Hobbitz aus Bern schalteten damals die erste Homepage – und alle anderen Crews wollten gleich nachziehen«, erzählt Baldy. »Das Rap-Game war kompetitiv ausgelegt, und wir gingen nicht gleich auf Tuchfühlung zu anderen Crews.« Der berüchtigte Kantönli­geist war ein Stolperstein für kanton­übergreifende Connections. Da die Szene damals noch sehr klein war, liefen sich ihre Protagonisten dennoch bei Gigs und auf Jams über den Weg. So entstanden, den Schwierigkeiten zum Trotz, erste Synergien, die die Kantongrenzen sprengten.

E.K.R. war neben Black Tiger der aufsehenerregendste MC dieser Pionierzeit. Als Milieuveteran erzählte er beißend-ironische und witzige Storys aus dem Zürcher Stadtquartier Chreis 4, den verruchtesten Straßenzügen der Schweiz. Sein unvergleichbares Storytelling ließ ihn aus der Masse herausstechen, denn Mundart-rap steckte in dieser Phase noch in den Kinderschuhen. Viele MCs eiferten auf den Jams ihren Idolen aus Übersee und Deutschland nach – und nur wenigen gelang es, eigene Formen zu entwickeln oder gar ein eigenes Image aufzubauen. Durch E.K.R. und Black Tiger hatte CH-Rap den ersten wichtigen Schritt geschafft und den Style, die Techniken aus den USA für die Schweizer Mundart adaptiert. Was noch fehlte, war eine eigene Identität.

2000 – 2006: Goldene Jahre

Um die Jahrtausendwende setzten tiefgreifende Veränderungen ein. Mit der Chlyklass und der Sektion Kuchikäschtli traten zwei Crews ins Spotlight, denen es gelang, eigene Trademarks zu etablieren. Schweizer Rap bekam ein Gesicht, einen Sound, ein Image. Aus der Not wurde eine Tugend: Weil sich in der Schweiz keine American-Dream-Stories über den Aufstieg vom Ticker zum Business-Pimp schreiben ließen, verschob sich der Fokus auf den vermeintlich langweiligen Alltag. So entwickelte sich eine eigene Form des Songwritings mit einem Fokus auf poetischen und witzigen Storys über das Leben in der Schweiz.

Die Chlyklass, bestehend aus den Kombos Wurzel 5, PVP und den Rappern Baze und Greis, brachte die Hauptstadt Bern auf die HipHop-Landkarte. Für Baldy lag der Erfolg in der Vielschichtigkeit der Crew: »In der Chlyklass sind sehr individuelle Künstler vertreten. Jeder hat seinen eigenen Stil, einen eigenen Flow. Jeder geht Themen auf seine eigene Art und Weise an.« Gleichzeitig befeuerten sich die Mitglieder gegenseitig durch ihre Erfolge: »Wir trimmten uns zu Höchstleistungen. Die Chlyklass-Member lieferten zwei bis drei Alben pro Jahr – und jedes einzelne setzte neue Maßstäbe.« Mit den MCs Baze und Greis hatte die Chlyklass zwei charismatische und hochtalentierte Galionsfiguren, gleichzeitig erinnerte der Crew-Lifestyle, die Repräsentation gegenüber außen, an den Wu-Tang-Clan. Durch den Impact der Chlyklass wurde Bern zum dynamischsten Rap-Standort des Landes. Bis heute ist die Stadt ein kreativer Melting Pot, in dem sich Künstler genreübergreifend unterstützen und inspirieren.

Die Sektion Kuchikäschtli hingegen brachte die Freshness und Lockerheit aus den Bündner Bergen in die Schweizer Großstädte. Ihr Frontmann Rennie, einer der besten Songwriter der Schweizer Musikgeschichte, glänzte durch eine bis dahin unbekannte Vielfalt und Eloquenz: Mit teils witzigen, teils politisch-kritischen Texten ließ er sich in keine Schublade stecken. Durch die intelligenten und ausgeklügelten Lyrics fand die Rap-Crew auch in den Kulturredaktionen der großen Schweizer Tageszeitungen, dem Tages-Anzeiger und der NZZ, Anklang. Die zurückhaltenden Studenten wurden zu den ersten Feuilleton-Posterboys der CH-Rap-Geschichte.

Die Erfolge der Chlyklass und der Sektion Kuchikäschtli ebneten den Weg für die ersten Superstars – und die Major-Labels. Bernd Blankenburg lädt zum Gespräch. Er ist Marketing Chef bei Universal Music Schweiz – dem Major-Label, das die Entwicklung von Schweizer Rap bis heute maßgeblich geprägt hat. »Die ersten Schweizer Rapper, auf die wir um die Jahrtausendwende aufmerksam wurden, waren Bligg und Stress«, erzählt Blankenburg. Der Lausanner Stress und der Zürcher Bligg waren zwei junge, talentierte MCs mit großen Visionen. Stress war der Mann der Stunde: seine französischen Texte versprühten internationales Flair und die Hooks zeugten von einem untrüglichen Gespür für Hits. Sein Debütalbum »Billy Bear« kam bereits 2003 via Universal auf den Markt, sein drittes Album »Renaissance« erreichte vier Jahre später als erstes Schweizer Rapalbum aller Zeiten den ersten Platz der Charts. Schweizer Rap war ganz oben in der Hitparade angekommen. Stress setzte neue Maßstäbe und erreichte als Erster die breite Masse. Ihm und Bligg gelang ein komplizierter Spagat: Mit Radiohits erreichten die beiden Überflieger ein breites Publikum, mit Skills, Hunger und genügend Roughness wurden sie dennoch weiterhin als Teil der Szene anerkannt.

Das wichtigste Medium für Schweizer Rap war damals laut Baldy Minder das Fernsehen: »Die Musiksender Viva Swiss und MTV boten uns Plattformen. Wir hatten Kanäle, um unseren Sound einem breiten Publikum vorzustellen. Einige Clips wurden zu Hits.« Die Jugendsender waren progressiv und offen für die Subkultur HipHop, das öffentlich-rechtliche Schweizer Radio hingegen hatte nach wie vor Berührungsängste mit Rap: »Radio war kein Thema«, konstatiert Baldy nüchtern. Bis heute wird das Verhältnis zwischen Schweizer Rap und den großen Radiosendern durch den Zwang zur Uniformierung getrübt. Rapsongs gelten nur als radiotauglich, wenn sie thematisch, musikalisch und sprachlich in der Komfortzone der Radiohörer bleiben. Roughe Instrumentals, kontroverse Songtexte oder – Gott bewahre – Schimpfwörter und Beleidigungen fallen durch das Raster und erhalten kein Airplay. Parallelen zu Deutschland, wo Rapper mit expliziten Lyrics von den großen Radiosendern trotz ihres Erfolges ignoriert werden, sind augenscheinlich.

3 Kommentare

  1. Hey liebes Juice Team,

    wie konntet Ihr denn Gimma bei der Geschichte des Schwiizer Rap vergessen?
    Für mich defintitv ein wichtiger Bestandteil.

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