Update der 4 Elemente
Während sich die HipHop-Szene in den Achtzigerjahren auf Jams trifft, wo alle Elemente vorhanden sind, kann man heute fast nur Einzelveranstaltungen dieser Elemente besuchen. Rap-Konzerte, DJ-Contests, B-Boy Battles und den Bahnhof, um Züge zu schauen. Was sind die Gründe für das Auseinanderdriften der vier Elemente? Zuerst einmal: Die HipHop-Szene in den Achtzigern war sehr überschaubar. Zu einem reinen Rap-Konzert oder B-Boy-Battle wären gar nicht genug Leute gekommen. Um 400 Menschen aus ganz Deutschland in einen Raum zu bekommen, war man darauf angewiesen, dass alle Anhänger der vier Elemente zusammenfinden. Heute kann ein kleiner Rapper mit etwas Hype alleine schon 400 Leute zusammenbekommen – aus einer Stadt. Er muss keine weiteren Attraktionen bieten. Zum Battle of the Year gehen jedes Jahr mehrere tausend Menschen. Cro und die Beginner füllen Fußballstadien. Selbst im letzten Hinterwäldlerdorf auf diesem Planeten findet man Tags und Pieces. Bei dieser Menge an Anhängern wundert es mich nicht, dass sich die Mehrheit darunter ausschließlich für eines der Elemente interessiert. Es ist logisch, dass eine »Spezialisierung« stattfindet. Das bedeutet gleichzeitig: 2017 sind die einzelnen Elemente so bedeutend und gesellschaftlich relevant wie nie zuvor. Aber genau aus dieser Stärke und Größe heraus distanzieren sie sich automatisch voneinander.
Diese Kluft herrscht nicht nur zwischen den Elementen, auch innerhalb der vier Disziplinen driften die Ansichten auseinander. Es werden Generationenkonflikte ausgefochten, die sich meist an Style-Fragen aufhängen. Die älteren Jahrgänge finden das, was die Jüngeren machen, wack, weil es so anders ist als das, was sie selbst machen. Das Problem dabei ist folgendes: Die wahre Schönheit der HipHop-Kultur allgemein und seiner Elemente im Speziellen liegt darin, dass bereits existierende Bewegungen, Bilder oder Musik aus den Bereichen Tanz, Kampfsport, Akrobatik, Malerei, Popkultur und Comics zu etwas Neuem zusammengeführt werden. Was dabei rauskommt, ist ein Remix. Grandmaster Caz, einer der frühen DJs & MCs aus den Siebzigerjahren, formulierte das mal folgendermaßen: »HipHop didn’t invent anything. HipHop reinvented everything.« Das Wessen der HipHop-Kultur besteht also darin, sich immer wieder neu zu erfinden. Dieser Innovationsdruck sorgt dafür, dass sich die HipHop-Elemente immer weiterentwickeln. Auch hier ist es logisch, dass nach über 45 Jahren Ausdifferenzierung der HipHop-Kultur viele »Neu-Erfindungen« vorhanden sind, auf die sich nicht alle geschmacklich einigen können. Es entsteht Unzufriedenheit, das Bedürfnisse, sich abzugrenzen und anderen ihr HipHop-sein abzusprechen.
HipHop didn’t invent anything. HipHop reinvented everything.
Im Track »The Militia« von Gang Starr wird ein Satz des Gedichtes »What Is HipHop?« von Journalist Greg Tate gescratcht. Er lautet: »HipHop is not what it is today.« Schon vor zwanzig Jahren wurde von vielen bemängelt, HipHop sei nicht mehr so wie »früher«. Aber: War HipHop »früher« wirklich so eine Einheit, wie die 83er-Definition es darstellt? Jein. Die Gründergeneration in den Siebzigerjahren hat HipHop nicht so ausdefiniert gelebt, wie das die Achtzigerjahrefilmen abbildete. Die Writer-Legenden Blade und Seen beispielsweise haben sich selbst niemals als Teil der Kultur gesehen. Sie sind Graffiti-Maler, ja, aber kein HipHop! Grandmaster Flash, einer der drei Gründerväter der HipHop-Kultur, erklärte, dass Graffiti kein Teil von HipHop sei, sondern von den Medien zu den anderen Elementen dazugepackt wurde. Die 4-Elemente-Definition von HipHop ist also 1983 in Teilen ein mediales Konstrukt. Aber: Die Kids, die diese HipHop-Blaupause kennenlernten, haben sie sich zu eigen gemacht – in den USA und weltweit. Diese Schüler der Kultur sind die erste Generation, die die 83er-Definition »richtig« und damit real gelebt haben. Sie füllten sie mit Leben. Aber es bedeutet auch Folgendes: Die Definition der Kultur und die Kids der Achtziger stehen nicht so sehr im Einklang mit ihren Vorvätern, wie sie selber immer dachten. Und deshalb ist auch nicht weiter verwunderlich, dass die Generationen, die ihnen nachfolgten, auch nicht im Einklang mit ihnen stehen. Und das, obwohl es immer junge Aktivisten gab und gibt, die die 83er-Definition hochhalten – bis heute: Real Rap.
Es ist also an der Zeit, sich einzugestehen, dass es unreal ist, davon auszugehen, dass die gelebte Definition einer Kultur auf ewig Bestand hat, vor allem dann nicht, wenn sie größer und älter wird. Es ist also schon sehr lange Bedarf da, die klassische Definition von HipHop neu zu erfinden. Dabei gilt es, die Frage zu beantworten: Wollen wir eine zersplitterte Kultur sein, die sich voneinander abgrenzt? Vergleichbar mit den Religionen, wo es zig Auslegungen der muslimischen, buddhistischen und anderen Glaubensrichtungen gibt? Oder wollen wir eher eine ökumenische Bewegung, in der man versucht, eine Einigung und Zusammenarbeit der verschiedenen Glaubensrichtungen im HipHop anzustreben? Eine Definition, in der sich alle wiederfinden können? Und in der man die Entwicklungen der letzten 45 Jahre real abbildet? Dazu passt der vollständige Satz von Greg Tate. Denn er geht folgendermaßen weiter: »HipHop is not what it is today. But what it could be tomorrow.«
Text: Falk Schacht
Diese Kolumne erschien in JUICE #183 (hier versandkostenfrei nachbestellen).