Vega & Bosca: »Als die Gewalt in meinem Leben präsenter war, war sie nicht so präsent in der Musik.« // Feature

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Vega & Bosca

Wäre dieser Text ein Intro aus dem Hause Freunde von Niemand, würden jetzt die ersten Fanfaren erklingen. Auch auf dem neuen Album »Alte Liebe rostet nicht« von Vega & ­Bosca fühlt man sich zu Beginn wie von einem Siebentonner überfahren. Zwei stimmgewaltige Protagonisten fallen auf tösenden Beats über ihre Hörer her. »Wir arbeiten sehr viel mit Pausen. Mit den Momenten, in denen nichts gesagt wird. Um das machen zu können, braucht man natürlich eine gewisse Art von Beat und Musik.« Pause.

Parallel zu den Paukenschlägen aus Frankfurt schießen in Paris Menschen auf Menschen. Wenige Tage danach Interview mit Vega & Bosca. Bevor wir im Büro der Frankfurter eintreffen, gibt es Döner bei einem jungen Kurden, der sich als Azad vorstellt, Chai ausgibt und erzählt: »Ich habe nie an irgendwas geglaubt und allen ihren Glauben gelassen. Aber jetzt haben sie mich soweit, dass ich sie hasse.« Er meint »sie«, die Schießenden, die sich über alles hinwegsetzen, was uns lieb und heilig ist. »Nicht so wie sie werden« ist die Antwort, und trotz guten Essens geht es mit Grummeln in der Magengegend zum Interview.

Ich denke an Erzählungen über das Freunde-von-Niemand-Camp auf dem splash! 2012, Hooligan-Atmosphäre und verschärfte Einlasskontrollen, an Jugendfreunde, die jedes FVN-Release im Auto pumpen, und an meine Geburtsstadt Frankfurt, die gleichzeitig so abweisend und herzlich ist. Ich weiß nicht, ob ich meine journalistische Sorgfaltspflicht oder Distanz über den Haufen werfe, als ich Vega damit konfrontierte, seit »Lieber bleib ich broke« kein Album mehr von ihm gekauft oder gehört zu haben. Auch Bosca hat es nie auf meinen MP3-Player geschafft. Eigentlich geht es nur darum, diese Freunde von Niemand kennenzulernen; zu verstehen, warum sie so sind, wie sie sind. »Und schreibt mich an, wenn ihr Verse nicht versteht/Jeder von uns hat ne Geschichte, ich bin der, der sie erzählt«, rappt Vega auf seinem Debüt. Das sollte man sich nicht zweimal sagen lassen.

»Früher hat die Karte bei ‚Frankfurt brennt‘ sieben Euro gekostet. Wir sind rotzbesoffen dahin gekommen, 48-mal den Text verkackt, drei Liter Bier in die Crowd geschüttet, 14-mal die Bullen beleidigt und dann wieder gegangen. Die Leute fanden das ja auch lustig, asi asi und so. Wenn du aber vor 1.600 Leuten in der Batschkapp stehst, die 30 bis 35 Euro zahlen, um dich zu sehen, musst du professioneller werden.« So wie sich Vegas Erscheinungsbild im Laufe seiner Alben wandelte, scheint sich auch die Selbstwahrnehmung der Freunde von Niemand geändert zu haben. Am Ende steht ein Track wie »Ausgebrannt«: »Wollte abschalten, doch musste funktionieren.« Die alte Liebe, sie will nicht rosten, bleibt ein fester Bund, intensiv und eng, aber wie in jeder längeren Beziehung schleicht sich Routine ein. »Sicherlich gibt es immer noch Leute im Publikum, die sich wünschen, dass ich die Box von der Bühne schmeiße und Bengalos anzünde. Aber da muss man an sein Geschäft denken, langfristig. An irgendeinem Punkt muss man sagen: Das ist Schmodder. Wir kriegen Probleme, werden nicht gebucht.« Auf einem Tattoo aus dem »AntiCops«-Video von Vega & Bosca prangt der Spruch: »Wir sind Menschen, die sich keinem unterwerfen! Und wenn es jemand versuchen sollte, werden dabei Menschen sterben!«

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