»Ich kann mir nicht vorstellen, Songs für eine Playlist zu schreiben« // Tua im Interview

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Ja, genau. Allerdings zeigt die Differenz zwischen dem zu Beginn der Platte deklarierten Lebensmotto »Lieber fall ich tiefer, als niemals da oben gewesen zu sein« und der im weiteren Verlauf formulierten Devise »Ich will nicht hoch hinaus, nur darüber hinweg«, dass du viel über den eigenen Anspruch nach Selbstoptimierung nachgedacht hast.
Definitiv! Gerade dieses »nicht hoch hinaus, nur darüber hinweg« ist für mich eine große Zeile. Sie steht dafür, dass man immer mehr will und irgendwann gar nicht mehr so richtig definieren kann, wohin die Reise überhaupt gehen soll. Das ist auch ein Sinnbild für all die Leute, die wie wahnsinnig arbeiten und sich im Auftrag von Produktivität und Wirtschaftlichkeit pausenlos selbst kasteien. Irgendwann wird sogar das Leben selbst etwas so Triviales, dass man am liebsten auch noch darüber hinweg will. Das kann einen ja nur unglücklich machen.

Die Gesellschaftskritik im Album findet also in Projektion auf deine eigene Person statt.
Ja, könnte man so sagen. Ich bin kein Politologe und weiß im Prinzip nichts, was über mich hinausgeht. Aber was in mir selbst passiert, weiß ich sehr genau.

Um einen Sound zu kreieren, der spürbar an die vielseitigen thematischen Impulse des Albums angepasst ist, hat Tua exzessiv mit Harmonien und Disharmonien herumexperimentiert, hat seine Stimme immer wieder durch wilde Effekte gejagt. Gleichzeitig hat er sich verschiedener Genres bedient. Als einzigen offiziellen Gast hat er die Sängerin einer ukrainischen Electro-Pop-Band an Land gezogen.

Obwohl laut Tracklist nur KAZKA als Gast auf dem Album vertreten ist, haben offensichtlich viele weitere Künstler am Album mitgewirkt. In verschiedene Hooks hast du beispielsweise Vocals von Bausa, RAF Camora oder Afrob eingearbeitet. Wieso hast du all diese großen Namen nicht als Features angegeben?
Das hat mich meine Plattenfirma auch gefragt. (lacht) Das soll nicht arrogant klingen, aber ich bin auf dem Album so krass mit meinem Innenleben beschäftigt, dass die Tracks thematisch sowieso sind, wie sie sind. Hätte ich von vornherein festgelegt, dass »TUA« ein Album werden soll, das in Sessions mit vielen nahestehenden Künstlern entstehen soll, dann hätte die Platte einen völlig anderen Charakter bekommen. Stattdessen habe ich hin und wieder ein paar alte Freunde für kleine Cameo-Auftritte hinzugezogen – aber das sind noch keine Feature-Parts und sollten auch nicht als solche verkauft werden. Das wäre einfach Etikettenschwindel. Mir ist bewusst, dass man insgesamt schlauere Moves hätte machen können, aber dafür bin ich zu sehr Idealist.

Wie viele Leute waren denn insgesamt am Entstehungsprozess beteiligt?
Das waren schon einige. Neben Bausa, RAF und Afrob haben auch Tarek von K.I.Z und Maeckes ein paar Backing-Hooks beigesteuert. Tristan Brusch hat eine Gitarrenspur eingespielt und auch Wanja Janeva hat mir an einigen Stellen unter die Arme gegriffen, um nur mal ein paar Beispiele zu nennen. Genauso wichtig wie die Leute, mit denen ich tatsächlich an der Musik gearbeitet habe, waren allerdings diejenigen, mit denen ich während der Albumentstehung geredet habe: Ich habe sowohl Peter Fox als auch Max Herre, Jan Delay, Casper oder Yassin verschiedene Zwischenstände gezeigt und mich mit ihnen über diverse Konzeptideen unterhalten. Dadurch haben sich immer wieder Knoten gelöst. Das war gerade für mich, der technisch so viel selbst macht, oftmals sehr wertvoll.

»Ich habe u.a Peter Fox, Max Herre, Jan Delay, Casper oder Yassin verschiedene Zwischenstände gezeigt. Dadurch haben sich immer wieder Knoten gelöst.«

Du bist inzwischen Vater zweier Kinder. Inwieweit haben die beiden oder das Vatersein an sich das Album beeinflusst?
Sie haben das Album ganz massiv geprägt, weil sie meine Persönlichkeitsentwicklung angeschoben haben, um die es im Album wahrscheinlich am allermeisten geht. Ich habe das Gefühl, dass ich in meinem Leben so krasse Wendungen genommen habe, dass ich echt Spaß daran habe, darüber zu schreiben. Vor zehn Jahren war ich ein völlig anderer Mensch, hatte eine ganz andere Sicht auf die Realität, einfach weil ich in einer völlig anderen Realität gelebt habe. Um mich in bestimmte Lebensphasen zurückzuversetzen, habe ich sogar meine Stilmittel aus der jeweiligen Zeit übernommen, quasi mit den alten Gewürzen gekocht, zum Beispiel beim zweiten Song »FFWD«. Und dann bin ich zurück ins Jetzt gesprungen und konnte den Bogen dazwischen perfekt erkennen. Ein Song wie »Bedingungslos« steht im direkten Zusammenhang mit meinen Kindern. Und dem letzten Track »Wenn ich gehen muss« liegt der Gedanke zugrunde, ihnen die Ewigkeit zu erklären. Allgemein ist es ja so, dass der vordere Teil des Albums viele Fragen aufwirft und der hintere Teil dann eher Antworten und Schlussfolgerungen bereithält.

Wünschst du dir manchmal, dass du schneller mit dir zufrieden wärst und mit mehr Humor Musik machen könntest?
Zum Glück habe ich durch die Orsons immer den Ausgleich. Würde ich nur Tua machen, würde es mir definitiv irgendwann zu eng. Es ist geil, sich so vollkommen in die tiefen Sachen reinzulegen, aber es ist genauso geil, sich irgendwann wieder den lockeren Themen zu widmen. Ich bin kein Typ, der den ganzen Tag schlechte Laune hat, philosophiert und nörgelt. Eher im Gegenteil: Neunzig Prozent des Tages labere ich Schwachsinn. (lacht) Aber darum geht es bei diesem Tua-Ding nun mal nicht.

Text: Alexander Barbian

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