»Ich kann mir nicht vorstellen, Songs für eine Playlist zu schreiben« // Tua im Interview

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Dafür ermöglichst du den Leuten, die dazu bereit sind, sich intensiv mit deiner Kunst auseinanderzusetzen, ganz und gar in deine Welt abzutauchen.
Es erzeugt doch ein gewisses Echo, wenn man sich wirklich einen Kopf macht und alles in die Musik investiert. Auch wenn sie einer breiten Schicht an Leuten ziemlich scheißegal ist – was ich verstehen kann –, ist es schon schön zu merken, dass es Menschen gibt, die bereit sind, meinen Gedanken zu folgen und alles zu dekodieren. Für mich als Fan anderer Künstler ist genau das das Höchste. Wenn mir jemand ein Universum eröffnet, in dem ich mich völlig verlieren kann, dann ist das Tiefe. Das ist es, was ich in Kunst suche und selber herzustellen versuche. Manche Leute wollen bestimmt gar nicht so viel von Musik, aber andere docken da voll an.

Als Bandmitglied der Orsons hat Tua in den letzten Jahren große kommerzielle Erfolge eingefahren. Als Solokünstler sitzt der Wahlberliner aber bis heute –quasi prinzipienbedingt – zwischen den Stühlen: Einerseits ist die seiner Musik zugrundeliegende Attitüde zu sehr von Rap und Straßenerfahrungen geprägt, um im Radio Fuß zu fassen, andererseits strahlen seine Zeilen einen zu hohen Intellekt und eine zu offensichtliche Gefühlsbetontheit aus, um eine breite Masse an straßenrapaffinen Hörern für sich zu begeistern. Ein Teufelskreis.

Es scheint, als hättest du dich über die Jahre immer weiter aus dem Innenleben der Rapszene zurückgezogen. Wie ist dein Verhältnis zum aktuell von sorglosen Hitsingles dominierten Markt?
Ich bin älter geworden und habe tatsächlich weniger Überschneidungspunkte mit den Leuten. Ich habe mich nicht programmatisch dazu entschieden, mit dieser Szene nichts mehr zu tun zu haben, aber vieles berührt mich einfach nicht. Natürlich versuche ich, mir das alles anzuhören und analytisch am Puls der Zeit zu bleiben, aber dann merke ich auch sofort, dass mir die Themen für diese einfacher gestalteten Songs mit Turn-up-Momenten fehlen.

Bedeutet das, dass du gar keine leichtgewichtigere Art Musik machen könntest?
Naja, rein technisch könnte ich das schon. In anderen Konstellationen gelingt mir das ja auch. Aber alles, was unter dem Namen Tua geschieht, ist so eng mit meiner Person verwoben, dass es sich dort schräg und irgendwie falsch anfühlen würde. Andersherum könnte ich alles noch viel mehr verkopfen … aber ich merke ja auch, gerade beim Hören anderer Künstler, die ich eigentlich wahnsinnig toll finde, dass dann irgendwann Sachen entstehen, die zwar total schlau, aber eben auch total anstrengend sind. Da bringe ich dann selbst nicht die Bereitschaft auf, mich voll einzulassen – und das ist dann immer eine Mahnung an mich selbst. (lacht) Ich habe auch versucht, glattere Sachen zu schreiben, aber das war’s alles nicht. Die etwas einfacheren Sachen, die jetzt auf dem Album gelandet sind, solche Tracks wie »Ich von morgen«, »Wem mach ich was vor«, »Liebe lebt« oder »Dana« zeigen mein absolutes Maximum an möglicher Einfachheit auf.

Selbst bei diesen Songs hat man als aufmerksamer Hörer den Anspruch, sie ins Gesamtkonzept »TUA« einzubetten – wodurch man sie eventuell überinterpretiert.
Und genau das macht ja den Reiz aus! Weil man die Möglichkeit hat, richtig tief in die Materie reinzugehen, die ich mir da ausrupfe, kann man sich seine Bezugspunkte zusammensuchen. Das kann man und soll man auch gerne machen! Aber mein Novum bei diesem Album war trotzdem, dass man das nicht unbedingt muss. Natürlich hat jemand, der meine Historie kennt, andere Ansprüche an die einzelnen Songs als derjenige, der einfach nur »Wem mach ich was vor« hört und weder mich noch mein Album kennt. Ich finde es gut, dass der Track auch ohne Kontext funktioniert. Das ist wie mit einem richtig guten Roman: Der fasziniert dich schon, wenn du ihn irgendwo aufschlägst und irgendeines seiner Kapitel liest. Du bist begeistert vom Stil und der Tiefe und weißt, dass davor und danach irgendwas mit großer Tragweite passiert. Random Scheiß ist mein großer Feind, und ich hoffe, dass man den einfacheren Dingern, die sich ohne großen Beipackzettel erschließen, zumindest anmerkt, dass sie Teil von etwas Größerem sind.

Das Album ähnelt in seiner Gesamtheit einem wilden Ritt durch deine Vita, umreißt alle großen Kämpfe deines Lebens. Kommen die Tracks in ihrer Reihenfolge einem chronologischen Lebenslauf gleich?
So und so. Die ältesten Geschichten aus meiner eigenen Vergangenheit finden schon eher früher und die jüngsten eher später im Album statt. Einen klassischen Zeitstrahl bildet die Tracklist aber trotzdem nicht, weil einige Songs ja vielmehr Gefühlsverdichtungen sind, die ich an den richtigen Stellen auf der Platte zu platzieren versucht habe. Die Platte soll als Ganzes hörbar sein. Auch wenn ich den Leuten kein Fotoalbum meines Lebens zeigen will, arbeite ich mich natürlich an meinen Erfahrungen ab. Dabei versuche ich aber, Verdichtungen von Emotionen in Musik zu pressen und hoffe, dass sie groß genug sind, dass viele andere Menschen sie genauso erleben – das ist zumindest mein Anspruch.

Sind es denn nicht gerade die explizit intimen Geschichten, die die größten Identifikationsflächen mit deiner Musik schaffen?
Vielleicht. Ich habe zwei verschiedene Kategorien von Songs. Die einen sind sehr bewusst ungekünstelt und wollen Situationen klar und direkt formulieren: Tracks wie »Vater« oder »Bruder« sind wie Filme, die sich schnell erschließen und in denen man in kurzer Zeit viele Infos bekommt. Andere Lieder sind weniger explizit, spielen auf Gefühle an und sind verschieden deutbar. Auf »TUA« überwiegen diese atmosphärischen Tracks, in denen es quasi um meine Urthemen geht. Aber ein Album mit rein flächigem Sound, in dem man sich durchgehend an undefinierten Gefühlen abarbeitet, wäre nicht konkret genug. Da musste eine Balance her, damit man zwischendurch auch erfährt, wer der Künstler überhaupt ist.

Einer der autobiografisch geprägten Tracks ist die erste Single »Vorstadt«, die von deinen Jugendjahren in Reutlingen und dem Zurückkommen an die Orte deiner Vergangenheit erzählt. Im Laufe des Songs beschreibst du, wie dir Leute aus deiner alten Heimat vorwerfen, nur noch »selten am Start« und »in der Welt von den Stars« zu sein. Warum beschäftigt dich derartiges Gerede?
Weil mich so was traurig macht. Und weil das einfach nicht stimmt. Natürlich habe ich ein anderes Leben als zu der Zeit, als ich noch dort war. Aber das hat wenig mit irgendwelchen Stars oder Sternchen zu tun, sondern vielmehr mit meiner Aktivität als Familienvater und als Mensch, der irgendwie im Musikgeschäft arbeitet. Ich bin so krass mit der Musik beschäftigt, dass ich lebe wie ein Gespenst – gar nicht, weil ich so busy bin, sondern viel eher, weil ich da so tief drinstecke, dass mir oft die Kapazität zum Rumhängen fehlt. Ich bin ein Nerd und gehe immer all in, aber abgehoben bin ich nicht.

»RANDOM SCHEISS IST MEIN GROßER FEIND«

An anderer Stelle in »Vorstadt« zitierst du einen Freund, der behauptet, dass »jedes Geschäft ein schmutziges« sei. Diese Aussage hat mich einerseits an deinen Part auf dem letzten Disarstar-Album, andererseits aber auch an einen berühmten Satz des Philosophen Theodor W. Adorno erinnert. Er hat immer wieder betont, dass es »kein richtiges Leben im falschen« gebe. Wie viel Kapitalismuskritik steckt in »TUA«?
Mit dieser Line wollte ich tatsächlich genau darauf anspielen. Auch wenn derjenige, den ich dort anführe, sicherlich nicht Marx gelesen hat. (lacht)

Das ewige »Höher, schneller, weiter« im marktwirtschaftlichen Hamsterrad spielt insofern eine Rolle, als dass du immer wieder mit deiner eigenen Rastlosigkeit haderst.
Absolut. Diese Rastlosigkeit habe ich leider bis heute tief verinnerlicht. Ich finde auf dem Album auch ein weiteres Mal nicht zu dem Punkt, an dem ich behaupten könnte, in dieser Hinsicht irgendetwas verstanden zu haben. Ich bin ein getriebener Geist, oft unzufrieden mit mir und der Welt. Und ich glaube, dass es vielen Leuten so geht. Der Song »Dana« beschäftigt sich ja mit diesem Gefühl, immer wegrennen zu wollen, obwohl eigentlich alles okay ist.

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