Trettmann: »Was gibt es Schöneres, als wenn sich Styles mischen?« // Feature

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Alles an dieser Geschichte ist absurd. In Chemnitz herrschen karibische Temperaturen. Und auf dem Dach einer Ruine, die einmal als DDR-Einkaufszentrum fungierte, steht ein Typ Anfang vierzig und rappt über bulgarische Melonenimporte und die Unbezahlbarkeit weißer Turnschuhe: Trettmann hat zum Videodreh geladen. »Grauer Beton« soll als Vorbote von »#DIY« dienen, dem bis dato persönlichsten Kapitel des ehemaligen Dancehall-Dons und der Zenit in Trettmanns künstlerischer Neufindung mit Team KitschKrieg im Rücken. Vorhang auf für den unwahrscheinlichsten Erfolg der jüngeren Musikgeschichte.

Die Platte weckt Erinnerungen. Trettmann, der seit einigen Jahren in Leipzig wohnt, starrt auf den Beton seiner ehemaligen Heimat und kommt ins Plaudern. Sechzehn prägende Jahre hat er im sogenannten Heckertgebiet verbracht, das heute zu Chemnitz gehört und einst das zweitgrößte Neubaugebiet in Ostdeutschland war. Jahre, in denen glückliche Zufälle zu der musikalischen Sozialisierung führten, die Trettmanns Schaffen noch heute bestimmt. »Meine Mutter hatte Beziehungen in den Schallplattenladen«, erinnert er sich. »Die wenigen amerikanischen Platten, die lizenziert wurden, waren eigentlich immer vergriffen. Aber meine Mutter bekam die Scheiben unterm Ladentisch. Es hieß dann: ‚Heute kommt ein Kool-&-The-Gang-Album raus, geh doch mal zum Törtchen und hol die ab.’«

Das Wohngebiet Fritz Heckert.

Aus dem Amiga-Katalog filtert Trettmann früh Favoriten und landet unfreiwillig bei Rhythm & Blues: »Was wirklich hängenblieb, war Stevie Wonders ‚Talking Book‘ – wenn ich das heute spiele, spüre ich sofort den Vibe von damals.« Aretha Franklin und Michael Jackson wecken außerdem Erinnerungen an eine glückliche Fügung: Die Platte, in der Tretti lebte, lag fünfhundert Meter über dem Meeresspiegel – »dadurch konnte ich Radio aus dem Westen empfangen: ‚Soul Train‘ mit Ruth Rockenschaub auf NDR2. Die Hype-Songs in Sachen ‚Black Music‘, wie es damals hieß, habe ich immer mitgeschnitten. Ich dachte, ich wäre der einzige Mensch, der das hört. Bis ich irgendwann beim Stadtparkfest Leute sah, die S.O.S. Band auf einer Art Soundsystem gespielt haben und dazu tanzten. Da merkte ich, dass ich nicht allein bin.«

»Ich folg meinem Herzen, den Quinten und Terzen.«

Auch HipHop soll für ein Gefühl von Gemeinschaft sorgen, als die Kultur Ende der Achtziger ihren Weg in die Zone findet. Für Tretti fängt alles an mit dem Tanzen – und »Wetten, dass..?«: »1982 waren die New York City Breakers mit einer Performance in der Show. Ich sah das bei meinen Großeltern im Fernsehen und bin direkt danach in den Garten, um auf dem Rasen ein paar Moves zu rekapitulieren.« Wenig später dann kommt »die typische Ossi-Story« hinzu, wie Tretti sie nennt: Der HipHop-Klassiker »Beat Street« von Harry Belafonte schafft es in die DDR-Kinos, weil er als sozialkritischer Film gilt, der den Rassismus in den USA zeigt und damit die Auswüchse des Kapitalismus anprangern soll. »Hätten die gewusst, was der für eine Jugendbewegung auslöst, wäre der Film nie erlaubt worden«, meint Tretti. Als dann Ende der Achtziger erste Alben von EPMD und Public Enemy ihren Weg über die Grenze finden, ist es um den Jungen aus Karl-Marx-Stadt geschehen: Nach ersten Breakdance-Versuchen legt er sich 1992 Plattenspieler zu, um zu mixen und aufzulegen. »Erste Rap-Versuche gab es damals auch, aber ich wollte nie der Rapper sein. Ich habe mich erst mal aufs Partyveranstalten eingeschossen. Nach der Wende habe ich hier im alternativen Jugendzentrum die ersten HipHop-Jams mitveranstaltet, mit Advanced Chemistry und MC Rene.«

Man muss kurz innehalten, um sich die Abwegigkeit vor Augen zu führen: Einer, der vor zwanzig Jahren Torch zur Jam lud, der eigentlich überhaupt nie Vocals aufnehmen wollte, um dann Reggae-Hits mit sächsischem Dialekt zu machen, lehrt Deutsch(T)rap heute eine neue Musikalität und hat soeben mit 187-Herz Gzuz einen Hit hingelegt, der auf Youtube hohldreht. Das Geheimnis liegt augenscheinlich in der Attitüde. Das zumindest legt derweil ein Zwischenfall in Chemnitz nahe: Trettmann steht vor der Kamera, um einen Part von »Grauer Beton« zu performen. Und es dauert keine zehn Minuten, da fallen die ersten kritischen Blicke von Plauzenträgern in Unterhemden. Just als der Take im Kasten ist, wird Trettmann unruhig, packt die Sachen und zieht weiter. Dem grauen Beton des Heckertgebiets versuchte man vor Jahren Einhalt zu gebieten, mit intensiver Begrünung und dem Abbau von Stockwerken sowie ganzen Häusern. Was von der Tristesse bleibt: der Spirit. »Hauptsache keine Veränderung«, meint Trettmann. »Diese Mentalität war mir schon immer rätselhaft.«

Nicht umsonst findet die Künstlerfigur Trettmann ihren Ursprung in der Opposition, im Spiel mit der Engstirnigkeit. Anfang der Neunziger entwickelt Trettmann nicht nur eine Liebe für HipHop, sondern genauso zu Reggae und Dancehall, und verdingt sich unter anderem als Soundsystem-MC. »Als Frontmann habe ich mir im Club die Audience reingezogen«, erzählt er. Und nach ersten Urlauben auf Jamaika entlarvt er die hiesige Reggae-Adaption: »Es gab so viele lächerliche Verquerungen in Deutschland: Leute, die auf Rasta machen und rot-gelb-grüne Strickpullis tragen. Das war meine Angriffsfläche.« Als Tretti dann 2005 mit seinem Partner Ill Inspecta auf einer Osteuropa-Tournee durch Ungarn, Tschechien und Ex-Jugoslawien reist, fangen die beiden an, auf Sächsisch zu freestylen. »Das fanden wir einfach lustig. Wir hatten auch eine Radiosendung vorproduziert, in der ständig ein Sachse anrief, um sich über die Musik zu beschweren: Ronny. So entstand Ronny Trettmann – als Spaßfigur.« Als Ill Inspecta darauf besteht, dass Trettmann seine Vocals im Studio aufnimmt, und schließlich dessen Songs auf Myspace stellt, sammeln sie innerhalb von ein paar Tagen mehrere tausend Plays. »Es gab auch einen Radiosender, der wollte ‚Der Sommer ist für alle da!‘ spielen«, rekapituliert Tretti. »Also bin ich da reinmarschiert mit XXL-Jersey, Durag, Sonnenbrille und Jamaikafahne – und durch die Rotation ging der Song sogar in die Charts. Plötzlich kamen Dubplate-Anfragen rein und ich habe damit richtig Geld verdient. Das war der beste Job, den ich bis dato hatte. Ich hab’s einfach mitgenommen.«

Doch selbst der beste Joke ist irgendwann toterzählt. »Nach ein bis zwei Jahren hatte sich das auch für mich erschöpft. Leute meinten dann zu mir, ich bekäme als Trettmann nie wieder etwas Ernsthaftes geschaffen … und das war mir Ansporn genug, es zu versuchen.« Ahnung vom Business hatte er damals keine, gesteht Tretti heute, und so soll ihn das Präfix Ronny vorerst noch eine Weile begleiten. Mit einer EP, zwei Mixtapes, einem Album und endlosen Singles schickt er sich an, Dancehall in D auf links zu drehen. Und wer damals genau hinhört, kann schon 2008 bei dem Song »Großvater« in die Tiefen blicken, die Trettmanns bildhafte Erzählungen aufmachen. Die »Zentralgestirn«-EP ließ außerdem vor gut fünf Jahren die Hitbilanz der Addition Trettmann + Autotune erahnen. Doch wieder einmal braucht es das Abwegige als Vorzeichen.

»Autotune gurgelt so schön, spaltet die Geister.«

»Ich hatte aufgehört, exzessiv Dancehall zu hören; das hatte sich für mich nach zwanzig Jahren erschöpft«, sagt Trettmann über die Zeit, die seinen zweiten Karrierefrühling einläuten soll. »Leute wie Travis Scott oder Post Malone haben plötzlich Rap mit so viel Melodie und anderen Inhalten transportiert, davon war ich angetan. Also fing ich an, so zu stylen.« Mit Produzent Fizzle, den Tretti noch von früheren Reggae-Jams kennt, und mit dem über die Jahre bereits diverse Projekte entstehen, arbeitet er an ersten Songs in neuem Gewand. Einer davon hört auf den Namen »Was Solls« und ist auf einen HipHop-Beat geschrieben. »Aber Teka [Produzent aus Berlin-Kreuzberg; Anm. d. Verf.] kam mit diesem Roots-Riddim rum, der so geil war, dass ich darauf den Trappy-Style performt habe. Ich wollte das bei einem Engineer in Leipzig aufnehmen, aber der fand das mit dem Riddim so scheiße, dass wir den Song nicht recordet haben. Erst als Fizzle darauf bestand, bin ich nach Berlin, um das Ding aufzunehmen. Das war ein Neuanfang.« Für einen Soundclash auf dem splash! nimmt Trettmann außerdem Dubplates in der HipHop-Sphäre von K.I.Z bis Megaloh auf. Ehe Tretti sich versieht, landet Megaloh als Feature auf »Was Solls« und er selbst mit beiden Beinen im Deutschrap-Business. Das Kapitel KitschKrieg nimmt seinen Anfang.

Schnitt: Chemnitz. Awhodat schaut an der Platte hoch und hält inne. Erinnerungen kommen hoch. Auch sie hat ihre Kindheit östlich der Mauer verbracht. Später verschlägt es sie nach Köln ins Filmbusiness, bevor sie die Großstadt Berlin verschluckt. Heute ist sie als Regisseurin und Fotografin vor Ort, um den Vibe von »Grauer Beton« mit ihrer eigenen, minimalistischen Bildsprache in Schwarz-Weiß einzufangen. Als visueller Kopf ergänzt Awhodat die Produktio-nen und das Management von Fizzle und FIJI Kris und macht damit das Team KitschKrieg komplett. Die Entstehung von KitschKrieg geht zurück auf diverse WG-Anekdoten – und auf die Aufnahme jener EP, mit der sich Trettmann neu aufstellt. »Neben dem Sänger Noah Slee durfte ich einer der ersten Künstler sein, die KitschKrieg-Beats voicen«, sagt Trettmann. Und wie es der Zufall so will, entsteht eine erste gemeinsame EP: »Wir hatten drei Songs und wollten ein Video daraus machen. Als das nicht klappte, haben wir noch zwei Tracks dazugehauen und eine EP draus gemacht. Ich meinte dann: ‚Lass sie uns doch KitschKrieg nennen!‘ Ich war einfach so angetan von der Sphäre, die sich da aufgetan hat.« Trettmann kommt ins Schwärmen. Die Arbeit mit dem neu geformten Kreativkollektiv war für ihn schon deshalb ein Neuanfang, weil er zum ersten Mal zu einem eigenen Sound findet. »Meine Musik war immer ein großes Durcheinander«, sagt Tretti. Allzu oft habe er in der Vergangenheit auf wahllosen Riddims fremder Produzenten performt, auf denen die Stimme mit allen möglichen Sounds konkurrierte. Doch auf einmal gibt es diese Maßschneiderungen von KitschKrieg, in denen Dancehall, Trap, Grime, Uptempo-Beats und Slow Jams ineinandergreifen – und dabei stets Raum für Trettmanns Stimme ist. Mit der Ästhetik jedoch nicht genug: »Ich mache seit über zehn Jahren Musik, ich habe mit vielen Leuten gearbeitet. Und das hier ist das erste richtig funktionierende Team. Wir kreieren einen bestimmten Vibe. Ich liefere die Lyrics, denke mir die Melodien aus und spiele die Shows. Der Rest ist auf die drei anderen verteilt. Das gibt mir eine ganz neue Freiheit.«

Der Wahnsinn, den besagte Freiheit lostritt, lässt sich in Kürze wie folgt filtern: Die erste gemeinsame Single »Skyline« wird zum Hit, die »KitschKrieg«-EP wächst daraufhin zur Trilogie und zementiert den neuen Sound voll flächiger Synths und zeitgeistiger HiHat-Rolls, auf denen Trettmann mit eigensinnig unvermittelter Lingo Ohrwürmer platziert. »Seine extrem deutsche Aussprache habe ich total gefeiert«, erinnert sich der Hamburger Kalim, der Trettmann 2016 im Rahmen seines Block-Epos »Odyssee 579« zum Feature bittet. »Wenn der zum Beispiel Rolls Royce sagt – das fasziniert mich voll.« Und nicht nur Kalim zeigt sich begeistert: Bonez MC & RAF Camora sind so angetan, dass sie Trettmann samt KitschKrieg-Team gleich für eine ganze EP engagieren, die den Platin-Sound von »Palmen aus Plastik« um die nötige Tiefe ergänzt. Parallel dazu teilt man sich im Kreuzberger KitschKrieg-Studio das Mic und die Riddims mit Haiyti und Joey Bargeld, seit man sich beim Videodreh zum »WKMSNSHG«-Remix kennengelernt hat. O-Ton Trettmann: »Ich hatte als erster meinen Part eingerappt. Und als ich mir über Kopfhörer Haiytis Part angehört habe, war ich vollkommen alerted: Die hat alles gekillt! Ich habe meine Strophe direkt noch mal neu geschrieben.« Die Trettmann’sche Kollabo-Krönung folgt dann im Februar: Megaloh und Trettmann mutieren zu Doktor Schultz und Django und schießen Deutschrap mit ihrer wahnwitzigen »Herb & Mango«-EP vor die Füße.

»Alles im Fluss, Orinoco Flow/Hits machen, rausballern, OVO.«

Wenn dieser Tage mit »#DIY« das erste Soloalbum seit der Neuauflage von Trettmann erscheint, ist es das vorläufige Happy End eine der unwahrscheinlichsten Episoden der jüngeren Deutschraphistorie. Nicht nur, dass ein Ü-40er gerade als Support von RAF & Bonez durch die Republik gefahren ist, um zehntausenden Pubertierenden in ihrer feierwütigen Rebellionsphase mit einer Ballade die Feuerzeuge aus der Tasche zu locken. Nein, hier krempelt gerade einer mit musikalischer Weitsicht, eigens geschaffenen Indie-Strukturen und gesunder Attitüde das Spiel auf links. »Der Kosmos ist für mich bis heute Rhythm & Blues, HipHop, Dancehall, Reggae«, sagt Trettmann. Und mit »#DIY« braut er daraus seinen persönlichen Zaubertrank. Da ist der Blockreport »Grauer Beton«, den man mit seinen abstrakten Bildern und seiner bittersüßen Melancholie als ostdeutschen Take auf The Streets lesen kann. »Knöcheltief« liefert den Kontrast: An der Seite des autogetuneten Gzuz feiert Tretti seinen jüngeren Erfolg und zollt dabei der Kultur Tribut, der er sich in der Vergangenheit so gewissenhaft bedient hat. Auch »Callaloo« schlägt in die Dancehall-Kerbe und widmet sich Trettmanns Lieblingsthema, seiner Beziehung zu Frauen, mit zeitgeistigem, 808-gesättigtem Dancehall-Vibe. Und dann laufen Vergangenheit und Zukunft in »Großvater« endgültig zusammen; jener Song, den Trettmann bereits vor knapp zehn Jahren seinem väterlichen Familienoberhaupt widmete, hat er für »#DIY« noch einmal selbst gecovert – alte Geschichte, neues Gewand.

»Von den Flows, die man seit Young Thug, Travis Scott und Migos entwickelt, kommt man ganz schwer wieder los«, sagt Trettmann über seinen aktuellen Sound. »Das ist die Musik, die ich gerade wirklich fühle und liebe. Es gibt Dubplate-Anfragen, bei denen sich jemand ‚Skyline‘ auf ‚Sun Is Shining‘ von Bob Marley wünscht – und das funktioniert auch.« Für Trettmann schließt sich heute der Kreis: »Da kommt die Artverwandtschaft zutage, die sich nicht leugnen lässt. Die Grenzen verschwimmen gerade total: Auf jedem HipHop-Album ist ein karibisches Ding drauf, und die Franzosen machen Afro-Trap. Ich finde das geil. Was gibt es Schöneres, als wenn sich Styles mischen?« – »Wenn die Geschichten aus der Platte so abwegig verlaufen wie diese«, möchte man ihm entgegnen. ◘

Foto: www.kitschkrieg.de

Dieses Feature erschien erstmals in JUICE #182.

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