Kalim: »Ich hasse ‚Trap‘ als Kategorisierung für Musik.« // Interview

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Kein Jahr ist es her, dass Kalim seine Hörer am Schlafittchen durchs Barrio schleifte. Sein Debütalbum zeichnete ein bedrückendes Bild der Billstedter Blocks, in denen er aufwuchs. »Odyssee 579« war Kritikerliebling, die gerappte Selbsttherapie eines ­Dealers, der nicht nur mit Flow, sondern auch einer Bestimmung abseits der Straße gesegnet war. Was fehlte, war der G-Funk-Sound, den Kalim auf seinem AON-Erstling »Sechs Kronen« so stilsicher zelebriert hatte – eine Tatsache, die bei einigen Fans auf Unverständnis stieß. Aber scheiß drauf, so ist der Kreislauf: mit »Thronfolger« wird der eingeschlagene Weg Ende September konsequent fortgesetzt. Es ist wieder Zahltag, P***y!

Warte mal: »Thronfolger«? Kurz rattert mein Gedächtnis, dann folgt der Griff zu JUICE #161. Tatsache: Vor gut drei Jahren traf ich Kalim zum ersten Mal in den Räumlichkeiten von Groove Attack – der Vertrieb von Alles oder Nix Records hatte damals Labeloberhaupt Xatar mit dem für den offenen Vollzug notwendigen Arbeitsvertrag ausgestattet. Das anlässlich seines zweiten Mixtapes »Sechs Kronen« geführte Interview war Kalims erstes – und das subsequent veröffentlichte Feature trug die Headline »Thronfolger«. Kalim grinst wohlwissend, als ich ihm die alte Ausgabe Anfang August in einer Berliner Altbauwohnung unter die Nase halte, während die Nebelmaschine das Wohnzimmer in dichten Qualm hüllt. Wir sind am Set zum Videodreh von »Tresi« – mit Unterstützung von Locosquad-Bulldozer Luciano ist der Track eine erste Duftmarke, die beweist, dass Kalim und sein Haus-und-Hof-Produzent David Crates auch dieses Mal nichts haben anbrennen lassen.

Im letzten JUICE-Interview hast du von den Farben gesprochen, die einzelne Tracks oder ein ganzes Album für dich haben. »Odyssee« war schwarz. Wie ist das bei »Thronfolger«?
»Odyssee 579« hatte einen roten Faden, man konnte sich in die Situation hineinversetzen. Dieses Mal ging’s mir darum, einfach geile Songs zu machen und all meine Facetten zu zeigen – sei es »Tresi« mit Luciano oder ein R’n’B-Song wie »Bis um 4« mit Ace Tee. Egal wie »Odyssee« angekommen ist, ob es Leute verstanden haben – ich bin immer noch stolz darauf. Ich wollte trotzdem keinen zweiten Teil davon machen. Musik ist für mich Gefühlssache, sie spiegelt wider, wie’s mir beim Schreiben ging. In der Zeit vor »Odyssee« ist viel Scheiße passiert.

Das Jahr nach »Odyssee« war also nicht so beschissen wie die beiden Jahre davor. Wie hast du diese erlebt?
Ich hatte erst mal keine Zeit, um überhaupt Inspiration zu sammeln. Ich hab das Album veröffentlicht und musste direkt weiterarbeiten. So sind dann viele Momentaufnahmen entstanden. Aber ich hatte nicht das Problem, das viele erfolgreiche Rapper haben, wenn sie ein gutes Album machen: Dann gehst du auf Tour, spielst Festivals, machst alle möglichen Dinge, die nichts mehr mit deinem normalen Leben zu tun haben. Bei mir war das anders: Ich habe nur wenige Interviews gegeben, keine Tour gespielt – ich bin nicht so rumgekommen.

Den »Plan B«, also die Musik als Alternative zum Straßenleben, verfolgst du trotzdem weiterhin konsequent.
Auf jeden Fall. Es gibt nichts Besseres, als von der eigenen Leidenschaft leben zu können. Einfach Musik zu machen, ohne auf andere Gedanken zu kommen, ist schon geil. Ich scheiß auf Geld. Ich hab mich halt nur über die Jahre an einen gewissen Lebensstandard gewöhnt – der muss beibehalten werden.

Das ist mir aufgefallen, als ich deine Label-Kollegin Schwesta Ewa zum ersten Mal interviewt habe: Für sie war der Schritt aus dem Milieu hin zur Berufs­musikerin mit einem zu hohen finanziellen Ungleichgewicht verbunden.
Sie hat ja auch als Nutte gearbeitet. Wenn du da ordentlich ackerst, verdienst du richtig viel Kohle. Mann kann nicht davon ausgehen, dass bei einem Mixtape-Release ähnlich viel rumkommt. Das waren noch andere Zeiten: Da war man froh, wenn man Top 20 gechartet ist. Mittlerweile hat Streaming so an Relevanz gewonnen, es wird viel mehr Wert auf Hits gelegt. Und dann kommen noch die Boxen hinzu. Was man inzwischen an Umsatz generieren kann, ist schon beachtlich.

Hast du dich von diesem veränderten Klima in deiner Herangehensweise an die Mucke beeinflussen lassen?
Nee, Digga, dann hätte ich jetzt einen Afro-Trap-Song oder nen Dancehall-Track gemacht. Die, die das jetzt machen, rennen doch nur einem Trend hinterher. Und die Leute, die diese Songs dann hören und feiern, fühlen eigentlich den jeweiligen Künstler überhaupt nicht. Ich stehe für etwas, deswegen könnte ich jetzt auch nicht irgendeinen Scheiß rausbringen. Nichts gegen die Leute, die das in Deutschland etabliert haben: Bonez & RAF Camora kommen ja von da – hierzulande sind die Jungs das Original. Bonez hatte diese Melodien, als das sonst niemand im Deutschrap gemacht hat. Natürlich fahren die ihren Film jetzt weiter, weil’s läuft – völlig legitim. Nur die ganzen Geier, die bei diesem Trend nur Para und Klicks riechen, sind fake. Ich bin der Letzte, der jemandem seinen Erfolg nicht gönnt. Aber ich höre sofort, wenn etwas nicht echt ist, wenn da keine Leidenschaft drinsteckt.

»Odyssee 579« war soundtechnisch ein ziemlicher Einschnitt im Vergleich zu »Sechs Kronen«. Die Reaktionen darauf waren nicht nur positiv.
Auf »Sechs Kronen« gab es einen Song mit 88 oder 89 BPM – alles andere war schneller und eben klassischer G-Funk- und Boombap-Sound. Damit haben mich logischerweise viele Fans erst mal assoziiert. Ich nehme es diesen alten Fans nicht übel, wenn sie den Sound mehr feiern. Aber Menschen verändern sich. Wer meine neue Mucke nicht cool findet, soll sie nicht hören. Ich habe durch das Album auch extrem viele neue Hörer dazugewonnen. »Odyssee« ist für mich ein Klassiker. Ich zweifle daran, ob ich das mit »Thronfolger« wieder hinbekommen habe. Was den Sound angeht: Ich hasse dieses Wort »Trap« als Kategorisierung für Musik. Was bedeutet das eigentlich? Eigentlich könnte ich gar keine andere Musik machen, weil ich aus der Trap komme. Seit meinem zwölften Lebensjahr bin ich in der Trap unterwegs, Bruderherz.

Autotune, Dancehall, Afro Trap: Wie siehst du die aktuelle Entwicklung von Straßenrap?
Es kommt drauf an, wie man’s macht. Wenn du der nächste Typ im Paris-St.-Germain-Trikot bist, der auf Glockenbeats, wie SSIO es nennen würde, darüber rappt, dass er sich durchdribbelt wie dieser und jener Fußballer, dann hebst du dich nicht ab und kopierst nur bereits Vorhandenes. Wenn du es schaffst, deinen eigenen Charakter und Stil zu vermitteln, ist es egal, wie die Musik am Ende klingt. Wer im Fußballoutfit angeschlurft kommt, muss sich nicht wundern, wenn er in Schubladen gesteckt wird.

2017 ist in Sachen Beef und Gossip ein schlimmes Jahr für Deutschrap. Verfolgst du das überhaupt?
Nein, gar nicht … ich finde das oberpeinlich. Die Leute ficken ihre Mütter, und ein Jahr später lachen sie gemeinsam in die Kamera. Das funktioniert so nicht. Ich fühle HipHop aus einem Grund: weil man da echt sein muss. Alles andere ist Popscheiße. Mit »echt sein« meine ich nicht, dass man von der Straße kommen muss. Ich habe Trettmann auf meinem Album, der ist nicht Straße, aber trotzdem echt in dem, was er macht. Und ich habe Luciano drauf, das ist ein echter Junge von der Straße. Noch mal zurück zu diesem Beef-Scheiß: Ich kann das überhaupt nicht ernstnehmen. Mit 40 rappen Leute auf einmal über Straße, Gangs und Kredibilität. Das ist doch Fremdscham.

https://www.youtube.com/watch?v=dsM45OqtyWw

Was feierst du denn gerade so?
Kennst du diesen A.CHAL? Sein Album »Welcome To GAZI« habe ich rauf und runter gehört. Und natürlich Travis Scott. Apropos: Dem haben wir beim Wireless Festival Gras gegeben – Digga, die waren fasziniert von unserem Ott! Sein Manager kam erst mal zu Rin, mit dem ich da gerade rumstand. Travis’ Manager gab ihm Props für seinen Auftritt und meinte dann, ob er was zu rauchen klären könnte. Rin hat direkt mich angeguckt … der Drogendealer halt. (lacht) Der Manager meinte also zu mir: »We wanna see it before we buy« – ich hab dann gesagt: »Was für kaufen? Travis Scott ist doch Multi­millionär … komm, ich schenk euch das.« Also hab ich denen 25-prozentiges Haze gebracht. Die haben das geraucht und sind direkt wieder angekommen: »You got more, you got more?« Davor wollte ich aber erst mal ne Runde Tischtennis gegen Travis zocken, die hatten eine Platte im Backstage, und er hat die ganze Zeit gespielt. Ich war schon mies auf Bombay – als ich dann Richtung Platte lief, kam gleich sein Bodyguard und hat mich weggedrückt. Ich bin dann einfach gegangen, ohne denen noch was abzugeben. Die können doch nicht erwarten, dass ich deren Süchte befriedige, und mich dann nicht mitspielen lassen. Trotzdem Respekt an Travis, der hat richtig abgerissen.

Warst du beim splash! nicht auch am selben Tag gebucht wie Travis Scott?
Nein, ich war bei der Pre-Party am Donnerstag mit den ganzen anderen Kanaken: KMN, Luciano, ich. (lacht) Die Energie war krass – ich hab Luciano auf die Bühne geholt, um »Tresi« zum ersten Mal zu performen. Die Leute haben Moshpits gemacht, obwohl sie den Song noch gar nicht kannten. Das war eine geile Erfahrung – und ich hab meinen DJ auf der Bühne fast umgebracht.

Ich hab davon gehört. Erzähl mal, was war da los?
Ich will sowas ja auch nicht machen, aber der Typ hat meinen ersten splash!-Auftritt gefickt. Die Leute haben »Zugabe« geschrien, also wollte ich, dass er »Ja, immer« spielt. Aber was macht der DJ? Er spielt »Ich mach dich weg« – einen Song, in dem ich detailliert beschreibe, wie ich einen Menschen umbringe … das will doch niemand als Zugabe hören! Also ist meine Tourmanagerin zu ihm hin, worauf er »Ich mach dich weg« noch mal von vorne angemacht hat. Ich habe den Song dann einfach gerappt. Doch plötzlich ging der Beat aus. Als ich mich umgedreht hab, hat der DJ mit den Achseln gezuckt. Dann hab ich ihm ne Ansage gemacht, dass er »Ja, immer« spielen soll, und er hat wieder »Ich mach dich weg« angemacht … da ist mir der Kragen geplatzt. Erst hab ich das Publikum aufgefordert, ihn auszubuhen. Danach bin ich ein letztes Mal zu ihm hin – er hat’s trotzdem nicht gecheckt und wieder »Ich mach dich weg« gespielt. In dem Moment war alles zu spät: Ich hab einfach die Wasserflasche genommen und auf ihn geworfen. Die ganze Crowd hat gejubelt, diese schadenfrohen Kinder. (lacht) Danach hab ich ihn so sehr angeschrien, dass meine Stimme komplett gefickt war: »Mach Lied Nummer zwei an!« Das hat er dann endlich kapiert. Splash! war trotzdem ne geile Erfahrung. Ich hab mich im Anschluss bei einer Dame von der Organisation entschuldigt. Das war, als müsste ich mich beim Klassenlehrer entschuldigen, damit ich das nächste Mal wieder mit auf Klassenfahrt darf. (lacht)

Ich hoffe, der DJ hat keine bleibenden Schäden davongetragen.
Nee, Digga. Aber ich hab den per Zug nach Hause geschickt. Wir waren mit meinem Auto angereist und ich wusste, dass ich ihn die ganze Heimfahrt über nur beleidigt hätte. Also hab ich ihm Geld in die Hand gedrückt. Wir saßen dafür dann auf der Heimfahrt zwei Stunden im Stau, ohne dass irgendwer im Auto auch nur einen Tropfen Wasser gehabt hätte … ich wäre fast kollabiert. Das war der Fluch des DJs.

Foto: Johannes Schumacher

Dieses Feature erschien erstmals in JUICE #182 – hier versandkostenfrei bestellen.

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