Auge auf »Watch The Throne«: Track-by-Track-Analyse von Kanyes & Jay-Zs Klassiker // Review von 2011

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9. »Who Gon Stop Me«

Ghostface sag’s ihnen: »Now THIS shit is a problem, yo!« Irgendwie ging das aber auch wirklich zu lange gut. Beinahe erschreckende acht Tracks mit vollem Louis Vuitton Don-Einsatz und erst beim neunten stellt sich dieser schlimme, nach alten Gewohnheiten riechende, »Kanye, halt dein dummes Maul«- Moment ein. King Dingeling, der erst kürzlich verlauten ließ, er würde auf dem Big Chill Festival angestarrt werden wie Hitler, macht uns den Heiner Geißler und zündet gleich im Intro zu »Who Gon Stop Me« die H-Bombe: »This is something like the holocaust/ Millions of our people lost.« Gulp.

Da kann man jetzt verschiedentlich mit umgehen. Man könnte zum Beispiel sauer sein. Dann käme erschwerend hinzu, dass der unsensible Einstig keine ungezügelte Wut über rassistische Ungerechtigkeiten zur Folge hat, sondern bloß wieder in billigen Rhymes den eigenen Exzess zur angemessenen Reaktion auf was-auch-immer verklärt. »Bow our heads and pray to the lord/ Til I die Imma fuckin ball/ Now who gon stop me, huh?« Man könnte aber auch einfach akzeptieren, dass Kanye halt gerne mal ein bisschen dummes Zeug redet und sich dahinter unter keinen Umständen eine politische Agenda verbirgt. Zum selben Ergebnis kommt man übrigens auch, wenn man das vermeintliche Skandälchen in einer das Sommerloch-stopfenden Glosse in die Tradition des Historikerstreits Habermas vs. Nolte stellt. So geschehen in der Onlineausgabe der »Welt«. Mit der Anti-These zu »George Bush doesn’t care about black people« hat man es hier also wirklich nicht zu tun. Gemein haben beide Aussagen bloß eins: Kanye durfte an äußerst exponierter Stelle passieren, was in Kanyes Welt eben immer noch die oberste Prämisse darstellt: Inhalt follows function.

So, nachdem das geklärt wäre, kann man sich endlich auf die Musik konzentrieren, die bislang ja tadellos bis begeisternd gewesen ist. Und wow, die Dreistigkeit erreicht Rock Bottom (vorerst!). Großartig eingesetzte Bass-Säge, atmosphärische Synthie-Strings, dazu ein hypnotisch, aber unaufdringlich gelooptes Vocalsample mit tiefem Pitch. In gewisser Weise erinnert das Instrumental an eine der besten Szenen der eh schon überragenden zweiten Staffel der HBO-Serie »Treme«. Darin lernt die begabte Sängerin/Violinistin Annie eigene Stücke zu schreiben und zeigt ihre ersten Gehversuche ihrem Mentor. »Super, Du hast einen Hit geschrieben!« »Ehrlich, ist er so gut?« »Naja, es ist ‚Don’t Think Twice It’s Alright‘.« Auch »Who Gon Stop Me« ist ein Hit, zweifellos. Nur eben nicht der von Kanye und Hova, sondern die wenig veränderte Dubstep-Hymne »I Can’t Stop« des britischen Producers Flux Pavilion. Dass man darauf unheimlich gut rappen kann (und, zumindest in dem einen Fall auch besser als Kanye und sogar als Jay-Z) hat das UK-Übertalent P Money mehr als eindringlich bewiesen.

Insofern ist »Who Gon Stop Me« das komplette Gegenstück zu »Otis«, oder Q-Tips Apache-Hexerei auf »That’s My Bitch«. Kein respektvolles Kopfnicken in Richtung alter Helden, keine sinnvolle Neustrukturierung, sondern die schmierlappige Aneignung einer Ästhetik, die man nicht im Ansatz verstanden hat. In dieser Beziehung gibt es auch nichts zu beschönigen, da sind Yeezy, Sak Pase und Mike Dean keinen Deut besser, als der notorische Will.I.Am, der die Crookers und Boys Noize bestiehlt, oder Jimmy Iovine, der befand, dass der Song »Dare To Dream« des Grime MCs Skepta doch viel eher von Eminem bespuckt werden sollte und den Tune kurzerhand bei YouTube sperren und nachbauen ließ (zum Vergleich: Drakes Bearbeitung von Jai Pauls »BTSTU« ergab wenigstens einen super klingenden Song). Eine unerträgliche Arroganz, die langsam Mode zu werden scheint und sich auch mit der Einsamkeit an der Spitze oder den paar Flugstunden Entfernung über den Atlantik nur schwer erklären lässt. Wer Flux Pavilion vor und nach »Watch The Throne« nie gehört hat, und jeweils zwischen den Strophen eine Zeile lang die Ohren zu macht, könnte »Who Gon Stop Me« für einen progressiven, coolen Song halten, der dem Album mittels eklektischer Note gut zu Gesicht steht. Allen andern bleibt eine mittelmäßig berappte, faustdicke Frechheit und somit der erste Totalausfall auf »Watch The Throne«.

Ach, und um noch kurz auf die These einzugehen, »WTT« sei eigentlich ein Kanye Album mit vielen Jay-Z-Features: Der ist natürlich auch für »Who Gon Stop Me« verantwortlich, schließlich steht sein Name mit drauf. Aber bei so vielen Fettnäpfchen auf einem Track, wirkt der kleine Fehler in Jiggas Strophe, in der er abermals sein Brillengestell-legitimierendes Kunstwissen unter Beweis stellt und Rilke blöderweise für einen Maler hält, geradezu befreiend sympathisch.

On to the next one.

Text: Julian Brimmers

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