Haftbefehl: »Die Community hier ist schwach« // Titelstory #149

-

fotodimatti-1334-Haftbefehl-650
Will man im hiesigen HipHop-Internet die aktuellen Konfliktlinien ausloten, hat man derzeit zwei ­Möglichkeiten: Entweder man postet irgendwas über Cro. Dann kommen die Mützenmädchen und Jutebeutel-Knaben, die Ü30-Realkeeper und zu früh Hängengebliebenen, die Jappy-Gangster und Förderklassen-Babas und erklären sich gegenseitig, was an dem Schwabenpanda nun so <3, nicht oder vielleicht doch total HipHop oder einfach nur extrem schwul ist. Hasslevel: normale ­Meinungsverschiedenheit ohne Anfassen. Oder man postet irgendwas über Haftbefehl. Dann kommen alle. Und schlagen sich mit einem heiligen Eifer virtuell die Fresse ein, als hinge der Fortbestand der Spezies davon ab. Hasslevel: Gjakmarrja bis alle tot sind. Haftbefehl ist ohne Zweifel die umstrittenste Figur im zeitgenössischen deutschen Rap.

Dabei ist die ganze Aufregung aus der Sicht aufgeschlossener Rap-Fans nicht unbedingt nachvollziehbar. Hafti macht nämlich genau das, was wir hören wollen: frische, innovative, technisch anspruchsvolle und kantige Rapmusik. So radikal wie Haftbefehl hat sich noch kein Rapper die deutsche Sprache zurechtgebogen, was haben wir uns gefreut über so viel absurden Slang, so mutig eigensinnige Flows, so viele Neuzugänge im Silbensetzkasten – eova Cho –, so geil dreiste Ansagen und mutwillig falsche Betonungen. Und seit Haftbefehl anno 2009 seinen »Unter Tatverdacht«-Featurepartner Criz mit einem Adlib-Einschub in dessen Verse zum Nebendarsteller degradierte, blieb aus jedem neuen Hafti-Video mindestens ein Spruch, eine Vokabel, eine Betonung, eine Geste im kollektiven Rap-Gedächtnis kleben. »Bankraub im Turban«, die Schraubbewegung der Hand, damit hat’s angefangen. Und mittlerweile weiß auch jeder Nicht-Chabo, wer der Babo ist, und fährt am liebsten im Äsäläs Märzädäs vor, wenn jemand Harekets macht. Azzlack Tarikat über alles.

Dazu kommt: Dieser Aykut Anhan aus dem hessischen Offenbach ist ohne Zweifel einer der charismatischsten Rapper, die je einen Reim auf Deutsch geschrieben haben. Ein sympathischer, jovialer Hüne mit einem schelmischen Grinsen auf den Lippen und einem chemischen Glitzern in den Augen, der sofort die gesamte Aufmerksamkeit auf sich zieht, wenn er den Raum betritt – und genügend Humor, Charme und Mit­teilungsbedürfnis mitbringt, selbigen auch im Alleingang zu unterhalten. Nicht nur ein faszinierender Künstler, sondern eine Star-Persönlichkeit by nature. Kein Wunder, dass Sido und Jan Delay mit ihm arbeiten wollen, dass sich Marteria und Curse als Fans outen, dass Cro Hafti-Videos bei Facebook teilt – sie alle wissen, wer der Babo ist. Und dass der Babo obendrein ein richtig cooler Typ ist.

Dabei dürfte man es Haftbefehl nun wirklich nicht krumm nehmen, wenn er kein so entspannter Mensch wäre. Denn einfach hat es der junge Mann mit türkisch-kurdischen Wurzeln nun wirklich nicht gehabt. Als er 14 ist, verliert er seinen Vater und gerät auf die schiefe Bahn, mit der Schule geht es steil bergab, mit der kriminellen Karriere hingegen steil bergauf. Mit 18 Jahren flüchtet er zusammen mit seinem großen Bruder von Offenbach nach Istanbul, in Deutschland wird er per Haftbefehl gesucht – sein MC-Alias ist also durchaus Programm. Zwei Jahre verbringt er in Istanbul, in dieser Zeit fängt er an, seine Erlebnisse in Reimform zu Papier zu bringen – und kehrt schließlich mit einem Style nach Deutschland zurück, der sich extremst vom restlichen Deutschrap-­Geschehen unterscheidet. Erste Wellen schlägt als er Signing bei Jonesmanns Echte-Musik-Label, der weitere künstlerische Werdegang ist bestens auf YouTube ­dokumentiert – und das überbordende Feedback darauf ebenso.

Es ist geradezu erstaunlich, was für ­Reaktionen Haft mit seinen Videos bislang provozierte: Hüben covern langhaarige Jungs mit Akustikgitarren seine Songs, drüben hagelt es Diss-Tracks von mehr oder weniger talentierten Gestalten mit Rap-Ambitionen. Und drunter tobt der mittlerweile völlig vorhersehbare Kommentarkrieg: Aus falsch verstandener Realkeeperei wird in schöner Regelmäßigkeit blanker ­Rassismus, »Was hat das mit DEUTSCHrap zu tun«, »dummer Sonderschulkanacke«, »der gehört abgeschoben«, »Kameltreiber« – so was muss man da lesen. Daneben schlagen sich kurdische und türkische Internetkrieger schriftlich den Schädel ein, religiöse und nationalistische Fanatiker machen Haftbefehl für den Untergang des Abend- wie Morgenlandes verantwortlich. Und auch wenn man angesichts dieses Wahnsinns nur noch den Kopf schütteln möchte, steht eines fest: Haftbefehl bewegt die Menschen. Die Klicks kommen jedenfalls millionenfach rein.

Zum Interview in einem Frankfurter Restaurant erscheint der Azzlack Kommandant mit moderater Rapper-Verspätung und guter Laune, trotz Hangover vom Vortag. »Ich bin grad erst aufgestanden«, erklärt er. Und verputzt zum Frühstück um neun Uhr abends erst mal eine Tomatensuppe mit Parmesan, einen großen Teller Garnelen und das obligatorische argentinische Steak, um zwei Stunden später noch mit Rindswurst, Cheeseburger und Pommes nachzulegen. Den Witz mit dem jungen, hungrigen Rapper sparen wir uns hier – und dass man beim Essen nicht spricht, ist Hafti auch herzlich egal. Angesprochen auf sein neues Album »Blockplatin«, sprudelt es nur so aus ihm heraus.

Was hat es mit deinem Doppelalbum »Blockplatin« auf sich?
Eine Seite heißt »Block«, die andere »Platin«. Die »Block«-Seite ist ein richtiges Straßen­album. Und auf der »Platin«-Seite hab ich ein bisschen experimentiert, so mit diesem Club-Sound. Ich finde es traurig, dass ­deutscher HipHop nicht in Clubs läuft. In Frankreich läuft in den Clubs nur ­französischer HipHop, kein Ami-Scheiß. Deswegen sind auch die Verkaufszahlen in Frankreich so gut. Da ist die Szene viel stärker, obwohl es ein kleineres Land ist. Wie kann es sein, dass ein Booba 400.000 Alben verkauft und der größte Straßenrapper in Deutschland nur 150.000? Da stimmt doch irgendwas nicht. Die Community hier ist schwach. Das ist einfach die Wahrheit. Und deswegen hab ich mal was Neues gemacht, ich hab mit Jungs gearbeitet, die für Amis produzieren, Leute aus der Pop-Szene. Ich war zum Beispiel in Düsseldorf bei einem Typen namens Collins und seinem Bruder DJ Frizzo, der hat für Shaggy produziert. Ich hab das ja auf »Kanackis« schon probiert mit M3, und das, was ich da ausprobiert habe, habe ich jetzt perfektioniert.

Wie würdest du den Sound beschreiben?
Der Sound ist sehr amerikanisch, teils wie die alten 50-Sachen.

Also auch ein bisschen größen­wahnsinnig.
Auf jeden Fall. Aber ich hab das auch sehr gut hingekriegt. (grinst) Und ich habe ja auch den Song »Generation Azzlack«, auf den die ganzen Kanaken gerade voll ­durchdrehen. Wenn die auch alle meine CD kaufen würden, Alter … Naja, auf dem Song drehe ich richtig durch. Die gleiche Stimme wie bei »Nehm dir alles weg«, aber raptechnisch auf einem ganz anderen Level. Flowtechnisch ganz was Neues. Ich hab mir echt sehr viel Mühe für das Album gegeben, sogar auf Konzerte verzichtet. »Kanackis« hab ich ja eigentlich hingekackt. Ich konnte mich da nicht richtig reinhängen, weil ich einfach zu viel unterwegs war – 62 Konzerte in einem Jahr. Das heißt: jedes Wochenende. Gib dir halt mal 62 Konzerte Autobahn, das geht irgendwann auf die Psyche. Diesmal hab ich aber alle Konzerte abgesagt. Ich hab zwölf Konzerte gespielt, und seit Mai war ich in Düsseldorf. Insgesamt hab ich mir fünf Monate Zeit genommen für das Album und konstant daran gearbeitet.

Kann es sein, dass dir die »Platin«-Seite mehr am Herzen liegt, so wie du darüber sprichst?
Ja, die »Platin«-Seite liegt mir echt sehr am Herzen. Die »Block«-Seite hab ich für die Heads gemacht, für die Leute, die seit »Azzlack Stereotyp« dabei sind und sich beschwert haben, dass ich mich auf »Kanackis« so verändert habe. Die »Block«-Seite ist also meinen Fans gewidmet. Aber um ehrlich zu sein, hatte ich eigentlich gar keinen Bock, die zu machen. Eigentlich wollte ich mit dem Album das Kapitel Straßenrap abschließen. Wir haben 2013. Der Rap-Sound hier ist sehr zurückgeblieben, kaum jemand experimentiert. Was Fler zum Beispiel gerade macht, das finde ich cool. Er probiert was Neues aus. Props an Fler. Die anderen Straßenrapper machen aber alle dasselbe. Jedes Mal aufs Neue. Ich hab damals »Azzlack Stereotyp« gemacht, das war ein Block-Album à la française. Aber ich höre mir zehn andere Alben von anderen Rappern an, und die klingen alle gleich. Der Sound ist immer gleich. Und nicht mal der Flow ändert sich! Das ist doch kein Rap, Alter.

Aber so hat Straßenrap lange funktioniert, immer das gleiche Bushido-Rezept.
Ja, aber so kommt man doch nicht voran!

Merkst du eigentlich, dass die Leute ­mittlerweile dich kopieren?
Klar. Es gibt Leute, die kopieren mich, sind aber so verzweifelt, dass sie kein Feature kriegen, dass sie mich dissen. So verrückt ist es schon geworden. Wenn ich mir ihren Sound anhöre und schaue, wie sie ­früher rumgelaufen sind, und sehe, wie sie jetzt klingen und wie sie jetzt rumlaufen … ­Bushido hat das schon gut gemacht damals, er hat einen eigenen Sound und einen eigenen Style gebracht – und wurde von allen kopiert. Und das passiert bei mir jetzt auch. Es gibt Leute, die sind schon viel länger als ich im Geschäft, aber die sind so krasse Fans von mir geworden und hören meine Musik so intensiv, dass sie mittlerweile meinen Wortschatz benutzen und so betonen wie ich. Wo sich dann auf einmal Sachen reimen, die sich eigentlich gar nicht reimen. Wer macht das denn außer mir? Vielleicht haben das Azad und Savas auch schon gemacht, aber halt ganz anders. Wer bitte reimt »Dresden« auf »NPD«? Und es ist trotzdem rund, verstehste? Ich hab das gemacht. Celo hat es noch verrückter gemacht. Bei uns muss man einen Song erst ganz oft hören, bis man den Flow versteht.

Und bis man auch den Text ganz versteht.
Joa, ich benutze schon viele spezielle ­Wörter. Aber ein Frankfurter versteht das. Bei »Chabos wissen wer der Babo ist« hab ich ja extra den Text unters Video schreiben ­lassen. Und ich hatte sogar die ­ausländischen Wörter übersetzt, aber er (deutet auf seinen Manager Chan) hat es nicht eingetragen, der Asi. Ich hab ihm geschrieben: »Tokat«, dahinter muss in Klammern »Ohrfeige«. Damit man das auch versteht. Sonst denken die Leute doch, der redet nur Ausländisch. Hätteste ruhig machen können, Chan. (lacht) Mir ist jedenfalls sehr wichtig, dass die Leute auch verstehen, was ich da rappe. Letztendlich ist der Song so was wie »Azzlack Stereotyp«, bloß vom Sound ein bisschen weiter und halt viel schneller gerappt. Die Zeiten ändern sich, Rap wird schneller. Das merkt man ja, wie Drake und Rick Ross mittlerweile abspacen.

Das ist auch der Sound, den du hörst?
Ja. Die »Platin«-Seite ist voll DJ Khaled. (lacht) Ich orientiere mich schon sehr an Amerika, ich höre keinen deutschen Rap. Der Einzige, den ich zur Zeit höre, ist Cro. Sonst nix.

Was gefällt dir denn so an Cro?
Was er macht, ist simpel, aber sehr ­musikalisch. Und der Junge macht Hits. Das muss man ihm lassen. Die Songs haben ein ­Konzept, das feiere ich an ihm. Und deswegen versteht er auch meine Musik und gibt mir Props. Weil ich eben auch weiß, was Musik ist.

Was ihr auch gemeinsam habt, ist, dass viele Leute über eure Musik sagen: Das kann ja jeder.
Ja, dann sollen sie doch einen Song machen wie »Easy«, wenn das so einfach ist. Der Junge ist knaller. Ich geb ihm ab jetzt auch Props in jedem Interview. Ich mache ja auch »simple« Songs, zum Beispiel »Ba Ba«. Das sieht ganz simpel aus, aber wenn man sich mal hinsetzt und schaut, was ich auf was reime und wie ich da flowe, dann sieht man auch, was für eine Kunst dahintersteckt.

Das ist ja auch der Grund, warum du nicht nur die typischen Straßenrap-Fans hast, sondern auch viele Backpacker und Nerds deine Musik hören.
Ey, ich hab sogar Skater als Fans! Neulich haben mich in Berlin welche umzingelt. Ich war im Steigenberger am Los-Angeles-Platz, wo die alle abhängen. Ich komm da raus, noch total verstrahlt, auf einmal kommen da 50 Skater auf mich zugelaufen. Ich so mit Sonnenbrille auf, hab versucht, die abzuwimmeln: Ich bin nicht Haftbefehl! Aber Celo ist gleich auf die zu und hat die begrüßt. Skater, Alter. Krass. Aber richtig coole Leute. (lacht)

Wenn du sagst, du hattest eigentlich keinen Bock auf die »Block«-Seite, warum hast du sie trotzdem gemacht?
Ach, weil die Leute rumheulen. Aber ich hab das jetzt wirklich das letzte Mal gemacht. Ich werde zwar auf jeden Fall noch Knaller machen. Vor allem mit meinen Azzlackz, die fahren ja auch den Film und werden den auch weiter fahren. Aber ich will mich musikalisch beweisen. Ich will beweisen, dass ich nicht nur Rapper bin, sondern wirklich Musik machen kann. Ich hab auf der »Platin«-Seite ja auch gesungen. Richtig gesungen, à la Xavier Naidoo, Alter. Ohne Auto-Tune. Kann man sich schon anhören. (lacht) Oder? Geht schon, oder? Eigentlich wollten wir die Hooks, die ich da gesungen habe, noch von jemandem einsingen lassen. Aber dann wurde das gemischt und wir dachten uns: Lassen wir es einfach so. Weil es richtig gut ist. Es ist jetzt nicht Amy Winehouse oder Adele, aber es ist schon krass. (lacht)

Findest du, dass die Musik von der »Block«-Seite nicht mehr zu deinem Leben passt?
Ja, genau. Ich kann doch nicht die ganze Zeit so einen Straßenfilm fahren, wenn ich gar nicht mehr auf der Straße bin. Auf »Azzlack Stereotyp« hatte ich ja wirklich noch Hunger. Da war ich wirklich noch auf der Straße, aber so richtig. Da war ich noch nachts am Bahnhof mit Tütchen. Und ­deswegen habe ich auch so ein krasses Album gemacht, das wirklich straße ist. Aber wenn ich jetzt Patte mache mit Musik, die ganze Zeit in Hotels abhänge und voll das schöne Leben habe, kann ich doch nicht darüber rappen, wie scheiße das Leben ist und dass ich Drogen verkaufe. Mein Leben ist mittlerweile ganz anders. Ich trag ’ne Zehntausend-Euro-Uhr, Alter. Und die hab ich nicht mal gekauft, die habe ich geschenkt bekommen. So einen Film lebe ich.

Das ist der klassische Drahtseilakt, wenn Rapper dann über Dinge sprechen, die die Fans nicht mehr nachvollziehen können.
Deswegen musste ich auch die »Block«-Seite machen. Und die war auch ein Grund, warum ich viele Konzerte abgesagt hab. Weil ich dafür ja auch wieder auf der Straße unterwegs sein musste mit meinen alten Leuten. Die »Block«-Seite hab ich hier in Frankfurt geschrieben, die »Platin«-Seite in Düsseldorf. Es ist so ein geiles Album geworden, ich schwör’s dir. Ich bin so stolz drauf.

Derzeit gibt es ja zwei große Fan-Blöcke im Deutschrap. Cro auf der einen Seite, du und die Azzlackz auf der anderen. Wie nimmst du selbst das wahr?
Ich sag dir mal was: In Deutschland gibt es einen Cro, den halten sie gerade alle hoch. Aber jetzt brauchen die Kanaken einen, den sie hochhalten können. Und das bin ich. Wen gibt es denn sonst noch, außer Azad? Und klar, wir sind vom Style und von der Musik her verschieden. Aber so verschieden sind wir dann doch nicht. Er hat einen Song namens »Einmal um die Welt«. Er erzählt das schön, so: Komm Baby, wir fliegen zusammen um die Welt. Ich hab einen Song namens »Einmal um die Welt und zurück«: Ich fliege alleine um die Welt. Und ich ficke die Welt. Das ist der Unterschied. (lacht)
Und weißt du, wem ich auch noch dicke Props gebe? Marteria. Krasser Künstler. Richtig geil.

Marteria ist ja auch einer, der sehr gerne Props gibt. Wenn ihm was gefällt, dann sagt er das. Und das ist auch eine ­relativ neue Entwicklung im Vergleich zu der ­Haltung aus der Bushido/Aggro-Ära, wo man auf die anderen Künstler eher ­geschissen hat.
So was ist aber nicht cool. Ich bin da nicht so. Wenn mir was gefällt, dann sag ich das auch. Klar, wenn es um Straßenrap geht, da bin ich einfach der Beste. Und ich bin auch immer noch das Frischeste im Straßenrap, weil ich immer noch neue Sachen ausprobiere. Denn wenn man sich nicht weiterentwickelt, dann wird man auch nie den Song machen, der dein Leben verändert. Ich bin Musiker, ich bin kein Rapper.

Was willst du denn im Leben erreichen?
Also wenn mich der Wodka nicht umbringt … Nein, Spaß. Mein Traum ist es, mal ein richtig krasses Anwesen zu haben, mit einem abgefuckt krassen Studio, und dort mit neuen Talenten zu arbeiten. Ich will nicht die krasse Ikone werden. Aber ich will schon, dass die Leute auch in Zukunft über mich reden. Auch wenn ich vielleicht nur noch fünf Jahre rappe. Ich glaube nicht, dass ich mit 35 noch davon erzähle, was für ein krasser Gangster ich bin. So ein Mensch bin ich nicht. Ich will das ja jetzt schon nicht mehr machen, weil ich das ja nicht mehr bin. Aber steig mir auf die Füße und ich zeig dir, wer ich bin.

Also willst du eher Puffy als 2Pac werden?
Nee. Puffy ist schwul, Alter. Lieber Dr. Dre. Aber ohne dieses Ballettkleid, was er da mal anhatte. Wirklich jetzt, lieber selber produzieren. Ein Diddy hat vielleicht mehr Geld als ein Dre. Aber Diddy geht doch vor Dre auf die Knie. Ich will auf jeden Fall Respekt.

Arbeitest du jetzt schon auf so einen Status hin? Oder verfeierst du deine Kohle?
Hmm, joa … Das mache ich grad noch, ja. Ich verdiene jetzt keine Millionen mit Musik, auch wenn es schon ein Haufen Kohle ist. Rechne mal 62 Auftritte, da kommt schon einiges zusammen. Ich verfeiere schon viel, aber ich helfe auch vielen Menschen. Es gibt so 15, 20 Leute in meinem Leben, die ich finanziell unterstütze. Sparen fällt zur Zeit also aus.

Also legst du jetzt noch kein Geld zurück für das Anwesen mit Studio.
So mit Bausparvertrag und so? Nee, ich lebe schon à la HipHop. Aber wenn ich wirklich mal 100.000 Platten verkaufe oder so, dann werde ich auf jeden Fall anfangen zu sparen. Dann lege ich mal was zur Seite, so ohne Finanzamt. (lacht)

Jeder halbwegs erfolgreiche Rapper holt sich ja zumindest irgendwann mal eine Eigentumswohnung.
Ich gebe mich nicht mit einer Eigentumswohnung zufrieden. Würde ich das alles für eine Eigentumswohnung machen, könnte ich genauso gut Drogen verkaufen. Ich will mehr erreichen im Leben. Und ich weiß, wenn ich kriminell geblieben wäre, hätte ich nie Erfolg gehabt im Leben. Ich wäre im Knast gelandet, jemand hätte mich abgeknallt oder ich hätte jemanden abgeknallt. Ich will mehr haben. Ich will ein Haus haben, ich will eine Restaurantkette aufmachen – ich hab mir schon ein paar Ziele im Leben gesetzt.

Wieso unterstützt du andere Menschen finanziell? Du könntest ja mit deiner Kohle machen, was du willst.
Das ist ein Muss. Weil ich den Menschen was zurückgeben will. Ich bin kein Egoist. Dieses »Alle haben auf mich geschissen, jetzt scheiße ich auch auf alle« – das ist doch Schwachsinn. Je mehr du gibst, desto mehr wirst du kriegen. Alles kommt zurück im Leben. Die Rapper, die so denken und so handeln, die sind nicht glücklich. Wallah, die sind einsam. Und manche würden das vielleicht sogar gerne machen und anderen helfen, aber die drücken Schutzgeld ab. Und das ist die Wahrheit. Jeder Straßenrapper in Deutschland zahlt Schutzgeld. Wir sind die Einzigen, die nicht abdrücken.

Deinen kleinen Bruder Capo supportest du auch sehr stark, er ist in jedem Video zu sehen.
Na klar, das ist ja auch mein Bruder. Und der ist auch voll am Machen gerade. Der hat Songs aufgenommen – obergeil, ich schwöre. Die Straßensachen, die er vorher gemacht hat, die haben mir nicht gefallen. Aber das was er jetzt macht … Respekt.

Also liegt das Talent in der Familie?
Das liegt im Fleiß, Dicker. Und am Musik­geschmack.

Was hat es eigentlich mit deiner ­Faszination für Miami auf sich? Du warst ja auch da, um ein Video zu drehen.
Oh, Miami. Die Stadt, Alter. Du kommst da am Flughafen an, und der sieht voll alt aus, so mit Leopardenteppich auf dem Boden. Das sieht aus wie bei »Miami Vice« oder »Scarface«. Dann kommst du raus und siehst erst mal den Hafen – da kommt das Yayo her. Und lauter Latinos. Das ist Amerika, aber hat einen sehr starken Latino-Touch. Sogar die Bullen dort sind alles Latinos. Viele Leute sagen ja, die Amis sind dumm. Klar, die kennen nur Amerika. Wenn du sagst, du bist aus Deutschland, dann kommen die gleich mit Hitler. Okay, jetzt kennen sie auch die Merkel, weil die das hässlichste Staatsoberhaupt der ganzen Welt ist. Die setzen sich eben nicht mit der restlichen Welt auseinander. Aber das sind wirklich nette, herzliche Menschen. Viele hassen zwar Moslems, aber man darf auch nicht vergessen, dass die das nicht anders gelernt haben. Ich nehme das denen nicht übel, weil dort regiert ja Hollywood – und da sind ja immer die Moslems die Terroristen. Ist doch klar, dass dann viele dort so denken. Aber ich will gar nicht so viel über Politik reden. Ich finde Amerika geil.

Und man kann da super Geld ausgeben.
Auf jeden Fall. Ich würde jedem raten, da mal hinzufahren. New York soll ja auch geil sein, aber da war ich leider noch nicht. Bevor ich nach Amerika gefahren bin, war ich ja voll der New-York-Fan: Bad Boy und das alles. Und dann war ich in Miami, und da hab ich mir dann alles von dort reingezogen, Lil Wayne oder auch Rick Ross. Vorher hatte ich voll die Vorurteile gegen den, weil er ja Gefängniswärter war. Ich dachte mir: Was redet der eigentlich für einen Scheiß? Aber was der raptechnisch macht – das ist nicht mehr normal. Und die Leute, die ich da getroffen habe, so Straßenleute, Typen aus der Hood – die hören auch alle Rick Ross. Also hab ich meine Vorurteile mal beiseite gelassen und mir einfach den Sound reingezogen. Und dann hab ich gemerkt: Die haben recht. Rozay ist echt der Shit. Und seitdem bin ich Fan. Krasser Rapper.

Aber du hast ja auch schon vor deinem Miami-Besuch Songs gemacht, die so einen Einfluss erkennen ließen. »Ich und meine Sonnenbrille« klingt ja schon auch so ­verkokst größenwahnsinnig.
Weißt du, was der Song bedeutet? Kennst du »Sunglasses at Night«? Genau, der Song hat eigentlich keine Message. Der ist einfach nur behindert. Aber aus so was Behindertem, was einfach nur behindert ist, einen Song zu machen, den man sich anhören kann, das ist die Kunst. »Blockplatin« ist aber nicht ganz so behindert. Obwohl, da sind auch zwei, drei richtig behinderte Songs drauf. So richtig geistig behindert, auf fünf Flaschen Rosé. Als ich im Studio war, lagen da hundert Flaschen Champagner. So arbeite ich. Nicht immer, aber immer dann, wenn ich so richtig behinderte Sachen mache. Auf der »Platin«-Seite sind einige Flaschen Moet Rosé zu hören. Das Zeug schmeckt eigentlich wie Pisse, aber es knallt geil. Es macht irgendwie high. Du bist nicht wirklich betrunken, es knallt irgendwie anders. Danach hast du ganz ekelhaft Sodbrennen, es schmeckt überhaupt nicht, aber der Kick ist geil. Aber welcher Alkohol schmeckt schon?

Mit dem Erfolg kommen ja bekanntlich auch die Hater. Abgesehen von Schwesta Ewa dürftest du ja die schlimmsten ­YouTube-Kommentare von allen haben …
So was ist doch scheiße. Daran merkt man, was für ekelhafte Menschen es gibt. Anstatt dass sie ihr das gönnen und sich freuen, dass sie was aus ihrem Leben macht, machen sie sie runter. Das ist doch gut für sie! Soll sie doch Rapmusik machen, anstatt im Bordell zu arbeiten. Dann kann sie endlich ein ganz normales Leben führen. Sie hat nun mal eine Scheißvergangenheit gehabt, aber sie macht was aus sich. Ich finde das total traurig, dass die Leute sie so dumm anmachen. Sogar Rapper haben die dumm angemacht! Nur weil sie selbst nichts auf die Reihe bekommen, machen sie dann eine Frau so dumm an. Das ist doch lächerlich. Die rappen zehn Jahre, kriegen nix hin und jaulen immer noch rum, was für krasse Gangster sie sind. Ich bitte dich. Sucht euch mal einen Job!

Wie gehst du selber mit so was um? Es gibt ja auch viel Gegenwind, diese Rap-­Analysen zum Beispiel.
Ich sag dazu nur: Wer bist du schon, Julien? Ich bin zwar kein Student, doch mein Name reimt sich nicht auf Hurensohn. Thema geklärt. Rap-Analysen. Wie lächerlich das ist. So was gibt’s doch wirklich nur hier in Deutschland.

Nervt dich das, dass du in Interviews auch immer auf Beef angesprochen wirst?
Mir ist das egal. Wenn ich dadurch eine Seite mehr in der JUICE kriege – warum nicht? (lacht) Nein, das ist schon okay. Das gehört zum Geschäft, ­solche Sachen passieren. Aber es ist einfach lächerlich, wenn sich jemand nur damit beschäftigt, meinen Namen in den Dreck zu ziehen. Aber die Leute kennen mich ja nicht persönlich. Ich bin doch menschlich total korrekt. Übertrieben korrekt, auch wenn es ums Geschäft geht. Ich hab Celo & Abdi ­rausgebracht, ich hab Veysel rausgebracht – und die Jungs haben noch nicht mal einen ­Vertrag bei mir. Die haben bis heute kein Papier unterschrieben. Ich verlass mich auf die Jungs. Ich hab meine menschliche Seite gezeigt, ich bin gutmütig. Und die Jungs sind korrekt.

Hast du keine Angst, dass du übers Ohr gehauen wirst?
Doch. Das soll mal jemand machen. Alles im Leben kommt zurück. Ich glaube an Karma. Wenn ein Mensch kein Gewissen hat, dann ist er zur Hölle verdammt. Und die Hölle ist kein Saunaclub, mein Bester. Wenn jemand nicht an so was glaubt, dann will ich mit dem gar nichts zu tun haben. Und das hat jetzt nicht unbedingt was mit Religion zu tun. Ganz ehrlich, ich bin ein schlechter Moslem. Leider.

Weil du dich nicht an die Regeln hältst.
Genau. Wenn mich jemand fragt, dann sag ich: Alhamdulillah. Aber ich bin kein guter Moslem. Ich versuche, das Beste aus meinem Leben zu machen. Früher habe ich Drogen verkauft, jetzt mache ich Rapmusik. Da sagen die Leute wieder, das ist nicht gut. Aber lieber mache ich Musik, als Menschen Drogen zu verkaufen.

Glaubst du, dass du mit der Musik Kinder schlecht beeinflusst?
Ich hoffe nicht. Wenn ich Musik höre, dann kommen schon auch negative Gefühle in mir hoch. Und vielleicht ist das bei meiner Musik auch so, dass sie bei Jugendlichen negative Energie freisetzt. Aber wenn ich die Musik ausmache, dann verfliegt dieses Gefühl wieder. Aber bei Kindern ist es so, dass sie das nicht wieder vergessen. Ich glaube, wenn die zehnmal hintereinander »Nehm dir alles weg« hören, dann kann es schon sein, dass sie das mit in den Tag nehmen. Aber ich hoffe, dass das nicht so ist. Ich sage ja auch nicht: Hey, geh los und verkauf Steine! Sondern ich erzähle, dass ich das gemacht hab. Ich sage nur die Wahrheit. Und ich mache das, um dieses Problem anzusprechen, das es nun mal gibt. Ich mache das nicht, weil es cool ist. Ich mache das, weil es die Wahrheit ist. Ich bin ein Offenbacher Bub, ich bin in Frankfurt am Bahnhof rumgehangen – ich hatte keine schöne Jugend. So ist Rap doch entstanden. Rap ist dazu da, diese Probleme anzusprechen. Und diese Probleme gibt es immer noch. Und deswegen werden wir Rapper weiter darüber reden. Und überhaupt: Kannst du dir einen abgespaceten House-Song normal anhören? Die Musik wurde dafür gemacht, dass die Leute auf Drogen dazu tanzen. Geh doch mal auf die Love Parade. Und dann geh aufs Splash!. Und dann kuck mal, wo die Leute sich cooler benehmen und wo mehr Drogen konsumiert werden. Auch Rock’n’Roll: Da gibt es Songs, die wurden für Kriminelle gemacht, für den Lifestyle von kriminellen Rocker-Gruppierungen. Ich sag nur »Highway To Hell«: Steig auf dein Bike mit deiner blonden Braut, schnupf fünf Gramm und fahr los. Scheiß auf alles. Oder »Back To Black« von Amy Winehouse – ich weiß, worum es in dem Song geht. Ich geh zurück zu Crack, weil du mich verlassen hast – das singt sie da. In jeder Musik gibt es diese Messages, aber nur bei uns wollen sie drüber reden. Weil unsere Musik aggressiv klingt und man die Messages leichter versteht.

Bei anderer Musik sind die Messages vielleicht »schöner« verpackt.
Was soll denn an »Highway To Hell« schön sein? Wenn ich den Song auf der Autobahn höre, fahre ich 250.

Mittlerweile kommt diese Kritik auch von Rap-Fans, die dir zum Beispiel vorwerfen, dass die Kids wegen dir so sind, wie sie sind.
Das verstehe ich nicht. Hilf doch den Kanaken-Kids, anstatt auf denen rumzuhacken. Verbessere doch was, anstatt dich so krass mit mir zu beschäftigen. Aber es ist halt einfacher, sich hinzustellen und zu sagen: Die sind scheiße. Aber ich hab das ja auch nicht erfunden. Vielleicht bin ich auch nur ein Opfer der Musikindustrie.

Vielleicht wäre ja was Vernünftiges aus dir geworden, wenn es Rap nicht gäbe.
Aus mir wäre was geworden, wenn ich meinen Vater nicht verloren hätte mit 14 Jahren. Wissen die Leute, die über mich urteilen, so etwas? Nein. Die werfen mir nur vor, dass ich Drogen verkauft habe und darüber rappe. Ich hab nicht Bushido gehört und bin deswegen so geworden. Vielleicht hat mich die Straße so gemacht. Man weiß es nicht. Ich bin nunmal kein Student, der mit 29 sein Zertifikat in der Hand hält und meint, er hätte das Leben verstanden. Ich bin Haftbefehl, ich bin 26, hab grad Garnelen gefrühstückt und esse jetzt ein Steak. Und ich hab Sodbrennen.

Text: Marc Leopoldseder
Fotos: Matti Hillig

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein