In der öffentlichen Wahrnehmung ist Sero bereits ein gestandener Künstler, was sicherlich auch an der runden Präsentation seines Labels Four Music liegt. Dass seine neue EP »Sweet-Tape« jedoch erst seine zweite Veröffentlichung ist, verliert man beim professionellen Auftreten des jungen Berliners gerne mal aus den Augen.
Der melodische, lieblich-warme Klang der EP ist nach dem Erfolg des düsteren »One And Only« eine wagemutige Spielerei, aber vor solchen Schritten scheut Sero sich nicht. »Irgendwann werde ich den ersten Song, den ich damals mit elf recordet habe, veröffentlichen« – was durchaus spannend wäre. Denn Spuren im Netz hat Sero bis zu seinem Erscheinen im letzten Jahr nicht hinterlassen. Keine alten Headset-Gehversuche, keine Online-Battles oder Freestyle-Fingerübungen. Sero hat eine weiße Weste. Er war auf einmal einfach da. »Ich hab die Tür eingetreten und stand plötzlich mitten im Raum.«
Bei der vergeblichen Spurensuche vergisst man schnell, dass Sero noch ganz am Anfang seiner Karriere steht. »Man kann meinen bisherigen Weg nicht recherchieren, weil er doch gerade erst anfängt. Ich bin selbst gespannt, wie ich mich in fünf Jahren anhören werde.« Ganz unproblematisch ist das für Sero nicht. Häufig wird ihm unterstellt, nicht mehr als ein Produkt zu sein; ein gecasteter Rapper mit Image-Thinktank und einer Armada von Textern. »Ich nehme das einfach mal als Kompliment. Das liegt wohl daran, dass ich mir viele Gedanken gemacht und meinen Weg lange im Voraus geebnet habe. Ich habe nicht kopflos vor mich hingearbeitet, sondern bin direkt mit etwas gekommen, das Hand und Fuß hat.«
Mit Ghostwritern hat er jedenfalls nichts am Hut – im Gegenteil: »Ich habe die Tendenz, zu verkopft zu schreiben. Die Songs auf der EP sind aber relativ schnell entstanden, so habe ich dem entgegengewirkt.« Wobei der Terminus »Schreiben« hier eigentlich deplatziert ist. Sero textet zwar, zu Papier bringt er die Lyrics aber nicht. »Ich stehe nicht mit Text im Studio. Ich schreibe generell alles im Kopf. Ich setze Kopfhörer auf und murmele was vor mich hin, bis ich es auswendig kann. Aber ich gehe nicht in die Booth, ohne zu wissen, was ich rappe. Ich bin einfach ziemlich gut im Auswendiglernen.«
Auf die Frage, ob das Niederschreiben der Texte seine Musik verändern würde, zeigt er mir das Foto einer Songskizze. Ein zerknittertes Blatt Papier, zu einem Drittel mit chaotisch verstreuten Zeilen beschrieben, der Rest ist übersät mit Sero-Tags, Sketches und Kritzeleien. Das sieht nicht gerade nach der Arbeit eines Ghostwriters aus. Ein Image-Thinktank hat sich auch nicht blicken lassen, nicht mal ein Manager schaut dem Halbtunesier über die Schulter, der rauchend mit mir in der Sonne sitzt. Das Label und dessen Connections haben sicherlich einen wesentlichen Teil zu den Abermillionen Spotify-Plays beigetragen, die Seros erste Veröffentlichung erzielen konnte, aber ich habe mich hier zweifellos mit einem Rapper unterhalten – nicht mit einem Produkt.
Text: Skinny
Foto: Louise Amelie & Aljaz Fuis
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