Dass Rin mittlerweile ein waschechter Teeniestar ist, zeigt sich auch beim Spaziergang durch den Bietigheimer Bürgergarten. Immer wieder müssen wir anhalten, weil jugendliche Fans nach Selfies fragen. »Es berührt mich total, wie krass man idolisiert wird«, sagt er und erklärt, dass sein Freundeskreis in Bietigheim in dieser Hinsicht als schützender Mikrokosmos fungiert. »Ich habe zu viele Künstler gesehen, die in Berlin so sehr auf Fame, Geld und Anerkennung aus sind und sich dann darin verloren haben. Was ich hier habe, ist viel wertvoller als Ruhm und Reichtum.« Doch auch so war Rin in den vergangenen Monaten nicht vollkommen immun gegen den Erfolgsdruck. »Ich war nach ‚Eros‘ in einem ganz schlimmen Loch. Es ging mir zwar nicht schlecht, aber ich hatte einfach extrem viel gearbeitet. Danach habe ich einfach weitergemacht, hab aber schnell gemerkt, dass mich der Sound nicht mehr reizt.« Schlüsselmoment ist eine Studiosession in Berlin Ende 2017, bei der er zum ersten Mal eine Kreativblockade erlebt. Als nach mehreren Tagen Arbeit immer noch nichts Zählbares zu Buche steht, bleibt Rin bis 13 Uhr mittags im Studio, will einen Hit erzwingen. »Die anderen hatten sich zwischenzeitlich ausgeschlafen und waren völlig entgeistert, als sie wieder im Studio auftauchten und ich da immer noch saß. Die hatten Angst, dass ich einen Herzinfarkt bekomme«, erinnert sich Rin.
Pop ne Xanny, Bitch, Jacke is von Avirex
Der Knoten platzt beim Projekt »Planet Megatron« erst, als sich Rin und Produzent OZ eine Auszeit an der Konsole gönnen. Eigentlich sei das Mixtape nur durch »Fortnite« entstanden. »Das Spiel gab’s irgendwann kostenlos bei PS Plus, also haben wir uns das alle geladen.« Als der weltweite Hype um das Koop-Survival-Game losbricht, entpuppt sich die Zeit vor der PlayStation als Ventil. »Leute haben mir ständig gesagt: Renato, du übertreibst! Also haben OZ und ich nur noch gezockt, bis wir beide richtig Bock hatten, das Tape zu machen.« Gemeinsam mit dem Schweizer Produzenten, der in den vergangenen Jahren Beats für Drake, Travis Scott, Meek Mill, Gucci Mane und Trippie Redd geschraubt hat, schließt sich Rin im noch nicht ganz fertigen Bietigheimer Studio des ehemaligen Bushido-Schützlings Shindy ein. Hinzu kommen der bei OZ gesignte Beatmaker-Kollege Nico Chiara sowie Rins Jugendfreund Anh Minh Vo alias Minhtendo. Die dekadente Sahnehaube der Sessions ist jedoch ein Pianist, der Samples für die Beatgerüste des Quartetts einspielt. »Im Vergleich zu ‚Eros‘ wollte ich etwas Gewaltigeres – mehr Tempo, mehr Gas.« Das offenbart sich bei einer kurzen Listening Session im Benzer: Das Zusammenspiel aus Hi-Hats und Snares gibt den Produktionen Drive, während die Bässe die Nackenhaare vibrieren lassen, obwohl wir nur die von Rin gemischten Pre-Mixes hören. »OZ hat einfach ein Meisterstück abgeliefert«, stellt Renato zufrieden fest und drückt das Gaspedal durch. Dass der aktuelle US-Sound als Messlatte fungiert und die hiesigen Kollegen keine Konkurrenz darstellen, schwingt im Subtext mit.
»Ich recorde sehr schnell, manchmal schreib ich auch sehr schnell. Die eigentliche Arbeit fängt bei mir erst an, nachdem ich den Track aufgenommen hab«, bricht Rin seinen Arbeitsprozess auf verschiedene Phasen herunter. Überhaupt: Lässt man ihm Zeit zum Erzählen, wird es schnell nerdig. »Ich bin, glaube ich, der Rapper in Deutschland, der gleichzeitig am meisten Engineer ist«, sagt er über seine Rolle im Studio. Dann folgt eine 15-minütige Abhandlung über die fürs Mixtape verwendete Hardware (»aber das darfst du nie in die JUICE schreiben!«), die Youtube-Show von Mixing Engineer Dave Pensado, das Genie von Houston-Koryphäe Mike Dean, die dilettantische Herangehensweise vieler Produzenten in der Videoserie »Deconstructed« von Genius und die Einfältigkeit vieler Kollegen. »Ich bin einfach so hart enttäuscht von Deutschrap. So viele Leute stecken so wenig Arbeit in ihre Kunst. Bei mir könnte man das auch vermuten – der junge, hippe Happy-Hippo-Typ, der sich die ganze Zeit Klamotten kauft. Aber ich scheiße auf das alles.« Rin versteht sich als Workaholic und seinen Erfolg als direktes Resultat der vielen schlaflosen Nächte im Studio. »Ich hab irgendwann verstanden, dass ich Freiheit brauche, um Musik zu machen. Und die hat mir niemand anders genommen als ich selbst«, sagt er über die Entstehungsphase von »Planet Megatron«. Dass es sich um ein Mixtape handelt, hat nichts mit dem investierten Aufwand zu tun – eher mit Soundästhetik, Länge und Dramaturgie der Veröffentlichung. »Die Qualität eines Projekts entscheidet letzten Endes auch, ob jemand Fan von mir wird oder ob er nur Fan von einem Song bleibt« – weise Worte von einem, den viele nach dem Erfolg der ersten »Eros«-Vorboten als Single-Künstler abtun wollten.
Ich bleib in Bietigheim, solang, bis ich leb
Rin hat die Formel geknackt wie kein anderer seiner Generation – er weiß das. Der Schnelllebigkeit des Rapgeschäfts ist er sich dennoch bewusst. »Guck mal: der Fame wird gehen, ohne Frage. Wenn du es klug anstellst, wird dein Geld nicht gehen«, gibt er sich als Realist. »Was bleibt denn dann? Das Schönste ist doch rückblickend, wenn du anderen ein neues Leben ermöglicht hast.« Rin erzählt das nicht, um sich als Gönner zu inszenieren. Klar, mit den Bros kann man Mau-Mau oder COD zocken, aber einige von ihnen sind über die letzten Jahre und Monate zu wichtigen Puzzleteilen in seinem Erfolgskonzept geworden. »Egal ob Minh, der im Club für 400 Euro Teller und Gläser gewaschen hat, mein Designer Alex oder mein Fotograf Martin alias Brown Shootta. Ich wusste, dass die Jungs was können – und mir war klar, dass ich in fünf oder zehn Jahren mit Stolz drauf zurückblicken kann, wenn ich ihnen diese Chance gebe.« Ljubav (kroatisch für Liebe) Enterprises ist nicht nur der Name von Rins eigenem Klamottenlabel, sondern sein künstlerisches Credo.
Text: Jakob Paur
Foto: Brownshootta
Diese Titelstory erschien in JUICE #187. Aktuelle und ältere Ausgaben könnt ihr versandkostenfrei im Online-Shop bestellen.
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