RIN: »Ich bin hart enttäuscht von Deutschrap« // Titelstory

-

Doch auch vor der ersten überregionalen Aufmerksamkeit als Solokünstler finden sich vereinzelt noch Spuren Rins im Internet: Er tritt als Featuregast in einer VBT-Runde und auf dem Mixtape »Alles was du lieben könntest« von Caz auf, in dessen Homestudio er zu Anfang fast alle seine Songs aufnimmt. Der Bietigheimer Rapper ist bis heute einer von Rins engsten Freunden. »Bevor ich mich getraut habe zu singen, wollte ich erst mal straighten Rap meistern. Dann hab ich Doppelreime gemacht, dann Triplereime, dann Vergleiche«, sagt Rin über seine ersten Gehversuche und fügt schmunzelnd an: »Ich war mal richtig dick, da hab ich gerappt wie Biggie.« Wer bislang nur den Fashionista mit gesäuselten Autotune-Hymnen über Baes und Bros wahrgenommen hat, verkennt die akademische Disziplin, mit der Rin das Genre in all seinen Facetten studiert hat. »Seit vier Jahren mische ich meine Sachen selber. Es gibt auf ‚Eros‘ keinen einzigen Beat, bei dem ich nicht am Arrangement beteiligt war«, sagt er mit gewissem Stolz in seiner Stimme, ehe sich Verdruss daruntermischt: »Der Arbeitsaufwand ist dadurch natürlich enorm. Aber vielleicht peilen es die Leute irgendwann.«

Chief Keef aus den Boxen, Don’t Like

Dabei nimmt die Zahl der Hörer, die Rins Musik nicht nur für eingängig, sondern auch vielschichtig halten, über die vergangenen Jahre stetig zu. Schon auf dem EP-Debüt »Genesis« paart er ein Gespür für Melodien mit emotionaler Zerbrechlichkeit und steckt dabei einen Referenzrahmen ab von 50 Cent über Chief Keef bis Frank Ocean. Vergeblich sucht man dabei das Klamaukige, den Dadaismus und die maßlose Übertreibung vieler Weggefährten, deren Musik im medialen Diskurs plötzlich »Cloudrap« geschimpft wird. Rin gerät trotzdem aufgrund seiner Nähe zu Yung Hurn in eine Art Sippenhaft, auch wenn nach »Bianco« selbst der letzte Holzkopf den Pop-Appeal des Nicht-Genres erkannt hat.

Eigentlich sind die Aussichten damals, im Sommer 2016, rosig: Live From Earth agieren als Speerspitze einer Bewegung, die keine sein will – und ernten dabei neben gelegentlichem Unverständnis vor allem Liebe von Early Adoptern, Fashion-Kids und Feuilletonisten gleichermaßen. Aber der DIY-Ansatz des Berliner Kollektivs und die noch überschaubaren Kontakte in die Musikindustrie haben auch Nachteile. Man arbeitet ohne klassische Labelstrukturen, finanzieller Erfolg ist bestenfalls zweitrangig. Es läuft ja auch so: Die Klickzahlen auf dem hauseigenen Youtube-Kanal steigen vor allem in den Spielzeiten ’15 und ’16 exponentiell, limitierte Merch-Drops sind sofort vergriffen und die gelegentlichen Partys so überrannt, dass die in der Schlange stehenden Fans sich ob der Hoffnungslosigkeit des Einlasses im zugehörigen Facebook-Event zum digitalen Troll-Flashmob versammeln.

Mein Team ist in Wien und Berlin

Abgesehen vom Appeal der No-Fucks-Given-Attitüde wird die Musik von Live From Earth vor allem durch ihre Verfügbarkeit beflügelt. Zu einer Zeit, in der Labels Streaming noch nicht als primären Vertriebsweg akzeptiert haben und in erster Linie mithilfe teurer Deluxeboxen auf die vorderen Chartränge zielen, unterwandern LFE & Co. den Modus Operandi via Soundcloud, Bandcamp und der hauseigenen Website. Als die Viralerfolge »Bianco«, »Nein« und »Opernsänger« Deutschraps Sound bereits nachhaltig verändert haben, rätseln A&Rs landauf, landab, wie man die neu etablierte Klangästhetik möglich treffsicher reproduzieren und anschließend monetarisieren kann.

Währenddessen kommt auch Rin ins Grübeln – und trifft nach reiflicher Überlegung eine schwerwiegende Entscheidung. »Als es ernst wurde, wollte ich wissen, ob ich es alleine schaffen kann«, sagt er über den Weggang von Live From Earth heute, ehe er anfügt: »Wenn du es nicht durch eigene Arbeit geschafft hast, wird es nie echt sein.« LFE verkünden die Trennung in einem nüchternen Statement Mitte September 2016 via Twitter. »Ich liebe Yung Hurn, und wir stehen bis heute in Kontakt. Aber im Endeffekt haben wir nur zwei oder drei Monate zusammen verbracht. Es hätte mir auf Dauer keine Ruhe gelassen, nicht zu wissen, ob ich nur wegen ihm berühmt bin.«

»Niemand soll im HipHop an mich rankommen« RIN

Zweieinhalb Monate, nachdem sogar Haftbefehl beim splash! die Hüften zu »Bianco« kreisen lässt, ist Rin wieder zurück in seiner schwäbischen Heimat. Dass die Zusammenarbeit mit seinem heutigen Label Division der hauptsächliche Trennungsgrund ist, verneint er vehement. Der Erstkontakt sei damals durch einen Zufall entstanden. Eines Abends sitzt Rin am Laptop und durchstöbert seine Facebook-Nachrichten. »Das mache ich sonst nie!«, erinnert er sich und gluckst, als wäre der damalige Klick aufs Postfach göttliche Fügung. Dort findet er eine Nachricht von einem gewissen Michael Weicker. Wovon Rin damals keinen Schimmer hat: Weicker betreibt gemeinsam mit seinem Bruder Markus The Factory. Die Videoproduktionsfirma gilt als eine der Topadressen für deutsche Rapvideos – und ist in Branchenkreisen bekannt als langjähriger kreativer Dienstleister und Geschäftspartner von Selfmade Records. »Ich überflog also die Nachricht«, erzählt Rin. »Am Ende stand dann: Lange Rede, kurzer Sinn: Elvir möchte sich mit dir treffen.« Sofort kramt Renato damals sein Handy heraus und wählt Caz’ Nummer. »Rate, wer sich mit mir treffen will?« – »Keine Ahnung, Digga, wer?« – »Wer ist der Krasseste?« Caz muss nur kurz überlegen: »Elvir?!«

Es vergehen rund vier Monate, bis Ende Januar 2017 mit dem Video zu »Blackout / Dizzee Rascal Type Beat« der Startschuss für Division fällt. Auch wenn das Mutterschiff Selfmade in abgespeckter Form weiterhin existiert – wer hinter die Kulissen blickt, versteht schnell, dass Elvir Omerbegovics neuer Imprint eine generalüberholte und an die heutigen Gegebenheiten angepasste Version des Labels ist, mit dem der Düsseldorfer zwischen 2005 und 2015 Deutschrap umkrempelte: Wie auch bei Selfmade übernimmt Produktmanager Thomas Burkholz die organisatorische Komponente, während Elvir als CEO die Strippen zieht. Markus und Michael Weicker hingegen sind ihrer Rolle als kreativer Dienstleister entwachsen, als Creative Directors formen sie mit Rin ein modeaffines Kleinstadt-Kid zur Stilikone. »Ich glaube, die konnten sich bei mir vollkommen verwirklichen«, sagt Rin über seine Zusammenarbeit mit den Offenbacher Brüdern. »Man hat gemerkt, mit wie viel Feuer sie für die Sache gearbeitet haben. Das war ein ‚Match made in heaven‘.« Die gestochen scharfen Drohnenfahrten über Skylines und Plattenbaublocks überlassen die Weickers der Konkurrenz – ihre Mischung aus körnigem Film und verwackelter VHS-Ästhetik gibt den Bildern zu den ersten Singles »Blackout«, »Ich will dass du mich brauchst« und »Doverstreet« vor allem eines: Wiedererkennungswert. Ein kleiner Jackpot in einem Zeitalter, das Künstler so austauschbar gemacht hat wie Slots in einer Playlist.

1 Kommentar

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein